Augstein: 'Zynismus heißt für mich, die Welt so sehen wie sie ist und nicht so, wie sie sein will.'
Er ist nicht ein Lehrmeister im Zynismus, auch wenn er damit kokettiert, sondern einer in Unabhängigkeit Kritiklust Neugier. Er war immer ein harter Nachrichtenmagazinmann, seit er mit 23 Jahren 1947 an die Spitze des Blattes kam. Er war einer, der immer viel wissen wollte, ein reflektierender Journalist, der harte Magazinmann. In zahllosen Kolumnen hat er die Politik des Patriarchen Adenauer bekämpft, lies sein Magazin Fehden mit Franz Josef Strauß austragen, Affären aufdecken, wollte Deutschland bis zur Obsession hin säubern. Was er dem Land beigebracht hat, war der Obrigkeitsstaat ist zu Ende. Allein die Konfliktdemokratie taugt für die Zukunft. Und dann: Die Freiheit der kritischen Meinung ist das A und O. So kommt es, dass die Spiegel-Affäre des Jahres 1962 zu einem Wendepunkt für die Bundesrepublik wurde. Augstein wanderte wegen angeblichen Landesverrates für ein paar Monate ins Gefängnis. Aber der Verteidigungsminister Strauß stürzte, und im Land bereitete sich ein Umbruch vor. Der außerparlamentarischen Opposition folgte der Machtwechsel von 1969. Dem lag nicht ein Meisterwerk Augsteins zugrunde. Aber gleichwohl, der Spiegelmann hatte schon Konturen einer Republik im Sinn, wie er sie sich wünschte.
Augstein: 'Natürlich haben wir auch Einfluss auf die Politik genommen, und das war richtig so. Aber eigentlich wollten wir das im Spiegel schreiben, was wir gerne selbst lesen wollten.'
Gelegentlich konnte Augstein beinah vulgär sein. Aber wichtiger, er war ungeheuer neugierig. Von Adenauer bis Martin Heidegger, von Karl Schmidt bis Ernst Jünger, auch wenn sie durch das Dritte Reich diskreditiert waren, er wollte alle kennen lernen. Sein Vater sei glücklicherweise Anti-Preuße und kein Nazi gewesen. Er selber wollte in diesen Jahren einfach davon kommen und dann sehen.
Wörtlich: 'Ich wollte dadurch.' Er war Marionettenspieler bei der Hitlerjugend, Kantinenwirt im Arbeitsdienst, Schütze Asch an der Ostfront, am Ende Leutnant. Dann schiebt er noch den schönen Satz nach:
'Eigentlich war ich immer Deserteur, wenn auch nicht richtig.'
Sein Spiegel war zunächst eine unverzichtbar kritische, dann eine etablierte Instanz, die allmählich anderen Gesetzen gehorchte, keineswegs mehr nur einem Journalisten, der als Herausgeber die Richtlinien vorgibt.
Augstein: 'Der Herausgeber bestimmt laut einer altertümlichen Gesetzeslage angeblich die geistigen und politischen Richtlinien des Blattes. Dieses ist durchaus in der Praxis nicht anzutreffen.'
Der Spiegel vor allem ein Spiegel der alten Bundesrepublik hat im wieder vereinigten Land der national denkenden Augsteinser einen Traum erfüllt. Er gab sich alle Mühe, seine Rolle neu zu definieren. Augstein prägte das Blatt weniger, aber blieb. Das trug ihm die Frage ein, ob er sich für unersetzlich halte. Das sicher nicht, aber sein Erbe ist nicht bestellt, auch nicht mit dem Spiegelchefredakteur Stefan Aust.
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