"Ich bin ein Klassiker, stehe wie ein Denkmal auf dem Podest und warte nur auf den Avantgardisten, der mich hinunterwirft." So lautet eines der bekanntesten Zitate von Johannes Grützke, er selbst nannte seine Aphorismen gern etwas schwülstig "Bekenntnisse", und dass sie ihm hin und wieder als Selbstbeweihräucherung ausgelegt wurden, nahm er bewusst in Kauf.
Ein vorgetäuschter Elitarismus gehörte für ihn zur künstlerischen Opposition gegen die ja aus seiner Sicht geschichts- und denkmallose Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Dass er sich selbst zum Klassiker erhob, war letztlich auch weniger der Eitelkeit, als seinem Unbehagen an der Gegenwart geschuldet:
"Das Unbehagen ist eigentlich auch eine starke Antriebskraft gewesen bei uns, und in meinem Falle … ist es das Fehlen von Geschichte und Heroischem, Monumentalem und so. Auch meine Bilder haben das Ziel des Monumentalen eigentlich. Ich verwendete früher gern die Froschperspektive, inzwischen geht es aber auch mit der Vogelperspektive."
Figürlichkeit gegen abstrakte Moderne
So Johannes Grützke im Sommer 2014 im Deutschlandfunk. Mit dieser Position war er, unschwer zu vermuten, natürlich eine Art Skandalkünstler im sozialliberalen Klima Westdeutschlands der siebziger und frühen achtziger Jahre. Seine Malerei stand für eine Wiedereinführung der Figürlichkeit, wo doch eigentlich seit den fünfziger Jahren das Bekenntnis zur abstrakten Moderne quasi als kulturelle Staatsräson der Bundesrepublik gegolten hatte, gerade auch in bewusster Abgrenzung zur DDR und ihrem Sozialistischen Realismus.
Überhaupt war figürliche Kunst doch belastet durch das Dritte Reich und galt damals vielen noch als Kunstform des Totalitarismus. Grützke und die von ihm mitbegründete "Schule der Neuen Prächtigkeit" scherte das herzlich wenig. Sie hielten die Moderne für überbewertet, auch Beuys und jede Art von Gegenwartskunst, die das Gegenwärtige so betont herausstellte, kamen bei ihnen nicht gut weg. Er mochte es, als konservativ bezeichnet zu werden:
"Konservativ kann man uns schon nennen. Bloß, es ist eigentlich auch nicht so. Denn konservativ nennt man auch noch andere Sachen, hinter die wir uns dann lieber nicht stellen. Und eigentlich sind wir sogar richtig Avantgarde."
Wandgemälde für die Frankfurter Paulskirche
Wie Recht er doch hatte: Grützke war kein Revanchist, keiner, der aus missverstandenem Patriotismus die Zeit des Nationalsozialismus relativierte. Seine Art des Konservatismus zeigte sich vermutlich am deutlichsten auf dem auch sichtbaren Höhepunkt seiner Karriere: Dem monumentalen Wandgemälde für die Frankfurter Paulskirche von 1991.
Sein Titel: "Der Zug der Volksvertreter" und der von den karikaturartigen Portraits der Neuen Sachlichkeit inspirierte Malstil Grützkes wirken aus heutiger Sicht wie eine ironische Vorwegnahme all dessen, was an Politikverdrossenheit über das wiedervereinigte Deutschland noch hereinbrechen würde.
Wie der Leipziger Großmaler Werner Tübke, mit dem er oft verglichen worden ist und den er schätzte, war Grützke von Sehnsucht nach einer bürgerlichen Künstlerkultur erfüllt, in der es noch Genies gibt, die alles machen: Kunst, Musik, Theater, Literatur, Architektur.
So wollte auch Grützke sein und erwies sich in dieser Hinsicht tatsächlich als Avantgardist einer neuen deutschen Bürgerlichkeit, die sich im noch jungen 21. Jahrhundert mit dem wiedererrichteten Stadtschloss von Berlin bereits ihr Denkmal errichtet hat.