Archiv

Zum Tod von Gudrun Pausewang
Erziehung zur Mündigkeit

Egal, ob sie für Kinder oder Erwachsene schrieb, Gudrun Pausewang griff in ihren Büchern immer wieder politische Themen auf. Für die Tochter überzeugter Nationalsozialisten wurde die Beschäftigung mit der NS-Ideologie, mit Krieg und Flucht, aber auch mit Umweltzerstörung und Atomkraft zentral.

Von Ines Dettmann | 24.01.2020
Die Autorin Gudrun Pausewang lächelt am 13.10.2017 bei der Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises 2017 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main (Hessen). Die politisch engagierte 89-Jährige erhielt den Sonderpreis für ihr Gesamtwerk. (zu dpa "Jugendliteraturpreis vergeben - Sonderpreis für Gudrun Pausewang" vom 13.10.2017) Foto: Arne Dedert/dpa | Verwendung weltweit
Hat mit ihren Büchern Spuren hinterlassen: Gudrun Pausewang ist im Alter von 91 Jahren gestorben (dpa)
Gudrun Pausewang schrieb über 90 Bücher. Zuerst war es Belletristik, aber bekannt wurde sie vor allem durch ihre Kinder- und Jugendliteratur. Eins ihrer wichtigsten und bekanntesten Werke verfasste sie nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986. Der Roman "Die Wolke" erschien 1987, wurde Schullektüre und zeigt die Autorin als erklärte Atomkraftgegnerin. Gudrun Pausewang war zeit ihres Lebens eine politische Schriftstellerin und engagierte Bürgerin, die sich für aktuelle Themen ebenso einsetzte wie für die Erinnerungskultur und gegen das Vergessen. Sie sagte im Deutschlandfunk:
"Man muss besser schreiben für Kinder und man sollte so schreiben, das jedes gute Kinderbuch auch interessant ist für Erwachsene."
Verantwortung übernehmen
Gudrun Pausewang hat mit dieser Haltung weit über 60 Kinder- und Jugendbücher geschrieben, bis sie mit 88 Jahren befand, dass sie nun zu alt zum Schreiben sei. Angefangen hatte ihr Schriftstellerleben Ende der 1950er Jahre mit Erwachsenenliteratur, Geschichten, in denen südamerikanische Themen problematisiert wurden. Sie arbeitete damals an Deutschen Schulen und bereiste den gesamten südamerikanischen Kontinent. 1963 kehrte sie nach Deutschland zurück, studierte Germanistik und blieb ihr Leben lang Lehrerin. So verwundert es nicht, dass sie irgendwann begann, für Kinder und Jugendliche zu schreiben. In den 1980er Jahren entstanden die vielfach ausgezeichneten Klassiker "Die letzten Kinder von Schewenborn" und "Die Wolke". Später folgten auch heitere Kindergeschichten wie "Der Spinatvampir" oder "Wer hat Angst vor Räuber Grapsch?"
Immer ging es Gudrun Pausewang um Botschaften und um einen pädagogischen Mehrwert von Literatur, aber auch um das Erinnern. Sie wollte ihren jugendlichen Lesern Werte vermitteln. Politische Haltungen und die Mündigkeit des Menschen, beides spielt eine wichtige Rolle in der Demokratie und der Gesellschaft, das beschäftigte sie.
"Ja, das ist ein ganz wichtiges Thema, das man ständig wachsam sein soll und als Basisbürger eines einigermaßen funktionierenden demokratischen Systems sich ständig mitverantwortlich fühlen sollte für das, was politisch im Land, und nicht nur im Land, vorgeht und danach handeln sollte. Und eine Tugend, die in meinen Augen eine ganz wichtige und leider ziemlich vernachlässigte Tugend in unserem deutschen Erziehungssystem ist, das ist die Zivilcourage."
Geschichten gegen das Vergessen
In den autobiografisch gefärbten Erzählungen und Kurzgeschichten "Ich war dabei – Geschichten gegen das Vergessen", die sie 2004 veröffentlichte, ist Zivilcourage ein zentrales Thema. Gudrun Pausewang war 17 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg endete. Je älter sie wurde, umso mehr bewegten sie die Aufarbeitung der Nazizeit und der Dialog der Generationen.
