Jasper Barenberg: Kleiner als Zwinger für Hunde waren die Zellen auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island vor der Küste Kapstadts. Nelson Mandela hat es ertragen, wie er vieles andere auch ertragen hat, das eigentlich nicht zu ertragen war, und
hat nach 27 Jahren Haft doch die Kraft gefunden, seinen Peinigern die Hand zu reichen
. Und am Telefon begrüße ich jetzt Bartholomäus Grill, seit vielen, vielen Jahren Korrespondent in Südafrika, Buchautor, Publizist, schönen guten Morgen, Herr Grill!
Bartholomäus Grill: Schönen guten Morgen aus Kapstadt!
Barenberg: Nelson Mandela, Herr Grill, hat seinen ehemaligen Gefängniswärter einmal zu seiner Vereidigung als Präsident eingeladen. Er hat später auch den Staatsanwalt aus dem Prozess gegen ihn, den Rivonia-Prozess, zum Mittagessen gebeten, dieser Wille, dieser unbändige Wille und die Kraft zur Versöhnung, ist das vor allem das Vermächtnis von nelson Mandela?
Grill: Ja, das ist eines seiner wichtigsten Vermächtnisse. Wobei einige seiner Weggefährten kritisiert haben, dass er mit seiner Versöhnung zu weit gehen würde. Er hat ja auch zum Beispiel die Witwe von Verwoerd besucht, das ist die Witwe des Gründers der Apartheid. Aber er hat mir in einem Interview mal gesagt, wir brauchen die Weißen, wir müssen uns versöhnen, das ist die Grundvoraussetzung, der Grundstock für ein neues Südafrika.
Barenberg: Das heißt, da steckt auch eine Portion Pragmatismus in diesem nach Idealismus klingenden Grundsatz?
Grill: Ja. Das hat natürlich auch etwas Berechnendes. Andererseits kommt seine Vergebung vermutlich aus tiefstem Herzen, wir wissen es nicht, wir können nicht in ihn hineinschauen.
Barenberg: Mandela und seinen Beratern war ja offenbar klar, dass die Apartheid über Jahrzehnte tiefe Spuren in der Gesellschaft in Südafrika hinterlassen hat, und Denis Goldberg hat ja auch gerade davon gesprochen, wie schwierig zu begreifen ist, dass es heute noch engstirnig denkende Menschen gibt. Was glauben Sie, wie tief sind die Spuren immer noch?
Grill: Man kann 500 Jahre Kolonialismus und Rassismus nicht in einer Generation überwinden. Das ist eine Aufgabe von vielen Generationen. Und in diesem Land sitzt in manchen Teilen der Bevölkerung der Rassismus nach wie vor sehr tief und er lässt sich auch nicht so einfach überwinden, wenn vor allen Dingen aufseiten der Schwarzen, wenn man nach wie vor in erbärmlichen Verhältnissen lebt.
Barenberg: Kriminalität ist eine große Herausforderung in Südafrika, Massenarbeitslosigkeit, Armut, Kluft zwischen Armen und Reichen. Wie ist eigentlich die Regierungspartei, wie ist der ANC, wie sind auch die beiden Nachfolger von Nelson Mandela als Präsidenten, Mbeki und Jacob Zuma, mit dem Erbe Mandelas umgegangen?
"Man muss manchmal um dieses Land fürchten."
Grill: Die Bilanz ist unterschiedlich. Thabo Mbeki hat mit Abstrichen einigermaßen gut regiert, der jetzige Präsident Jacob Zuma ist meiner Meinung nach eine Katastrophe, er herrscht nur, er regiert nicht, sein Clan bereichert sich, so wie sich auch die Elite des ANC mittlerweile schamlos bereichert, den moralischen Kompass verloren hat und keine Vision mehr für diese Zukunft hat. Also, man muss manchmal um dieses Land fürchten.
Barenberg: Und doch repräsentiert der ANC ja immer noch so was auch wie den Willen Nelson Mandelas, scheint nach wie vor immer noch angenommen zu werden als die Partei, die auch im Namen Nelson Mandelas spricht. Wird sich das jetzt ändern, zumal im nächsten Jahr auch eine Generation wählen kann, die nach dem Ende der Apartheid geboren ist?
Grill: Vermutlich. Allerdings gibt es auch im ANC noch eine Reihe von sehr guten und zuverlässigen Leuten. Es ist so, dass innerhalb der Partei auch massive Kämpfe, Richtungskämpfe laufen, die sich vor allen Dingen jetzt vor den Wahlen verschärfen werden. Aber es steht zu befürchten, dass Jacob Zuma, der Präsident, wiedergewählt wird, denn er ist ein sehr guter Netzwerker. Und vermutlich werden wir ihn nächstes Jahr wieder im Amt sehen.
Barenberg: Was glauben Sie, wer wird dann, wenn es der ANC nicht sein wird und wenn es dort Kämpfe gibt und Kritik auch an der ANC-Führung, wer wird es sein, der die Botschaften nelson Mandelas und seinen Traum auch von der Regenbogennation bewahren wird?
Grill: Es gibt genug Menschen in Südafrika, Vertreter der Zivilgesellschaft, Gründer neuer Parteien so wie Mamphela Ramphele, die sein Erbe aufrechterhalten. Es gibt die Tutus, es gibt Gewerkschaften, es gibt Verbände, es ist eine lebendige demokratische Gesellschaft. Und der Geist, den Mandela in dieses Land getragen hat, der ist da. Gestern hat mir der Erzbischof von Kapstadt gesagt, Mandela hat die Wurzeln der Demokratie gepflanzt, sie sind stark und fest, aber wir müssen sie gut nähren.
Barenberg: Und das wird gelingen, sind Sie da ganz optimistisch?
Grill: Ich bin nach wie vor eher Optimist oder, sagen wir, Realist. Es gibt ja Afropessimisten und Afrooptimisten, die alles rosarot zeichnen. Ich würde sagen, die Wahrheit liegt in der Mitte und Südafrika wird weiter seinen Weg gehen und nicht übermorgen untergehen.
Barenberg: Der langjährige Südafrika-Korrespondent und Buchautor Bartholomäus Grill heute hier live im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Grill!
Grill: Ich bedanke mich auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.