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Zum Tod von Judith Kerr
"Im Kopf zeichnet man die ganze Zeit"

Generationen kennen den Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen“ stahl. "Ich hätte bloß nicht eine normale Kindheit haben möchten", sagte die Schriftstellerin Judith Kerr im Rückblick im Dlf. Die Wiederholung eines aufgezeichneten Gesprächs anlässlich ihres Todes.

Judith Kerr im Gespräch mit Ute Wegmann |
Die verstorbene Schriftstellerin Judith Kerr und 2 ihrer Bücher
Judith Kerr im Jahr 2011 in ihrem Haus bei London (Autorenportrait: (c) Thekla Ehling, Buchcover Ravenburger Buchverlag u. Edition Memoria)
Mit diesem Büchermarkt möchten wir heute an die Schriftstellerin und Illustratorin Judith Kerr erinnern, die am 22. Mai im Alter von 95 Jahren in Großbritannien verstorben ist. Judith Kerr wurde 1923 als Tochter des berühmten Theaterkritikers Alfred Kerr und der Komponistin Julia Weisman geboren. Alfred Kerr war erklärter Nazigegner und durch einen befreundeten Polizisten gewarnt, dass man seinen Pass einziehen wolle, floh er bei Nacht und Nebel über Prag in die Schweiz. Seine Familie, Julia, Judith und der Sohn Michael folgen wenige Tage später kurz vor der Machtergreifung Hitlers. Mit dieser Flucht begann ein anderes Leben, wie Judith Kerr sagte, aber immer schaute sie zurück auf eine glückliche Kindheit in Berlin. Die Kerrs gingen von Zürich nach Küsnacht, lebten in Paris und später in London, wo sie den Krieg erlebten und schließlich zu britischen Staatsbürgern wurden. Judith Kerr hat diese Zeit in vielen Skizzen und Bildern festgehalten, studierte schließlich Malerei an der Central School of Arts and Crafts, verdiente eigenes Geld als Lehrerin und Textildesignerin und lernte schließlich durch einen großen Zufall ihren späteren Mann, den bekannten Drehbuchautor Tom Nigel Kneale in der Kantine der BBC kennen. Sie arbeitete als Lektorin und Drehbuchautorin, bis sie schwanger wurde. Matthew und besonders Tochter Tacy wollten immer wieder die Geschichte vom Tiger hören, der zum Tee kam. Und so entstand 1968 ihr erstes Bilderbuch "Ein Tiger kommt zum Tee", es ist weit über fünf Millionen mal verkauft. Es folgten weitere Bilderbücher, in Deutschland sind die Abenteuer des Katers Mog bekannt worden.
Aber Generationen von Kindern und Jugendlichen erinnern sich vor allem an den Roman "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Der erste Teil einer Trilogie, ins Deutsche übersetzt von Annemarie Böll, gewann 1974 den Deutschen Jugendliteraturpreis und wurde zur Schullektüre. Die Geschichte des jüdischen Mädchens Anna, die mit ihrer Familie Deutschland verlassen muss. Und fast alles zurücklässt. Auch das geliebte rosa Kaninchen.
Die Trilogie umfasst die Jahre 1933 bis 1957
Im Jahr 2011 hatte ich die Ehre und das große Glück Judith Kerr in ihrem Haus in einem Vorort Londons besuchen zu dürfen. Wir sprachen über ihre Emigrationsgeschichte, die sie in der Trilogie thematisierte, und ich habe sie gefragt, warum sie die Geschichte damals fiktionalisiert hat.
Judith Kerr: Ich wollte meinen Kindern darüber erzählen, wie das damals bei uns war. Ich hab darüber nachgedacht, ob ich das in der ersten Person schreiben soll, dann müsste alles ganz wahr sein, genau, denn sonst finde ich das schrecklich, wenn die Leute eine Autobiografie schreiben, die nicht ganz wahr ist. Schließlich erinnert man sich nicht an alles und man erinnert sich an Dinge, die schrecklich langweilig sind, und so dachte ich, ich schreibe einen Roman, bei dem alles Wichtige wahr ist. So wahr wie möglich. Ich wollte nur darüber schreiben, wie es wirklich war.
