Anja Niedringhaus‘ Bilder waren subtil:
Stiefel baumeln an Schnürsenkeln von einem Zaun - als Andenken an 30 mit dem Hubschrauber abgeschossene Soldaten. Ein rot gekleideter Weihnachtsmann besucht Soldaten im Irak. Ein Getöteter ist nur noch durch Kleiderfetzen und einen dunklen Schatten zu erahnen.
Ihre ungewöhnlichen Perspektiven machten die AP Fotografin weltberühmt, auch wenn die Fotos selten unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht wurden.
"Eigentlich finde ich das dann normal, dass man irgendwann ne eine eigene Bildersprache hat. Ich kann gar nicht anders. Ich hab ja den Fotografenberuf eigentlich nie gelernt. Das wichtigste ist wenn man das Auge hat."
Ihre Leidenschaft für Details abseits des Kriegsgeschehens ließen die Betrachter erahnen, was Krieg wirklich bedeutet. Anja Niedringhaus‘ Bilder waren ein stilles Plädoyer für ein Ende der Gewalt.
"Die kämpfenden Parteien sind ja eigentlich die Männer. Aber in jedem Krieg geht das normale Leben der Zivilisten auch weiter. Und das sind meistens dann die Frauen und Kinder. Deswegen fällt das so auf. Was ich eigentlich zeigen möchte ist, dass in dieser ganzen Unmenschlichkeit eines Kriegs ein ganz menschliches Leben weiter geht und auch weiter gehen muss."
Mehr als einmal fand Anja Niedringhaus keine Zeit zum Fotografieren, weil sie immer auch Mensch blieb, lieber den Verletzen half als auf den Auslöser zu drücken.
"In Sarajewo hab ich damals bei einem Bombenangriff viele verletzte Zivilisten ins Krankenhaus gefahren. Und danach ist mir aufgefallen, ich hab gar nicht fotografiert. Ich möchte ja jeden morgen auch noch in den Spiegel gucken. Ich glaube, es hat erst mal Priorität Menschen zu helfen als zu sagen ich fotografiere das jetzt erst und dann helfe ich."
Bei aller Professionalität ging es der Fotografin nie nur um Kriegsberichterstattung. Sie wollte Veränderungen anzustoßen.
"Wenn wir nicht konstant, immer wieder über eine eingeschlossene Stadt berichtet hätten, wäre wahrscheinlich heute Sarajewo immer noch belagert."
Für ihre Berichterstattung aus dem Irak wurde sie als erste deutsche Fotografin mit dem amerikanischen Pulitzerpreis geehrt. Nicht nur für ihre ungewöhnlichen Perspektiven, sondern auch für ihre unerschrockene Berichterstattung.
"Ich war mit den Marines embedded und das war genau in der Zeit als diese ganzen Folterungen bekannt wurden, die im Abu Graib Gefängnis in Bagdad passiert sind. Also Water Boarding und so weiter. Und ich war mit dieser Einheit unterwegs in Bagdad auch im Bezirk Abu Graib. Und es gab eine Razzia von Häusern. Dann hat man die Männer raus geführt und wieder diese Sandsäcke über den Kopf gezogen. Und obwohl zwei oder drei Tage vorher erzählt wurde, das gibt’s nichts mehr. Dann hab ich das fotografiert. Dann wurde ich erst mal aus dem embed raus geschmissen."
Anja Niedringhaus war aber nie nur in Kriegen unterwegs. Sie berichtete auch von jedem größeren Sportereignis. Um selbst nicht abzustumpfen und Krieg nicht irgendwann als Normalität zu begreifen, wie sie immer wieder betonte. Sie sah sich vor allem als Geschichtenerzählerin, die nie verlernen wollte, auch mal herzhaft zu lachen.
"Seit 10 Jahren bin ich in Afghanistan. Ein Krieg der länger geht als der Erste und Zweite Weltkrieg zusammen. Ich werde so lange darüber berichten, bis dieser Krieg zu Ende ist. Und das ist die Aufgabe. Ich kann nicht sagen, pff, Afghanistan, jetzt mach ich mal was Neues. Ich bleibe eigentlich immer bei der Geschichte bis sie zu Ende ist. Selbst wenn die Truppen abziehen, ist die Geschichte nicht zu Ende. Das ist mein Leben, ich kann gar nichts anderes. Ich glaub, ich würd das machen, bis ich nicht mehr laufen kann."
Nun wurde Anja Niedringhaus in Afghanistan von einem Polizisten gezielt erschossen. Die Welt hat eine wichtige Chronistin der Unmenschlichkeit des Krieges verloren.