Von 1993 bis 99 war Endrik Wottrich Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Nur ein Jahr zuvor debütierte er als Cassio in Giuseppe Verdis "Otello" in Wiesbaden und wurde umgehend von Daniel Barenboim verpflichtet. Unter den Linden sang er, wenn auch keine Operetten wie in der Kálmán-Aufnahme unter Richard Bonynge, aber doch alles, was für einen lyrischen Tenor anfällt, vom Peter Iwanow in Lortzings "Zar und Zimmermann" bis zum "Zauberflöten"-Tamino. Hier war eine jugendliche Stimme zu hören, ein Sänger mit Charme und Intelligenz auf der Bühne zu erleben, der große Hoffnungen weckte. Schnell erweiterte er sein Repertoire um die schwereren Rollen, es zeichnete sich bereits ab, dass er seine Zukunft als Jugendlicher Heldentenor plante.
Bloß die Noten zu singen, reichte Wottrich nie
Bei Mozart fühlte er sich stimmlich wohl eher unterfordert, er wollte die großen Helden des 19. Jahrhunderts singen. Und er wollte diese Rollen gestalten. Bloß die Noten singen, weil er es konnte, das reichte Endrik Wottrich nie. Er neigte dazu, seine Figuren noch unter zusätzlichen vokalen Druck zu setzen, steigerte die emotionalen Ausnahmezustände beispielsweise von Wagners Sängerüberforderungen noch weiter. Dabei kam es jedoch auch vor, dass er dieses Gestaltungsmittel übertrieb und seine Stimme zu hart anfasste. In der Regel war er aber klug genug, seine Mittel nicht überzustrapazieren. Nikolaus Harnoncourt war einer der Dirigenten, die diese Art des Ausdrucksgesangs sehr schätzten. Daher verpflichtete er Wottrich regelmäßig, unter anderem als Titelheld Max in seiner "Freischütz"-Aufnahme.
Streit mit Regisseur Schlingensief
Endrik Wottrich hatte Gesang bei Ingeborg Hallstein an der Würzburger Musikhochschule studiert, dann an der New Yorker Julliard School bei Daniel Ferro. Schnell sang er bei den Bayreuther Festspielen, wo er viele Jahre lang große Rollen übernahm. Erik, David, Froh, Stolzing, Siegmund. Als er den Parsifal singen sollte, zerstritt er sich öffentlich mit dem Regisseur Christoph Schlingensief, weil er meinte, der würde gegen Geist und Inhalt des Werks verstoßen. Da verstand Wottrich keinen Spaß und opferte lieber Karrierechancen als seine künstlerische Integrität. In Bayreuth erlitt er auch seine tiefsten Kränkungen, als ein gnadenloses Publikum den indisponierten Sänger ausbuhte und wenig später jubelte als bekannt wurde, dass er nach dem ersten Akt der "Walküre" nicht weiter singen würde. 2009 trat Wottrich zum letzten Mal bei den Bayreuther Festspielen auf. Auch die Verpflichtungen an die großen internationalen Häuser wurden weniger.
Ein Unbequemer, der sich nicht verbiegen ließ
Zu Beginn der 90er-Jahre war Endrik Wottrich noch eine relativ schmächtige Erscheinung, doch trainierte er über die Jahre so exzessiv als wolle er sich einen Muskelpanzer anlegen gegen die Anfeindungen und Zumutungen des erbarmungslosen Operngeschäfts. In Interviews äußerte er sich zum Drogen- und Medikamentenmissbrauch in der Musikszene und machte sich auch damit keine Freunde. Davon schien er gelegentlich selbst überrascht zu sein, wollte sich aber nicht verbiegen, wenn es um für ihn essentielle Dinge ging. Damit stand er quer zum Operngeschäft, in dem von den Sängerinnen und Sängern vor allem Verlässlichkeit gefordert wird, weniger eine künstlerische Haltung. Nach einigen Jahren, in denen Wottrich vor allem in kleineren Häusern auftrat und unter dem Radar der großen Opernbeobachter blieb, kündigte sich zuletzt ein Comeback an.
Comeback an der Leipziger Oper
An der Leipziger Oper sang er einen hinreißenden Arindal in Richard Wagners selten gespielter Oper "Die Feen". Der dortige Intendant und Generalmusikdirektor Ulf Schirmer hielt zu Wottrich und unterstützte ihn in seinem offenbar angestrebten Fachwechsel vom Heldentenor zum Charakterfach. In anderthalb Monaten sollte er dort den Herodes in Richard Strauss "Salome" singen, dann den Alwa in Bergs "Lulu". Dazu kommt es nun nicht mehr, Endrik Wottrich ist am vergangenen Mittwoch mit 52 Jahren vollkommen überraschend in Berlin gestorben.