Archiv

Zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher
"Sie war immer aufseiten von Bildung und Kultur"

Der Kampf für eine bessere und breitere Bildung war Bestandteil ihrer gesamten politischen Haltung, sagte der Schriftsteller Fred Breinersdorfer im DLF über die verstorbene FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher. Auch als junger Mensch habe er sich gerne an der "Grande Dame" orientiert. "Sie war immer ein Leuchtturm", betonte Breinersdorfer.

Fred Breinersdorfer im Gespräch mit Änne Seidel |
    Hildegard Hamm-Brücher nimmt am 17.03.2012 an einer Fraktionssitzung von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin teil. Hamm-Brücher war als Wahlfrau für die Bundesversammlung eingeladen. Foto: Kay Nietfeld dpa | Verwendung weltweit
    "Sie war auch wichtig, weil sie als erste namhafte Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten angetreten ist", sagte der Schriftsteller Fred Breinersdorfer über Hildegard Hamm-Brücher. (dpa)
    Änne Seidel: Zwei Buchstaben stehen am Anfang dieser Sendung, das "F" und das "D", die ersten beiden Buchstaben des Kürzels "FDP", kurz für "Freie Demokratische Partei". Denn es waren diese beiden Buchstaben, die die langjährige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher ihr Leben lang hochgehalten hat: Das "F" wie "Freiheit" und das "D" wie "Demokratie.
    O-Ton Hildegard Hamm-Brücher: "Ich empfinde mich als Politikerin der Freiheit nach der Zeit der Unfreiheit, die ich als Kind und als junger Mensch erlebt habe."
    "Klarheit und Selbstverständlichkeit dieser Frau haben mich fasziniert"
    Seidel: Im Alter von 95 Jahren ist Hildegard Hamm-Brücher gestorben. Sie war während ihrer langen Karriere als Politikerin unter anderem Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium, später dann auch im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft sowie im Auswärtigen Amt. Dort war sie zuständig für kulturelle Beziehungen.
    Daneben hat sich Hildegard Hamm-Brücher auch in der Schriftstellervereinigung PEN engagiert und dort beim PEN-Zentrum hat auch der Drehbuchautor und Filmproduzent Fred Breinersdorfer Hildegard Hamm-Brücher kennengelernt. Mit ihm konnte ich kurz vor der Sendung sprechen und ich habe ihn gefragt, wie er Hildegard Hamm-Brücher dort beim PEN-Zentrum erlebt hat.
    Fred Breinersdorfer: Die eindrücklichste Erfahrung war bei dem Vereinigungskongress der beiden PEN-Zentren, nämlich Ost und West in Mainz, wo so ziemlich alles, was in Deutschland intellektuell was zu sagen hatte, anwesend war. Und Hildegard Hamm-Brücher als damals noch eine der relativ wenigen Frauen in diesem Kreis war eine ganz entschiedene Verfechterin für eine sehr differenzierte Lösung des Problems. Das Problem damals, um es in Erinnerung zu rufen, war die Vereinigung von Ost-PEN und West-PEN, und da waren Kolleginnen und Kollegen vom Ost-PEN von der Stasi belastet.
    Das hat mich unglaublich fasziniert, wie diese Frau mit einer Klarheit und Selbstverständlichkeit und völlig unprätentiös diese Meinung, die dann am Schluss auch zum Ziel geführt hat, vorgetragen hat und eigentlich diese Versammlung von vielen sehr klugen Männern umgedreht hat zu einem Ergebnis, das bis heute Bestand hat, dass Ost- und West-PEN vereinigt sind.
    "Sie war ein Leuchtturm, an dem man sich gut orientieren konnte"
    Seidel: Wir haben es gerade gehört: Hildegard Hamm-Brücher hat sich als Politikerin der Freiheit gesehen, und zwar auch, weil sie als junger Mensch den Nationalsozialismus miterleben musste. War es auch diese Vergangenheit, die sie ursprünglich mal dazu gebracht hat, sich im PEN-Zentrum zu engagieren?
    Breinersdorfer: Ich denke, ja, weil das PEN-Zentrum für alle, die es nicht wissen, ist eine Anfang des letzten Jahrhunderts gegründete Vereinigung von Autoren und Journalisten, die für die Freiheit des Wortes kämpfen, weltweit, sich auch für inhaftierte Kollegen und Kolleginnen einsetzen, und dass das natürlich zum Kernbestand einer freiheitlichen Ordnung und auch einer freiheitlichen Meinung gehört, liegt auf der Hand - klarer Impuls in diese Richtung.

