Dina Netz: Harlan Jay Ellison ist gern als Science-Fiction-Autor bezeichnet worden. Und das war ihm gar nicht recht, denn er hat auch viele Bücher ohne fantastische Elemente veröffentlicht, die aber nicht so bekannt waren.
Harlan Ellison wurde 1934 in Cleveland, Ohio, geboren. Er hat Erzählungen und Kurzgeschichten geschrieben, die sich allerdings zu einem größeren Ganzen verweben. In den 1960er- und 70er-Jahren wurde er mit vielen Preisen ausgezeichnet - eben vor allem für seine fantastische Literatur. Stephen King nennt Ellison eins seiner Vorbilder.
Harlan Ellison hat auch als Autor von Filmdrehbüchern gearbeitet. Sein bis heute bekanntestes ist wohl das zur Star-Trek-Episode "Griff in die Geschichte" von 1967. Er ging aber immer wieder auch hart mit der Filmbranche ins Gericht. Gestern ist Harlan Ellison gestorben und unseren "Büchermarkt"-Spezialisten für Science-Fiction-Literatur Hartmut Kasper habe ich gebeten, an ihn zu erinnern, zunächst an Ellison als Person - denn er war ja ein recht bunter Hund.
Hartmut Kasper: Ja, bunter Hund ist schön gesagt. Der junge Harlan, das war ein sehr freiheitsliebender, freiheitssüchtiger Mensch, ist eine jüdische Familie geboren, und mit 13 Jahren ist der junge Harlan zum ersten mal von zu Hause weggelaufen, und das wurde zu einer Art Hobby von ihm. Hat dann auch, wie es sich gehört, sehr malerische, merkwürdige Berufe ausgeübt - von den Klassikern wie Taxifahrer oder Statist am Theater bis zu wirklich lebensgefährlichen Jobs: Er war einmal Nitroglycerin-Fahrer. Und was dann noch prägender wurde für ihn: 1961 ist er nach Hollywood gegangen. War zunächst mal, was so die äußere Erscheinung angeht, durchaus angepasst, ist auch zur Armee gegangen, hat sich dann aber später doch ganz anders orientiert.
"Seine Geschichten nehmen die denkbar furchtbarste Wendung"
Netz: Wenn wir jetzt auf seine Bücher zu sprechen kommen, zu denen er sich dann orientiert hat, die waren immer stark politisch, nah an der sozialen Wirklichkeit. Welche Themen haben ihn denn literarisch interessiert?
Kasper: Die Geschichten von Harlan Ellison lassen sich nicht so, ich sag mal, inhaltistisch der Science Fiction zuordnen, es ist eher seine Art, mit seiner Gegenwart umzugehen und Perspektiven aufzumachen, was daraus werden könnte, und zwar - anders als bei den früheren optimistischen Sciene-Fiction-Autoren - was daraus werden könnte schlimmstenfalls. Und die Geschichten von Ellison nehmen deswegen immer wieder die denkbar furchtbarste Wendung. Das ist, was ihn eigentlich auszeichnet, was ihn auch zu einem besonderen Autor macht, also gar nicht so der Inhalt - wir finden bei ihm keine Invasion vom Outer Space, wir finden auch keine Raumschiffe, wir finden das ganze klassische Sciene-Fiction-Personal und die klassischen Science-Fiction-Kulissen bei ihm nicht. Es geht eigentlich um uns, aber es geht um uns in der Perspektive der Zukunft.
"Er war ein großer Skeptiker"
Netz: Er war ja auch politisch aktiv, hat viele Reden gehalten, welche Verbindung bestand denn zwischen dem Autor Ellison und der politischen Person?
Kasper: Ich weiß nicht, ob das überhaupt gut zu trennen ist. Ich denke, man kann sich Ellison am besten vorstellen wie ein, ja, heute würde man sagen Gesamtkunstwerk. Der Mann trat nicht nur mit Lesungen auf, sondern er trat wirklich in Erscheinung, er nahm politisch Stellung, er unterschrieb Aufrufe gegen den Vietnamkrieg, aber er war auch ein großer Skeptiker. Er war skeptisch gegenüber dem Fernsehen eingestellt, gegenüber den Computern, später dem Internet und gegenüber allen Leuten, die damit umgehen und damit auch eine gewisse Macht ausübten.
"In einer Art Hassliebe mit dem Fernsehen verbunden"
Netz: Das war ja auch ein Thema, das gerade bei seiner Arbeit für den Film er immer wieder angesprochen hat. Er hat unter anderem eine Star-Trek-Episode geschrieben, aber regelmäßig dann eben auch die Filmbranche und die Abhängigkeit der Autoren darin kritisiert. War die Arbeit für den Film mehr als ein notwendiges Übel, mit dem er sein Einkommen aufgebessert hat?
