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Zum Tod von Irm Hermann
Die Anti-Bürgerin

Irm Hermann war eine Schauspiel-Anarchistin. Als Fassbinders Muse stellte sie schrullige Spießerinnen ebenso dar wie deren Gegenentwurf. Sie bereicherte den deutschen Autorenfilm und das Theater eines Christoph Schlingensief. Im Alter von 77 Jahren ist die gebürtige Münchnerin nun gestorben.

Von Michael Laages |
 Irm Hermann bei der Premiere des Films "Fassbinder" in der Volksbühne Berlin
Irm Hermann - große Darstellerin aus kleinen Verhältnissen (dpa/Gregor Fischer)
Irm Hermann galt als Muse von Rainer Werner Fassbinder: Viele Jahre verbrachte sie an der Seite des exzentrischen Regisseurs und drehte zahlreiche Filme mit ihm. Fassbinder hatte sie aus kleinbürgerlichen Verhältnissen geholt, sie aus den Fesseln des Büroalltags befreit, aber nicht immer gut behandelt. Irm Hermann, Jahrgang 1942, ist jetzt gestorben.
Musentreff am Bodensee
Manchmal sorgt auch ein "Tatort" für Begegnungen der besonderen Art – als sich zum Beispiel Eva Mattes von Konstanz verabschiedete vor fünf Jahren, trafen sich für die Kamera am Bodensee gleich drei, mit der Gastgeberin sogar vier Musen aus vergangenen Zeiten. Sie alle waren prägende Persönlichkeiten in der Kunst wie im Leben des Theatermachers und Filmregisseurs Rainer Werner Fassbinder gewesen: außer Mattes die damals ähnlich junge Hanna Schygulla und die etwas reiferen Kolleginnen Margit Carstensen und Irm Hermann. Die gebürtige Münchnerin Hermann war und blieb berufslebenslang eine echte Spezialistin: auf Bühne, Bildschirm und Leinwand.
Kultivierter Münchner Ton
Letztlich hat ihr der Geburtsort zur Unverwechselbarkeit verholfen: Die Münchner Dialektfärbung war bei kaum einer anderen Schauspielerin derart ausgeprägt wie bei Irm Hermann. Zu den herausragenden Qualitäten der Künstlerin gehörte die Energie, sich konsequent einzulassen auf dieses akustische Fremdeln – Irm Hermann hat den Ton kultiviert. Und sie hat ihn obendrein genutzt, um die eigenen Rollen pointiert zu profilieren. Oft stellte sie irgendein Muster weiblich-reifer Erz-Bürgerlichkeit dar. Aber der Ton, in dem sie das tat, lieferte zugleich den Gegenentwurf, die antibürgerliche Haltung, zuweilen in einem Maß von forcierter spielerischer Radikalität, die sie aus den frühen Jahren an Fassbinders Seite mitgenommen haben mag.
Teil der Fassbinder-Clique
Der Autor und Regisseur entdeckt die junge Irmgard Hermann, als sie sich gerade einzurichten beginnt im bürgerlichen Alltag: Die 23jährige gelernte Einzelhandelskauffrau sitzt in einem Münchner Büro und ist zutiefst unglücklich. Dass Fassbinder sie herauslockt, empfindet sie im Rückblick als Befreiung, als Rettung. Sie wird Mitbegründerin von Fassbinders kurzlebigem "Antitheater" und lebt auf im kollektiven Umfeld der hippiehaften Fassbinder-Clique: Sie spielt mit in vielen Fassbinder-Filmen, im "Händler der vier Jahreszeiten" sogar die zentrale Rolle.
Von Autorenfilm bis "Fack ju Göhte"
Das geht zehn Jahre gut; dann trennt sie sich von Fassbinder und beginnt, den eigenen Weg zu suchen. Sie findet ihn in Arbeiten vom "Lindenstraßen"-Gründer Hans W. Geißendörfer, von Percy Adlon und Werner Herzog. Für den deutschen Autorenfilm jener Epoche bringt sie viel mit – vor allem den eigenwilligen inneren Widerspruch aus Bürgerlichkeit und deren totalem Gegenteil. In späteren Zeiten wandelt sich Irm Hermann weiter zur schräg-kuriosen älteren Dame, die gerne nervt und stört. So ist sie in Erinnerung aus Filmen von Gerhard Polt, Loriot und Hape Kerkeling. Im Theater allerdings - und dort vor allem mit Christoph Schlingensief - schafft sie es zurück in den alten, äußerst produktiven Widerspruch – Königinnen kann sie jetzt zeigen, Gräfinnen, Direktorinnen; aber sie spielt auch den Sprengsatz mit, der all die geordneten Verhältnisse in die Luft jagen kann. Neben der komödiantischen Routine - bis hin zum dritten Teil von "Fack ju Göhte", ihrer nunmehr letzten Kino-Arbeit – ist diese explosive Mischung der Stimmungen Irm Hermanns Markenzeichen bis zum Schluss.
Lust am Risiko bis zum Schluss
Vor allem blieb sie immer mutig und behielt die lebenserhaltende Lust am Risiko: wie etwa 1993 für "Grillparzer im Pornoladen", Peter Turrinis Bearbeitung eines Off-Broadway-Stückes von Willard Hanus. Zwei alternde Menschen, Irm Hermann und der ebenfalls jüngst verstorbene Volker Spengler, unternehmen da - mit allerlei Hilfsmitteln der Lust-Industrie - zutiefst verzweifelte Versuche, noch einmal an jenen Punkt zurück zu gelangen, an dem das ersehnte andere Leben möglich gewesen wäre: voller Liebe, voller Glück. Peter Palitzsch hatte das inszeniert, mit ganz viel Hoffnungslosigkeit im Spiel der beiden Sonderlinge.
So wie an diesem Abend - und wie in den haltlos-himmelsstürmerischen Schlingensief-Spektakeln - bleibt die Erinnerung an Irm Hermann ganz frisch und lebendig: voll vom Eigensinn der Antibürgerin.