Archiv

Zum Tod von Gert Voss
"Ich möchte die Leute in den Sog meiner Geschichte ziehen"

Gert Voss war ein Schauspieler mit außerordentlicher Bühnenpräsenz. Er arbeitete mit Regisseuren wie Peter Zadek, George Tabori, Luc Bondy und Peter Stein zusammen und suchte sich doch seine eigenen Wege im Theater. Er starb jetzt mit 72 Jahren.

Von Günter Kaindlstorfer | 14.07.2014
    Der Schauspieler Gert Voss, aufgenommen in Köln bei der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises 2010.
    Der Schauspieler Gert Voss ist tot (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Eine Prise Wahnsinn gehört dazu, wenn Theater berühren, bewegen, elektrisieren soll. Keiner wusste das besser als Gert Voss:
    "Alle Schauspieler, alle guten Schauspieler sind verrückt. Das ganze Theater ist verrückt. Theaterleute, verrückte Leute, Theaterwelt, verrückte Welt: Das ist irrsinnig wahr, was diesen Beruf betrifft, denn was machen wir denn eigentlich? Wir geben vor, ein anderer zu sein oder einen anderen zu spielen und verlangen von den Menschen, dass sie uns glauben, dass wir der sind. Und das Publikum spielt dieses Spiel mit, wenn ich es gut spiele. (…) Wir dürfen nicht an die theatralische Kunst denken, wenn wir spielen. Wir dürfen nicht an Shakespeare denken, wenn wir Shakespeare spielen.“
    Gert Voss war ein quecksilbriger, fiebriger und impulsiver, zugleich ein unerhört rationaler Schauspieler, ein Mann von außerordentlicher Bühnenpräsenz, leidenschaftlich und auf vitale Weise unmanieriert in seinem Zugriff auf die großen Rollen der Weltliteratur. Wer das Privileg hatte, Gert Voss als Woyzeck oder Shylock, als Prospero, Tartuffe oder Mephisto, als Lear oder Othello zu erleben, dem haben sich diese Auftritte eingebrannt wie sonst selten etwas auf dem Theater. Unvergessen: Sein Auftritt als Richard III., ein Stück, mit dem Regisseur Claus Peymann Mitte der 80er Jahre seinen Einstand als Direktor des Wiener Burgtheaters gab:
    "Schuldig, schuldig! (Weint). Ich werd‘ verzweifeln. Keiner, der mich liebt!"
    "Ich habe große Lust, Leuten etwas vorzumachen. Ich möchte die Leute in den Sog meiner Geschichte ziehen. Und das geht darüber, dass ich so bin, dass sie anfangen, mir das zu glauben. Und da ist mir jedes Mittel recht."
    Mitte der 80er-Jahre, als einer der Stars in Peymanns neuem Burgtheater, galt Gert Voss, zumindest in Wien, noch als umstrittener Schauspieler. Damals schickten ihm empörte Abonnenten per Post Geschenkpakete mit fäkaler Füllung, weil er als Teil der verhassten Peymann-Camarilla galt; auch vor Morddrohungen schreckten Teile des konservativen Wiener Publikums nicht zurück. Voss kommentierte das eher cool:
    "Es gab immer welche, die mich schlichtweg nicht mochten, und andere mochten mich."
    Bis zu seinem 21. Lebensjahr hat sich Gert Voss für Theater nicht im geringsten interessiert. 1941 als Sohn einer deutschen Kaufmannsfamilie in Shanghai geboren, kam der Siebenjährige 1948 nach Deutschland, und zwar ins zerbombte Hamburg. Die erste Sprechtheater-Begegnung seines Lebens: "Der gestiefelte Kater" im Thalia-Theater, eine offenbar traumatisierende Erfahrung, wie der Schauspieler in seiner 2011 erschienen Autobiographie geschrieben hat. Damals hätte sich Voss, der erst als junger Mann auf dem Umweg übers Studententheater zur Bühne fand, nicht träumen lassen, dass er dereinst als sogenannter Großschauspieler mit Regisseuren wie Peter Zadek, George Tabori, Luc Bondy und Peter Stein arbeiten würde. So sehr er diese von ihren Temperamenten her so unterschiedlichen Theatergötter verehrt hat - Gert Voss hat doch seine eigenen Wege gesucht auf der Bühne, ohne sich dabei in Diva-Allüren zu ergehen.
    „Ich will mal so sagen: Ein Regisseur wäre nichts ohne Schauspieler. Ein Schauspieler wiederum könnte alleine – denken Sie an einen großen Clown – spielen, der braucht keinen Regisseur. Ich bin aber der Meinung, wenn mehr als zwei Leute auf der Bühne stehen, dann braucht man einen Regisseur. Und selbst wenn man alleine auf der Bühne steht, braucht man unten jemanden, der einem sagt, ob das so runterkommt oder nicht.“
    "Wäre ich, wofür ich gelte, ein Verräter, ich hätte mir den guten Schein gespart, die Hülle hätt ich dicht um mich gezogen, dem Unmut Stimme nie geliehen. Kühn war das Wort, weil es die Tat nicht war."
    An anderen Schauspielern - und seien sie noch so berühmt und adoriert gewesen - hat Gert Voss sich nie orientiert.
    "Das wäre ja genauso, als wenn ich bei meinem Richard III. immer an Laurence Olivier hätte denken müssen, wie der den Richard gespielt hat. Ich hab mir damals sogar den Film angeschaut mit Olivier, aber das hat mir überhaupt nichts gebracht. Man muss seinen eigenen Weg dazu finden."
    Dass Gert Voss seine eigenen Wege gefunden hat auf der Bühne, das hat auch Thomas Bernhard beeindruckt. Zuletzt stand Voss im Burgtheater in Bernhards "Einfach kompliziert" auf der Bühne:
    "Sie dachten, sie feierten meinen letzten Geburtstag, meinen siebzigsten. Aber sie haben auch meinen Achtzigsten zu feiern! Hahahaha!"
    Dass die Theaterwelt Gert Voss’ 80. Geburtstag nicht mehr feiern darf, ist eine Nachricht, die keine Theaterfreundin, keinen Theaterliebhaber unberührt lassen wird.