Kasper: Ganz bestimmt. Er ist ein Autor, der überwiegend Kurzgeschichten und Novellen geschrieben hat, er hat wenig Romane verfasst und das waren häufig Arbeiten, die auf früheren Drehbüchern basierten. Man kann sich ihn, glaube ich, gut als jemand vorstellen, der in einer Art Hassliebe mit dem Fernsehen verbunden war.
"Die gesprochene Sprache hat Ellison fasziniert"
Netz: Lassen Sie uns noch kurz zu seiner Literatur zurückkehren, Herr Kasper: Oft wird Ellisons experimentierfreudige Sprache gelobt - was war daran so besonders?
Kasper: Ich glaube, das Besondere war, dass Ellison eine bestimmte literarische Technik in die Science Fiction eingeführt hat, die es vorher schon in der, sagen wir mal, großen Literatur gab, zumal von Leuten wie John Steinbeck. Es gibt von Steinbeck den großen Roman oder Reisebericht eigentlich "Die Reise mit Charley", mit seinem Hund, und da geht es darum, dass Steinbeck das Gefühl hatte, er hätte die Verbindung zu den amerikanischen Stimmen, der amerikanischen Sprache verloren. Er reist also durchs Land und hört einfach zu, wie die Leute sprechen.
Und genau diese gesprochene Sprache hat Ellison fasziniert und er konnte sie adaptieren. Es gibt nicht den Ellison-Stil, sondern er hat wie ein Tonsammler oder Stimmensammler auf Amerika gehört und ganz verschiedene Stimmen in seiner Literatur untergebracht.
"Gegen das Wort 'Science' hatte er eine deutliche Abneigung"
Netz: Jetzt haben Sie, Herr Kasper, ganz selbstverständlich mehrmals vom Science-Fiction-Autor gesprochen - für Sie ist er das also eindeutig?
Kasper: Schwierige Frage. Für uns in Deutschland ist er das, weil wir ihn eigentlich nur als Autor der Science-Fiction-Kurzgeschichten und -Drehbücher wahrnehmen. In Amerika und in seinem Bewusstsein war das ganz anders: Er war seiner eigenen Wahrnehmung nach im Grunde der Erbe von Autoren wie Edgar Allan Poe, ein Spannungsautor, ohne Zweifel, aber kein technikorientierter wie die Science-Fiction-Autoren. Und gegen dieses Wort Science hatte er doch eine deutliche Abneigung. Er hatte für sich einmal den Begriff der spekulativen Fiction geprägt: spec fiction.
Netz: Jetzt hat Ellison auch viele unbekannte Autoren gefördert, indem er ihre Werke in Sammelbänden veröffentlichte. Welche Rolle hat er denn als Entdecker und Herausgeber gespielt?
Kasper: Das ist kaum zu überschätzen. In den 60er-, 70er-Jahren war Ellison die Zentralfigur für die jungen amerikanischen, auch für die jungen englischen Sciene-Fiction-Autoren, die in Amerika veröffentlichen wollten, aber nicht unbedingt das Forum fanden. Und Ellison hat damals zwei große Sammlungen herausgegeben, die anderswo nicht untergebracht werden konnten.
Große Sammlung der Ellison-Klassiker im Heyne-Verlag
Netz: Jetzt ist Harlan Ellison bei uns deutlich weniger bekannt als in seiner amerikanischen Heimat, woran liegt denn das?
Kasper: Ich denke, einerseits liegt das an dieser Stimmenvielfalt, die lässt sich so adäquat gar nicht ins Deutsche übertragen, man müsste auf Dialekte, auf Jargon und so was zurückgreifen. Es liegt auch daran, denke ich, dass seine Literatur stark gesättigt ist mit, nennen wir das mal "Amerikana", also man muss sich im Grunde mit der amerikanischen Gegenwartskultur exzellent auskennen, um all die Anspielungen und Querverweise zu verstehen. Außerdem ist bei uns im Land die Kurzgeschichte im Moment nicht das, was sich am meisten verkauft, und große Romane hat Ellison nun mal nicht geschrieben.
Netz: Aber Sie sagen, man sollte ihn gerade anlässlich jetzt seines Todes bei uns auch endlich entdecken?
Kasper: Wir haben Glück. Der Heyne-Verlag hat vor einigen Jahren eine große Sammlung der Ellison-Klassiker herausgegeben. Der Titel ist "Ich muss schreien und habe keinen Mund" und da findet sich eigentlich alles, was Ellison im Kern ausmacht, also alle seine bissigen, boshaften, polemischen, aber auch immer wieder frappierenden Geschichten.
Netz: Sagt Hartmut Kasper. Er erinnerte an den US-amerikanischen Schriftsteller Harlan Ellison, der gestern gestorben ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.