Markus Werner ist tot. Er starb mit 71 Jahren in Schaffhausen. Einer der größten Schriftsteller der Schweizer Gegenwartsliteratur nach Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Er war beileibe nicht so politisch wie diese beiden, auch nicht so hellhörig wie Urs Widmer oder Thomas Hürlimann gegenüber den gesellschaftlichen Widersprüchen und historischen Eklats in einem kleinen, reichen Land. Markus Werner war ein Erzähler, der sein Unbehagen am Lärm der Welt, ohne Meinungen vor sich her zu tragen, in erfundenen Geschichten bannte. Er schrieb Romane, die durchdacht und genau konstruiert waren. Sie sind nicht ohne subtilen Humor. Verzweiflung ist bei ihm ein ernste, in ihrer Unausweichlichkeit auch komische nicht nur Gefühls- sondern auch Geistesverfassung. Am Ende lassen Markus Werners Romane, ohne einem düsteren Pessimismus zu verfallen und den Leser in Schwermut zu versetzen, nachvollziehen, wie unmöglich und sinnlos es ist, im Umgang mit dem Vergehen von Zeit, in der Erwartung des Todes, in der Teilnahme am unersättlichen Angebot von Vergnügungen in unserer Gesellschaft einen Trost zu finden- sei es in der Religion, in der Beschäftigung mit Politischem, im Eros, in der Ehe, im Alltag mit seiner Anhäufung von Banalitäten der Zerstreuung. Markus Werners Lebenswerk ist ein Plädoyer für die Schwachen, Zögerlichen, Haltlosen in einer Welt, in der an jeder Straßenecke ein Heilsversprechen wartet. Insofern ist Markus Werners Werk letztlich eine Provokation für eine Gesellschaft, die tagtäglich auf Knopfdruck von allem Ernsten genüsslich abzulenken trachtet.
Ein Stiller seines Fachs
Markus Werner schrieb ohne Eile. Er wer keiner, der sich auf den massenhaft um sich greifenden Literaturfestivals herumtollte und Funkstudios suchte. Er gab kaum Interviews, er war ein Stiller seines Fachs, jemand, der sein Publikum nur über Geschriebenes, also über seine Bücher, suchte – und fand. Nur sieben Romane erschienen zwischen seinem Debüt "Zündels Abgang" von 1984 und seinem letzten Roman "Am Hang" von 2004. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Markus Werner in den vergangenen zehn Jahren nicht weiterschreiben. "Am Hang" ist sein Bestseller, er wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und für das Kino verfilmt. Was darin passiert?
Zwei denkbar unterschiedliche Männer treten auf, der eine ein Anwalt mit Schwerpunkt Scheidungsrecht, ein eingefleischter Junggeselle, ein Schürzenjäger mit enormem Hang zur Vielweiberei, der andere ein Altphilologe und glühender Verfechter der Institution Ehe. Sie philosophieren tüchtig über Liebe, Treue, Seitensprünge, Ehebruch und Sex, wobei sich zur Überraschung des Lesers am Ende herausstellt, dass die beiden Frauen, über die sie bevorzugt reden, mehr miteinander und mit den beiden Herren zu tun haben, als allen lieb ist. "Am Hang" ist ein durchtriebenes Kammerspiel, ein Vexierspiel über Lebenslügen, am Rande der Absurden. In der Lakonie der Sprache, Raffinesse und Disziplin der Erzählweise offenbart sich das literarische Meisterwerk.
Markus Werner war schon vierzig, als er, der mit einer Arbeit über Max Frisch promovierte und wie Peter Bichsel, einem anderen Großen der Schweizer Literatur, viele Jahre an einer Schule unterrichtete, debütierte. "Zündels Abgang" hatte den Zuschnitt einer klassischen Aussteigergeschichte. Vom Gefühl einer omnipräsenten Nichtzugehörigkeit geschüttelt, von den Überforderungen des privaten und beruflichen Alltags gezeichnet, zermürbt und verwahrlost, aber irgendwie auch im Stile eines traurigen Clowns verschwindet von einem Tag auf den anderen der Lehrer Konrad Zündel und hinterlässt ein Konvolut mit Texten. – Nun ist Markus Werner selbst für immer aus dieser Welt verschwunden. Er hinterlässt ein literarisches Werk, das bleibt.