"Bis 1953 – also viele Jahre – habe ich mich als eine gute Kommunistin betrachtet."
Ágnes Heller war begeistert vom marxistischen Philosophen Georg Lukács, von dem sie schließlich promoviert wurde. Heller stammte aus einer jüdischen Familie in Budapest. Ihr Vater wurde Opfer der Judenverfolgung während der NS-Zeit. Ágnes Heller entkam knapp und studierte nach der Befreiung bei Lukács. Die ungarische Kommunistische Partei warf Heller einige Jahre später vor, sich während des Ungarnaufstands 1956 aktiv an den regimekritischen Protesten beteiligt zu haben:
"Deswegen hat man mich aus der Partei ausgeschlossen, deswegen hat man mich aus meiner Position an der Universität ausgeschlossen. Deswegen habe ich ein disziplinarisches Verfahren gehabt."
Jahrelange Repressionen des kommunistischen Staatsapparats in Ungarn führten schließlich dazu, dass Ágnes Heller nach Australien auswanderte. Später nahm sie den Ruf an eine New Yorker Uni an. Nach der Auflösung des Ostblocks 1989 lebte sie auch wieder in Budapest. Philosophisch entfernte sich Ágnes Heller in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr von der großen Fortschritts-Erzählung des Marxismus, die sie als junge Denkerin prägte:
"Doch glaubte ich, dass die Weltgeschichte über Entwicklung, über Fortschritt geht. Dass die Welt immer fortschreitet, vom Primitiven zum Komplizierten, und immer besser und besser wird. Am Ende werden wir doch in eine Welt kommen, wo alle Konflikte gelöst sein werden."
Vom marxistischen Erlösungsdenken zur antiken Tragödie
Von diesem Erlösungsdenken hatte Ágnes Heller sich verabschiedet. Philosophisch interessierte sie sich – inspiriert wohl vor allem von Lukács – auch für die Literatur und das Theater. Sie ging etwa der Frage nach, warum die Philosophie seit der Antike zur Tragödie ein anderes Verhältnis hatte als zur Komödie:
"Es ist doch eine Art Familienverhältnis zwischen Philosophie und Tragödie. Die Tragödie hat ein Ende. Danach gibt es nicht etwas, denn meistens sind die Menschen gestorben, es kann nicht weitergehen. In der Philosophie gibt es auch das Ende, das ist die Wahrheit, die wir gefunden haben. Man kann nicht weitergehen, wie Hegel sagte: Das Wahre ist das Ganze. Schluss. Aus. Das ist das Ende der Geschichte."
Die Komödie, so Heller, sei anders. Sie sei heterogen. Es bleibe vieles in der Schwebe. Komische Romane seien sehr oft Fortsetzungsromane, verschiedene Geschichten in einem Buch miteinander verflochten.
Kampf gegen Orbán den Tyrannen
Die Fortsetzung einer politischen Geschichte jedoch wollte Ágnes Heller in ihren letzten Lebensjahren verhindern. Nämlich die des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán an der Spitze ihres Heimatlandes. Orbán hat sicher seinen Teil dazu beigetragen, dass Ágnes Heller lange vor ihrem Tod pessimistischer geworden war als früher. Sie war eine leidenschaftliche Kritikerin des umstrittenen ungarischen Staatschefs, dem sie vorwarf, das Land von einer Demokratie in einen autoritären Staat zu verwandeln:
"Ungarn ist schon eine Tyrannei. Wir haben einen Tyrannen, er ist Orban genannt. Was in Ungarn passiert, passiert nur, weil er es so will. Alles, was er will, wird passieren. So etwas nenne ich sehr kurz: eine Tyrannei."
Ágnes Heller forderte die liberal denkenden Europäerinnen und Europäer immer wieder auf, sich dem Vordringen des aggressiven Nationalismus auf dem Kontinent entschlossen entgegenzustellen. Auch um eine Wiederkehr des Faschismus zu verhindern:
"Das ist wesentlich die Aufgabe der Heutigen in Europa, mindestens der in Europa Lebenden und Überlebenden, dass die ethnischen Nationalisten, die Protofaschisten die Macht nicht in Europa erobern sollen. Das ist die Aufgabe."
Dies ist das politische Vermächtnis der Ágnes Heller, die in ihrem Leben mehrere Totalitarismen hautnah zu spüren bekam. Philosophisch hinterlässt sie eine ethische Schlüsselfrage zum Verhalten in Diktaturen:
"Die Frage ist nun die Folgende: Auch wenn man sich selbst anlügt, ist es notwendig, auch ein schlechter Mensch zu sein oder nicht? Und das ist keine leichte Frage. Man kann sich einem totalitären Regime anpassen bis zu einer Grenze. Aber man muss Grenzen haben. Das ist sehr wichtig. Eine Grenze muss man sich selbst stellen."