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Zum Tod von Joachim Kaiser
"Er war eine der liebenswürdigsten Figuren"

Wenn man sich einen Kritiker als bösen Hund vorstellt, dann sei Joachim Kaiser das Gegenteil davon gewesen, sagte der Journalist Harald Eggebrecht im DLF. Trotzdem habe er in seinen Kritiken zu Literatur, Theater und Musik auch raffiniert zustechen und sich auch arrogant äußern können.

Harald Eggebrecht im Gespräch mit Karin Fischer |
    Der ehemalige Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung und einer der größten deutschen Kritiker, Joachim Kaiser
    Der ehemalige Feuilleton-Chef der "Süddeutschen Zeitung" und einer der größten deutschen Kritiker, Joachim Kaiser. (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Karin Fischer: Zuerst die traurige Nachricht des Tages: Die letzte wirklich große Figur des deutschen Feuilletons ist gestorben, Sie haben es in den Nachrichten gehört, der Kritiker Joachim Kaiser. Er war der wichtigste Musikkritiker und der Kenntnisreichste seines Fachs. Bach, Beethoven, Brahms, Chopin, Mozart und Schubert waren seine Hausgötter, seine Analysen waren vielleicht nicht so sehr brillant in der Sprache, aber extrem lehrreich und unterhaltsam. Die viel besungene Schönheit der Musik sah er naturgemäß sehr differenziert:
    O-Ton Joachim Kaiser: "Der Begriff der Schönheit, wenn man ihn sozusagen zurückführt, wenn man sagt, Besonnenes, schöne Proportionen – Sie kennen ja die Stelle aus dem jungen Joseph von Thomas Mann, wo er sagte, der reine Begriff der Schönheit hat etwas Oberlehrerhaftes. Also wenn Schönheit sozusagen nur schön ist, also wenn man sagt, ne wunderbare Kantilene oder so, dann langweilt sie mich auch ein bisschen. Gut: Wenn eine italienische Sängerin, eine große Sängerin, wenn die Callas Donizetti singt oder ne wunderschöne Verdi-Kantilene, dann schmelze ich auch hin. Aber alles andere, würde ich sagen: Wenn Musik nur schön ist, dann ist sie für mich nicht mal schön, sondern dann fehlt ihr doch das Element vielleicht der Tiefe und des Geheimnisses."
    Fischer: In der Würdigung des großen Kritikers Joachim Kaiser ist ein Lebenswerk zu besichtigen, das ebenso breit wie spezialisiert war. Zum Beispiel hat er sehr früh ein Buch über "Große Pianisten unserer Zeit" geschrieben, über Richard Wagner, er hat viel auch über Literatur veröffentlicht, er war ja auch ein großer Literatur- und Theaterkritiker. Frage an Harald Eggebrecht, Journalist, selbst Kritiker, Kollege von Joachim Kaiser bei der "Süddeutschen Zeitung", der auch über "große Geiger" geschrieben hat. Herr Eggebrecht, Sie kannten Joachim Kaiser gut. Was war er denn für eine Figur?
    Harald Eggebrecht: Er war eine der liebenswürdigsten Figuren. Wenn man sich einen Kritiker als bösen Hund vorstellt, dann war Kaiser das Gegenteil. Aber er konnte durchaus raffiniert zustechen. Er konnte sich durchaus auf eine bestimmte Weise auch arrogant äußern. Aber das Vorherrschende war Liebenswürdigkeit, Freundlichkeit. Er war der Sache Musik oder der Sache Literatur viel zu sehr zugetan, als dass er hätte wirklich ernsthaft böse oder bösartig sein können.
    "Er hat als Literaturkritiker oder als Kritiker überhaupt angefangen"
    Fischer: Er war sehr gern auch Literatur- und Theaterkritiker, er wollte nicht wirklich auf die Rolle des Musikpapstes festgelegt werden. Nun müssen wir klarstellen, wie er dieser Musikpapst werden konnte.