    Seidel: Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der jungen Bundesrepublik, die lag Hildegard Hamm-Brücher auch als Politikerin sehr am Herzen. Sie wollte den schrecklichen Nazi-Bazillus aus Deutschland und aus den Köpfen vertreiben. So hat sie das selbst mal formuliert. Wie hat dieses Ziel ihre Arbeit als Bildungs- und Kulturpolitikerin geprägt?
    Der Schriftsteller Fred Breinersdorfer
    Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmproduzent Fred Breinersdorfer lernte Hildegard Hamm-Brücher bei der Schriftstellervereinigung PEN kennen. (picture alliance / ZB / Matthias Hiekel)
    Breinersdorfer: Ich glaube, das hat uns alle geprägt, auch wenn Hildegard Hamm-Brücher deutlich älter ist als ich. Alle, die nach dem Krieg mit diesem Bazillus zu tun hatten, haben nach und nach ein immer stärkeres Bedürfnis gehabt, dass das raus muss aus unserer Gesellschaft, dass gegen ein Konzept der Einordnung, des Befehlsempfangens ein Konzept der Freiheit steht, der Demokratie, der Zivilgesellschaft.
    Sie war sicher eine von den "opinion leaders", wenn man das so sagen kann, auf die man sich gerne berufen hat. Auch wenn man wie ich einer anderen Partei angehört, war sie immer ein Leuchtturm, an dem man sich gut orientieren konnte.
    "Sie hat sehr früh gesagt, wir müssen uns mit den NS-Verbrechen auseinandersetzen"
    Seidel: Sie hat mal gesagt, dass sie gerade die Bildungspolitik als Möglichkeit begreift, gegen diesen Bazillus, diesen Nazi-Bazillus anzukämpfen. Fallen Ihnen da noch ein paar Beispiele ein, wie sich das ganz konkret in ihrer Arbeit als Bildungs- und vielleicht auch als Kulturpolitikerin widergespiegelt hat?
    Breinersdorfer: Ich glaube, wenn es zu den Zielen einer Politikerin gehört, Bildung voranzubringen, dann ist das Bestandteil ihrer gesamten politischen Haltung, weil sie sich im allgemeinen politischen Betrieb einfach immer so aufgestellt hat, dass sie aufseiten von Bildung und Kultur war und klar immer gesagt hat, was übrigens damals auch eine klare Position der FDP war, wir kämpfen für bessere Bildung, für mehr Bildung, auch für breitere Bildung.
    Seidel: Ihnen persönlich ist dieses Thema, die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ja auch sehr wichtig. Sie haben sich in mehreren Filmen mit dieser Zeit auseinandergesetzt. Ich nenne jetzt mal nur einen Ihrer Filme: "Sophie Scholl - die letzten Tage" mit Julia Jentsch in der Hauptrolle. War Hildegard Hamm-Brücher für Sie persönlich da dann auch so etwas wie ein Vorbild?

    Breinersdorfer: Ja. Ich meine, sie hat diesen ganzen Nazi-Terror durchgemacht und war jetzt im Gegensatz zu meinen Eltern nach dem Krieg eine der wenigen Leute, die sehr früh schon gesagt haben, wir müssen uns mit dem Unrecht und dem Terror und den Verbrechen des Nazi-Regimes intensiv auseinandersetzen. Wir haben da noch eine Riesenrechnung offen.
    Mir hat das auch persönlich jetzt deswegen so imponiert, weil ich zuhause in einem sehr braunen Elternhaus, einem Nazi-Elternhaus aufgewachsen bin. Das war einfach das Kontrastprogramm. Da hat man sich auch als junger Mensch an einer etwas älteren Grande Dame sehr gerne orientiert als Vorbild.
    "Ich hoffe, sie wird auch wichtig bleiben"
    Seidel: Hildegard Hamm-Brücher war eine der ersten Frauen überhaupt, die in Deutschland politische Karriere gemacht haben. Auch in dieser Hinsicht musste sie sich sicherlich immer wieder durchsetzen, vielleicht auch durchbeißen. Was würden Sie sagen, wie wichtig war sie für all ihre Nachfolgerinnen, für all die weiblichen Politikerinnen, die nach ihr den Weg in die Politik geschafft haben?
    Breinersdorfer: Ich hoffe, sie war wichtig, und ich hoffe, sie wird auch wichtig bleiben. Sie war auch wichtig, weil sie als erste namhafte Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten angetreten ist, dort wiederum aus parteipolitischem Kalkül dann nicht gewählt worden ist. Das sind alles auch Niederlagen, die sie, weil sie Frau war, möchte ich jetzt einfach mal behaupten, hat einstecken müssen, aus denen man aber lernen kann, dass es nicht auf die Niederlagen, sondern auf die Perspektiven und die Erfolge ankommt.
    Seidel: Vielen Dank, Fred Breinersdorfer, Drehbuchautor und Filmproduzent, über die langjährige FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher. Sie ist im Alter von 95 Jahren gestorben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.