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Zum Tod von Günter Kunert
"Ein politisch denkender und beobachtender Mensch"

Schreiben bedeutete für Günter Kunert immer einen Versuch mit der Welt, in der er lebte, fertig zu werden, sagte Verleger Jo Lendle im Dlf. Geprägt durch die NS-Zeit und die DDR habe er die Welt schonungslos betrachtet. Für das Multitalent sei die Lyrik aber immer das Wichtigste gewesen.

Jo Lendle im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
11.02.2019, Schleswig-Holstein, Kaisborstel: Günter Kunert, Schriftsteller, sitzt während eines Interviews anlässlich seines neunzigsten Geburtstages in seinem Haus.
Günter Kunerts Spitzname "Kassandra von Kaisborstel" bezog sich auf seinen satirischen, schalkhaften und auch manchmal melancholischen Blick auf das Zeitgeschehen (dpa / Georg Wendt)
Günter Kunert wurde 1929 in Berlin geboren. Als Sohn einer Jüdin durfte er in der NS-Zeit nur die Volksschule besuchen. Viele seiner Verwandten wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Mit 19 trat Kunert in die SED ein. Als er aber 1976 den Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann unterschrieb, wurde ihm die SED-Mitgliedschaft entzogen und er bekam ein Visum für einen mehrjährigen Aufenthalt im Westen. Mit seiner Frau Marianne und sieben Katzen verließ er 1979 Ost-Berlin und fand in Schleswig-Holstein, etwa 60 Kilometer nordwestlich von Hamburg, ein neues Zuhause.
Buchcover von dem Buch "So und nicht Anders" von Günter Kunert
Literaturkritiker Martin Opitz zum Tod von Günter Kunert
Günter Kunerts Literatur war geprägt von einem "erkenntnisfördernden Pessimismus", sagte der Literaturkritiker Michael Opitz im "Büchermarkt".
In dem Dörflein Kaisborstel schätzten die Menschen den Dichter als einen freundlichen, zugewandten Mann. Der Spitzname: "Kassandra von Kaisborstel" bezog sich auf seinen satirischen, schalkhaften und auch manchmal melancholischen Blick auf das Zeitgeschehen. Der Verleger Jo Lendle vom Hanser-Verlag über das Multitalent Günter Kunert:
"Er war in großen Teilen seines Werks ein politisch denkender und beobachtender Mensch, aber er hat auch viel über das Leben an sich nachgedacht. Er war nicht nur ein Lyriker, er war ein Erzähler, er hat Hörspiele geschrieben, er war ein großer bildender Künstler. Doch ich glaube, für ihn war die Lyrik das Wichtigste. Das war sein Grund, auf dem er stand."
Abschied mit einem letzten Gedichtband
Zu seinem 90. Geburtstag im März diesen Jahres ist ein Roman erschienen, den der Schriftsteller Günter Kunert bereits 1975 abgeschlossen hatte: "Die zweite Frau". Mitte der 70er-Jahre hatte der Autor das Werk für absolut undruckbar befunden, denn es handelt sich dabei um eine satirische Abrechnung mit dem Realsozialismus der DDR, also mit der Pervertierung einer Idee, an die Günter Kunert selbst einmal geglaubt hatte.
Im Dlf würdigte der Verleger Jo Lendle das letzte Buch seines Autors, dessen Erscheinen er nicht mehr erlebt hat:
"Es hat mich so erschüttert, dass Kunert am Tag vor dem Erscheinen seines nun letzten und damit 43. Buchs im Hanser Verlag gestorben ist. Es ist der Gedichtband mit dem Titel: "Zu Gast im Labyrinth". Darin wirft er auch sehr viel ruhigere, in sich gekehrte Blicke aufs Älterwerden und auf die Nähe des Todes."