    Eggebrecht: Es ist eigentlich umgekehrt. Er hat als Literaturkritiker oder als Kritiker überhaupt angefangen. Seine erste große Kritik war über Adornos "Philosophie der neuen Musik", und damit war er mit einem Schlage in Deutschland bekannt, im deutschsprachigen Raum. Er war mit einem Schlage eine Figur, bestimmende Figur der ästhetischen Debatten der 50er- und auch der 60er-Jahre. Und das hat er in drei Abteilungen, kann man sagen, vollführt. Er war ja auch Mitglied der "Gruppe 47". Er hat also auch den literarischen Aufschwung sofort mitgemacht und eben auch die Kollegen dementsprechend, die Kollegen Literaten, Schriftsteller mit begleitet mit seinen Kritiken. Und er hat auch das Theater der Zeit mit besprochen. Er hat Samuel Beckett beim Inszenieren zugeschaut. Das war für ihn gleichbedeutend. Aber am Ende, im Laufe des langen Lebens von Kaiser, wurde dann die Musik immer beherrschender, wurde die Musik dann immer wichtiger. Vom Theater fühlte er sich ab dem Regietheater enttäuscht, ohne wirklich daran nicht weiter Interesse zu haben, sondern er ist immer wieder mit großer Leidenschaft hineingegangen. Und Leidenschaft, Zuneigung zu den Gegenständen, das hat er immer gehabt, auch dort, wo er sich negativ oder wo er kritisch sich äußerte.
    Fischer: Kann man sagen, dass Joachim Kaiser als Kritiker eine bestimmte Art von Linie vertrat? Kann man sein musiktheoretisches Konzept beschreiben? Er soll ein starkes Faible für Handwerk und Technik gehabt haben.
    Eggebrecht: Er kannte sich unglaublich gut aus. Wenn man seine Kritiken liest, die älteren, dann merkt man, wie er bis in den Takt hineingeht, bis in die Takteinheiten, bis in einzelne Phrasen, die er genau beschreiben konnte, die er auch dann vergleichend beschreiben konnte, der Musiker macht es so, der macht es so, aber eigentlich müsste es doch so sein, weil das der Gehalt der Musik ist. Da war er, man könnte sagen, ein Textkritiker, ein ganz strenger Analytiker, der von da ausging. Er ging immer vom Werk aus, wie es denn dann dargestellt sei. Und dann fand er allerdings – das war seine Neuerung und das war auch etwas tatsächlich Neues, dass er gesagt hat, die großen Musiker der Zeit, die sind selbst welche, die etwas am Werk mittun. Deswegen ist es interessant, sich mit den Musikern zu beschäftigen und nicht nur mit den Werken, wie es die Musikwissenschaft tut.
    Fischer: Wenn wir über Figuren wie Joachim Kaiser sprechen, dann auch eigentlich immer in dem Bewusstsein, dass es solche Figuren heute nicht mehr geben könnte.
    Eggebrecht: Ich glaube, das kann es nicht mehr geben, weil wir brauchen eine mediale Umwelt dafür. Kaiser wurde mit der "Süddeutschen Zeitung" und mit den anderen Zeitungen groß, ging in die Zeitschriften und ging ins Radio. Aber inzwischen haben wir eine so vielfältige Medienlandschaft, da würde Kaisers Stimme bei allem Gewicht wahrscheinlich doch zerspellen, vielteilig werden. Wir haben Leute, die nur über Popmusik schreiben, Spezialisten, die sind nur im Internet zum Beispiel anwesend, und keiner von den anderen weiß es quasi, und doch ist das eine riesige Community weltweit. Da ist Kaiser eine andere Figur, die wuchs direkt aus der Nachkriegszeit, aus diesem Aufbruch heraus und war selbst ein Stück dieses Aufbruchs.
    "Kaiser hat den Interpreten, den Musiker ins Zentrum gerückt"
    Fischer: Ganz kurz, Harald Eggebrecht. Ein Musikkritiker steht immer auf den Schultern von Riesen. Was ist für Sie das Wichtigste, das von diesem Kritikerleben bleibt?
    Eggebrecht: Das Wichtigste ist, dass er den Interpreten, den Musiker so ins Zentrum gerückt hat, dass er sagt, der ist selbst ein produktiver Teil des Musikmachens. Und das hat er auch auf das Theater bezogen. Er hat immer am lebendigen Kulturschaffen teilgenommen, an der Schöpfung selbst, und fand das das unglaublich Wichtige, und da kann man unglaublich viel von ihm lernen.
    Fischer: Vielen Dank an Harald Eggebrecht, er würdigte für uns den Musik- und Literaturkritiker Joachim Kaiser, der im Alter von 88 Jahren gestorben ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.