"Ich glaube, man kann Jugendliche mit sehr vielen Themen bewegen. Sie müssen aber über das Buch das Gefühl bekommen, diese Autorin oder dieser Autor nimmt uns ernst. Und das war auch für mich als Jugendliche, als kindliche und jugendliche Leserin, ein ganz wichtiges Detail in Bezug auf die Bewertung eines Buches. Nimmt mich dieser Autor, nimmt mich diese Autorin ernst, als kindliche, als jugendliche Leserin? Und es gibt so viele Themen, die heutige Jugendliche bewegen können, eines der wichtigsten Themen ist für mich die Aufarbeitung und die immer wieder Bewusstmachung der Nazizeit."
Gudrun Pausewang vertraute den jugendlichen Lesern, die sie nie unkritisch betrachtete, aber immer positiv bestärken, begeistern und zum Dialog anregen wollte.
"Und ich kann immer wieder nur deutlich machen: Glaubt es nicht, ihr jugendlichen Leser, wenn die Alten behaupten, sie hätten damals nichts gewusst von all den Unmenschlichkeiten, die in der Nazizeit passiert sind. Das ist eine Schutzbehauptung. Sie wollen damit signalisieren, dass sie nicht mitschuldig sein wollen. Man hat nicht alles gewusst, aber sogar ich mit meinen 17 Jahren zum Kriegsende, ich habe eine Menge an Unmenschlichkeiten mitgekriegt."
Kämpferin gegen Atomkraft
Nach der Havarie des Atomkraftwerkes am 26. April 1986 in Tschernobyl schrieb Gudrun Pausewang als Umweltaktivistin und Atomkraftgegnerin den Jugendroman "Die Wolke". Die 14-jährige Janna-Berta erlebt nach einem Reaktorunfall die furchtbaren Folgen der Katastrophe. Ihre Eltern und ihre Brüder sterben, ihr Zuhause liegt in der verstrahlten Zone. Immer wieder gerät das Mädchen an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit. Es ging Pausewang in dem Roman nicht nur um die schrecklichen Erlebnisse der jugendlichen Protagonistin nach dem Supergau, sondern auch um das Versagen der Politik nach dem Unfall, der erst zwei Tage später offiziell gemeldet wurde. Gudrun Pausewang mutete ihren jugendlichen Lesern bewusst etwas zu, was ihr von Eltern und Erziehern auch Kritik einbrachte. In einem Interview 2006 zur Verfilmung des Romans "Die Wolke" sagte sie.
"Ja, dazu muss ich sagen, leider Gottes wird die Angst vielfach verteufelt. Die Angst ist uns mitgegeben worden aus Urzeiten, um uns zu schützen. Wenn wir keine Angst empfinden könnten, gäbe es uns als Gattung schon längst nicht mehr. Mein Anliegen, wenn ich solche Bücher schreibe: Wir müssen eben die Angst umsetzen in Tätigkeit, in die Abwehr solcher Gefahren."
Am 11. März 2011 nach den Störfällen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima war "Die Wolke" dann wieder erschreckend aktuell und Gudrun Pausewang eine gefragte Interviewpartnerin. Nach dem Reaktorunfall in Japan greift sie in hohem Alter das Thema Atomkraft erneut auf und schreibt den Roman "Noch lange danach".
Lesen als Horizonterweiterung
Gudrun Pausewang hat mit ihren Büchern Spuren hinterlassen und dafür auch viel Anerkennung erhalten: Für den Roman "Die Wolke" erhielt sie viele Auszeichnungen, unter anderem 1988 den Deutschen Jugendliteraturpreis. 2009 zeichnete man sie mit dem großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach für ihr Lebenswerk aus. 2017 wurde Gudrun Pausewang bei der Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises /für ihr Lebenswerk/ auf der Frankfurter Buchmesse mit großem Applaus und Standing Ovations gefeiert. In ihrer Dankesrede sagte sie:
"Ich habe mich riesig gefreut, als ich von der Ehrung erfuhr, wegen der ich jetzt hier stehe. Gerade in einer Zeit, in der das Buch immer stärker Konkurrenz von Seiten anderer Medien bekommt und das Lesen als Freizeitbeschäftigung bei vielen Jugendlichen in den Hintergrund getreten ist, ist es wichtig, für diese Art der Horizonterweiterung zu werben! Denn das Lesen fördert nicht nur im Kindesalter die Phantasie, die Vorstellungskraft und das Wissen, sondern entführt auch in neue Welten, die zu entdecken sich lohnt!"