Gerd Müller wird seit Jahrzehnten als "Bomber der Nation" bezeichnet. Das sei einerseits "vollkommen gerechtfertigt", weil Gerd Müller unglaublich viele Tore für den FC Bayern und die Nationalmannschaft geschossen hat, so der Historiker Hans Woller im Dlf-Gespräch. Andererseits werde Müller dadurch auf das Tore schießen reduziert und dabei vergessen, dass er ein kompletter Fußballspieler gewesen sei. Woller erinnert dabei an die Beidfüßigkeit, das Kopfballspiel, die Technik und die Körperbeherrschung der Bayern-Legende. Müller werde mit seinen Erfolgen – unter anderem den EM- und den WM-Titel und der dreimalige Gewinn des Europapokals der Landesmeister mit den Bayern – in Erinnerung bleiben.
Insbesondere habe er den FC Bayern München geprägt, erzählt Woller, der die Biografie "Gerd Müller – oder wie das Geld in den Fußball kam" verfasst hat. Um Müller herum habe der Verein eine "goldene Generation" mit Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Franz "Bulle" Roth und Paul Breitner gehabt. Spiele entschieden habe aber häufig Müller: "Ohne ihn wäre selbst der Kaiser Franz Beckenbauer vermutlich ohne Kleider dagestanden."
Im kleinen Kreis witzig und schlagfertig
Müller sei in seiner Persönlichkeit häufig unterschätzt worden: "Er wird gerne als eindimensionaler Mensch dargestellt", so Woller. Der Stürmer habe sich bei öffentlichen Auftritten schwer getan und Interviews gescheut: "Nicht zuletzt wegen seines Dialekts hat man ihn ständig unterschätzt." Im kleinen Kreis sei Müller aber schlagfertig und witzig gewesen: "Er hatte beispielsweise eine Fähigkeit, Spiele mit witzigen und treffenden Bemerkungen zu analysieren." Müller sei ein "vollkommen authentischer Mensch" gewesen: "Gerd Müller war so einer, der nicht in irgendwelchen gestanzten Formeln geredet hat, sondern so, wie er es empfunden hat, hat er gesprochen." In dieser Hinsicht unterscheide sich Müller vom heutigen abgehobenen Fußball, sagte Woller.
Müller ist im bayerischen Nördlingen in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hat die Schule nach der achten Klasse verlassen. Damit sei der ehemalige Bayern-Spieler "der soziale Aufsteiger par excellence". Er sei "von ganz unten" gekommen, habe sich in München zurechtfinden müssen und sei dort als Exot herumgereicht worden. Müller habe sich beim FC Bayern und auch beim DFB schwer getan und er sei dort trotz seiner Leistungen auch belächelt worden, analysiert Woller.
Nach der Karriere der Absturz - und Hilfe vom FC Bayern
Gleichzeitig habe der FC Bayern Gerd Müller "eine helfende Hand gereicht", als der nach seiner Karriere in den Alkoholismus abgerutscht war: "Das muss man dem Verein sehr, sehr hoch anrechnen." Der Verein hat eine Entziehungskur für den ehemaligen Spieler organisiert und finanziert und ihm eine berufliche Perspektive als Trainer geboten. Der Verein habe die Hilfe aber auch aus Image-Gründen angeboten: "Der Verein hätte sich gänzlich unmöglich gemacht, wenn man einen solchen Star nicht gerettet hätte."
Woller bleibt neben den fußballerischen Leistungen vor allem Müllers Persönlichkeit in Erinnerung: Seine Hilfsbereitschaft und seine Großzügigkeit: "Auch in seiner ganzen Unbeholfenheit ist er einer, der heraussticht aus dem modernen Fußball, wo sich alles nur ums Geld dreht und es diese Form von Glaubwürdigkeit und Bodenständigkeit nicht mehr gibt, die ein Gerd Müller verkörpert hat."
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