Für ein Bach-Konzert wäre er 200 Kilometer mit dem Auto gefahren. Und nachts wieder zurück. Für Franz Liszt jedoch keine 15 Kilometer. Und auf die Frage "Wie weit würden Sie für Wagner fahren?" antwortete er: "Bestimmt nicht nach Bayreuth. Mir ist das Drum und Dran, das Getue der Wagnerianer nicht sehr lieb."
Helmut Schmidt zog die Barockmusik immer mehr an als alle Klassik und Romantik. Heinrich Schütz, Pachelbel, Buxtehude, vor allem aber Bach, Telemann, Vivaldi und Purcell.
Als er 1974 ins Bonner Palais Schaumburg einzog, ließ er das Projekt "Kunst im Kanzleramt" ins Leben rufen, mit Ausstellungen und Hauskonzerten. Der Regent wollte sich Zeit nehmen für persönliche Gespräche mit Malern, Musikern, Literaten und Kunstvermittlern.
Kleiner Beitrag zur ideellen Wiedergutmachung
Für Schmidt stellte die "Kunst im Kanzleramt" auch einen kleinen Beitrag zur ideellen Wiedergutmachung an Künstlern dar, die im Dritten Reich verfemt worden waren. Denn als junger Hamburger Schüler war er empört darüber, dass die Gemälde von Franz Marc, Emil Nolde, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, Oskar Kokoschka oder Paula Modersohn-Becker als "entartet" galten. "Wenn die so etwas verbieten", habe es ihm damals gedämmert, "dann stimmt etwas an der Richtung nicht".
Während seiner Kanzlerschaft gelang es ihm, den englischen Bildhauer Henry Moore für die Anfertigung einer großen Skulptur auf dem Vorhof des Kanzleramts zu gewinnen. So entstand mit dem Guss der über fünf Tonnen schweren Bronze "Large Two Forms" ein Wahrzeichen der späten Bonner Republik.
Je länger seine Kanzlerschaft währte, desto häufiger scheute er sich nicht, seine künstlerischen Vorlieben zum öffentlichen Ereignis zu machen.
Künstlersozialversicherungsgesetz für selbstständige Künstler und Publizisten
Auf der Schlussgeraden seiner Kanzlerschaft sicherte sich der konservative Sozialdemokrat bei Künstlern ein bleibendes Verdienst. So trat am 1. Januar 1983 das Künstlersozialversicherungsgesetz für selbstständige Künstler und Publizisten in Kraft.
Seine kulturpolitische Bilanz im Kanzleramt konnte sich sehen lassen. Auch wenn er die Chancen der Demokratie, als Bauherr aufzutreten, im Gegensatz zu seinem Nachfolger Helmut Kohl nur begrenzt nutzte. Oder die spätere Einführung eines Kulturstaatsministeriums unter Gerhard Schröder als blankes "Renommier- und Repräsentationsgehabe" der Politik geißeln sollte.
So war Helmut Schmidt im Vergleich ein viel kunstsinnigerer Regent als der von politisierenden Schriftstellern so vergötterte Marschmusikliebhaber Willy Brandt.
Weshalb ihn auch das ewige Klischee vom pragmatisch beschränkten Macher immer ein wenig kränkte, reduzierte es doch seine politischen Talente aufs Krisenmanagement und ignorierte seine Kompetenzen in ästhetischen Fragen.
Mit seiner häufig schulmeisterlichen Arroganz war Schmidt jedoch nie ganz unschuldig an der fehlenden Anerkennung unter Geistesarbeitern.
Doch Helmut Schmidt sollte als Elder Statesman, "Zeit"-Herausgeber, Buchautor und Weltökonom alle seine linksintellektuellen Gegner noch lange Jahre Lügen strafen.