28 Jahre war Rolf Hochhuth alt und bei Bertelsmann angestellter Verlagslektor, als er nach einer erfolgreichen, von ihm betreuten Edition von seinem Arbeitgeber Sonderurlaub bekam. Hochhuth machte sich auf den Weg nach Rom. Er wollte vor Ort für ein Drama recherchieren, das ihm früh internationalen Ruhm einbringen sollte. In seinem Debut "Der Stellvertreter" prangerte er das Schweigen von Papst Pius XII zum Massenmord an den Juden an. Damit trage der Papst eine Mitschuld am Holocaust, wurde in der sich anschließenden von Skandalen begleiteten "Stellvertreter"-Debatte geäußert.
"Ich habe damals, glaube ich, als erster gefragt, wieso hat eigentlich der Stellvertreter Christi auf Erden, der er ja nach seinem Selbstverständnis ist, dazu geschwiegen, dass der Holocaust gemacht wurde. Und das war damals in der Ära Adenauer keine so selbstverständliche Frage."
Weltruhm mit "Der Stellvertreter" und Papst-Kritik
Schon Wochen vor der geplanten Uraufführung 1963 wurde scharf protestiert. Der Intendant und Regisseur Erwin Piscator war sich der Brisanz des Stoffes in Adenauers Deutschland der Restauration von Anfang an bewusst.
"Auf der Suche nach einem Spielplan, den ich hier in der Volksbühne verwirklichen wollte, kam ich darauf, dass mir Ledig-Rowohlt plötzlich ein Stück schickte, von dem er sich sehr im Ungewissen war, ob das überhaupt gespielt werden könne, und als ich es las, telegrafierte ich zurück: Das Stück spiele ich, auch wenn es mich meinen Posten als Intendant kostet."
Erhard über Hochhuth: "Kleiner Pinscher"
Mit seinem "christlichen Trauerspiel" wurde Hochhuth als Dramatiker weltberühmt und löste einen der größten Skandale aus, die die katholische Kirche jemals erlebte. Hochhuth war mit seinem Erstling zum Mitbegründer eines politisch engagierten Dokumentartheaters geworden, das sich auch zu sozialpolitischen Fragen äußert. Bundeskanzler Erhard verbat sich 1965 solcherlei Einmischungen der Kultur in die Politik und bezeichnete ihn als "kleinen Pinscher".
Aber der kleine Pinscher machte weiter Ärger. Über seiner Erzählung "Eine Liebe in Deutschland" und der von ihr ausgelösten öffentlichen Debatte über die Rolle der Richter in der Nazi-Zeit kam der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger zu Fall. Das viel gespielte Stück "Juristen" führte die Problematik weiter.
Hochhuth provozierte öffentliche Skandale, aber auch den Unmut der Kritiker. Eine "abgewirtschaftete Dramaturgie" beklagte Rolf Michaelis, er schreibe "mit den besten Absichten die schlechtesten Stücke". Theodor W. Adorno warf ihm vor, zu personalisieren, wo gewitzte Theorie vonnöten sei. Aber: Sich moralisch zu verhalten, auch wenn man existentiell bedroht ist, das war nun einmal Hochhuths Kerngedanke. Aber dem Autor wollte nach dem Welterfolg "Der Stellvertreter" einfach kein Stück mit nur halbwegs vergleichbarer Durchschlagskraft mehr gelingen. Das galt für "Ärztinnen" über Praktiken der Pharmaindustrie ebenso wie für "Judith" über die Wiederbewaffnung der US-Armee mit Chemiewaffen und viele andere Stücke.
Scharfer Kritiker der deutschen Verhältnisse - auch nach der Wiedervereinigung
Im wiedervereinigten Deutschland sorgte er im Abstand von drei Jahren für große Aufregung, polarisierte die Öffentlichkeit und trieb nicht nur Politiker in den Wahnsinn. Die von ihm gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung hatte 1996 überraschend das Gebäude des Berliner Ensembles erworben. Hochhuth wollte dort seine Idee von einem Theater der Autoren realisieren und lieferte sich über Jahre mit dessen damaligem Intendanten Claus Peymann unterhaltsame öffentliche Machtkämpfe. Drei Jahre zuvor machte, ebenfalls am Berliner Ensemble, Hochhuths Stück "Wessis in Weimar" Schlagzeilen.
"Wir Wessis haben uns benommen gegenüber den Ossis, wie die Amerikaner sich benommen hätten, wenn sie ihre viereinhalb Milliarden Marshallplan nicht uns geschlagener, uns Kriegsverbrechernation gegeben hätten, sondern ihren eigenen Geschäftsleuten und hätten gesagt: Nun fliegt mit dem Geld nach Frankfurt und kauft euch Siemens und Krupp und die Hotelkonzerne und die Süddeutschen Rittergüter. Das haben wir Wessis mit den Ossis gemacht."
Hochhuth hatte sich anlässlich der Uraufführung mit Regisseur Einar Schleef überworfen, der das dramaturgisch kaum strukturierte Konvolut von Dokumenten in eine radikale, gewaltige und gewalttätige Vision umgeformt hatte. Der streitbare Hochhuth verfolgte seinen Weg unbeirrt weiter, mal belächelt, nunmehr seltener gefürchtet. Im Frühjahr 2016 veröffentlichte er das Kompendium "Ausstieg aus der Nato - oder Finis Germaniae".
"Germany ist nur ein entmündigter Amerika-Satellit, war ja politisch seit Bismarck niemals intelligent, marschiert schafdumm als eifrigster Nato-Söldner mit."
Hochhuths Werk als Inbegriff der politisch engagierten Literatur
Das große Werk des vielfach ausgezeichneten Publizisten und Autors wird als Inbegriff einer politisch engagierten Literatur in Erinnerung bleiben. Und als ein zwiespältiges: Denn es sind nicht die künstlerischen Formen, die hier überzeugen, sondern die Themensetzungen, in denen sich die politischen Verwerfungen vom biederen Deutschland der Nachkriegsjahrzehnte bis zu den Unwägbarkeiten einer neoliberalen Weltwirtschaftsordnung abbilden.