Brigitte Kronauer, 1940 in Essen geboren, lebte in Hamburg, wo sie am gestrigen Montagvormittag verstarb. Ihr Werk wurde unter anderem mit dem Fontane- Preis der Stadt Berlin, mit dem Heinrich- Böll-Preis, dem Hubert-Fichte-Preis der Stadt Hamburg, dem Joseph-Breitbach-Preis, dem Jean-Paul-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet. 2005 wurde ihr von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Büchner-Preis verliehen.
Neues Werk: Das Schöne, Schäbige, Schwankende
Am 9. August erscheinen Brigitte Kronauers Romangeschichten "Das Schöne, Schäbige, Schwankende" im Klett-Cotta Verlag.
"Interessanterweise hat Brigitte Kronauer in den 70er-Jahren in kleinen Alternativzeitschriften angefangen. Das ist angesichts ihrer späteren Berühmtheit in Vergessenheit geraten.", sagte der Literaturkritiker Helmut Böttiger im Büchermarkt.
"Es ging ihr um die Form"
"Sie war Lehrerin und mit 31 hat sie plötzlich beschlossen, eine freie Schriftstellerin zu sein – und sie veröffentlichte erste kleine Bücher mit kurzen Prosastücken in Verlagen, die Namen hatten wie ‚Verlag Bert Schlender, Göttingen’ oder ‚Dreibein Verlag, Hamburg’. In der schönen Freiburger Literaturzeitschrift ‚Nachtcafé’ hat sie 1977 eine schöne Geschichte geschrieben, die den Titel trägt ‚Ende für einen Anfang’. Das ist schon sehr programmatisch, dass sie am Anfang nach dem Ende sucht, wo die Literatur münden könnte – und das ist sehr programmatisch, weil sie sich von der damals grassierenden Ich-Literatur und der Neuen Subjektivität, diese Selbstbefragungen, radikal losgesagt. Es ging ihr um die Form, es ging ihr um die Konstruktion, und das wirkte schon in der Alternativszene damals wie eine Provokation."
Es gibt keinen objektiven Lebenslauf
Mit eben diesem Ansatz habe Kronauer konsequent weitergeschrieben – eine Literatur, die das Künstliche zum Prinzip erhebt, vergleichbar mit dem französischen "nouveau roman". Für eine in Fabeln verkleidete Pädagogik wollte sich die Schriftstellerin nach eigenen Angaben "nicht missbrauchen" lassen.
Helmut Böttiger: "Sie hat Formen von Identität immer aufgelöst in ihrem ersten Buch, im etablierten, bürgerlichen Verlag Klett-Cotta, 1980 mit ‚Frau Mühlenbeck im Gehäus’ hat sie das genauso praktiziert. Das ist eine künstliche Inszenierung. Es gibt keinen objektiven Lebenslauf. Das genaue Abschildern von Wirklichkeit ist ein sehr entfremdeter Vorgang. Die Wirklichkeit interessiert sie zwar, sie interessiert sich für soziale Verhältnisse, aber das ist mehr ein spöttischer Blick, der auf Kleinigkeiten, auf Details achtet. Es geht nie um eine in sich geschlossene Handlung."
Der Georg-Büchner-Preis 2015 war aufgrund dieser ungewöhnlichen, gebildeten, artifiziellen Weise, in der Brigitte Kronauer über mehrere Jahrzehnte hinweg geschrieben hat, geradezu unumgänglich.