Wegmann: Erinnern Sie sich an Ihre Kindheit in Berlin?
Kerr: Ich erinnere mich an ganz blöde Dinge: Das Weihnachten 1932 war wunderbar. Ich erinnere mich, dass mein Bruder und ich zum ersten Mal allein ins Kino gehen durften. Und dass wir dann einen Talky gesehen haben. Das war "Emil und die Detektive", und das war ganz neu. Es war ja alles still, ohne Sprache. Und wir haben all unser Taschengeld zusammengestellt und hatten plötzlich einen overwhelming need, eine Kuckucksuhr zu kaufen. Wir fanden, man konnte nicht leben ohne so etwas. Von Nazis hab ich nichts gewusst.
Wegmann: "Als ich neun Jahre alt war, ist diese Welt verschwunden", haben Sie gesagt. Hatte das Schreiben über Ihre Flucht aus Deutschland und den Weg Ihrer Emigration auch therapeutischen Charakter?
"Ist es nicht herrlich, Flüchtling zu sein?"
Kerr: Wissen sie, ich brauchte keine Therapie. Ich fand es großartig, von Berlin wegzugehen. Ich fand das viel interessanter. Ich muss das immer wieder sagen. Als mein Vater und ich in Paris aus dem Fenster schauten, und da sah man die Dächer von Paris, da sagte ich: Ist es nicht herrlich, Flüchtling zu sein? Später wurde es schlimm. Später bin ich älter geworden. Als wir in England waren, wurde es viel schwerer für meine Eltern. Ich war alt genug, das zu verstehen.
Also, therapeutische Wirkung hatte es ein bisschen, weil ich viel mehr über meine Eltern nachgedacht habe, beim Schreiben. Und ihnen noch viel mehr dankbar war, als vorher, und ich mir das als Mutter vorgestellt habe. Ich dachte, wenn ich meine Kinder über die Grenze bringen müsste, wie hätte ich das gemacht. Wahrscheinlich weniger gut.
Wegmann: Gab es dieses zurückgelassene Kaninchen wirklich?
Kerr: Das Kaninchen ja, das hab ich geliebt. Es war ganz schäbig. Mein Bruder hat mal damit Fußball gespielt, und dann hat Heimpi ihm neue Augen gestickt. Sonst wäre es blind gewesen.
Wegmann: War das Kaninchen ein Symbol für die zurückgelassene Welt?
Kerr: Es war eben ein anderes Leben mit dem Kaninchen.
Der Verlust der Heimat und das Erlernen neuer Sprachen
Wegmann: Das Schlimmste für Ihren Vater war der Verlust der sprachlichen Heimat. Aber auch Ihr Bruder und Sie haben die Sprache verloren. Bei Ihren Romanfiguren Anna und Max klingt es, als sei das Französischlernen vor allem anderen eine große Bereicherung.
Kerr: Wenn man nur Deutsch spricht und man lernt dann Französisch und man sieht dann, dass man einen Satz, der so lang ist auf vier Worte reduzieren kann, ist das unglaublich. Und dann Englisch. Wenn man schon zwei Sprachen spricht, ist es ganz leicht, um so umzugehen. Ist ganz leicht. Um die Sprache wirklich gut zu benutzen, dass dauert eine ganze lange Zeit, es ist so eine reiche Sprache. Ich habe so ein Glück, dass ich auf Englisch schreibe und nicht auf Deutsch. Deutsch ist auch eine wunderbare Sprache, aber Englisch hat diesen unglaublichen Reichtum von Worten. Und außerdem ist es natürlich praktischer, die halbe Welt spricht Englisch. Es war kein Verlust, es war ein Plus. Ich hätte bloß nicht eine normale Kindheit haben möchten. Meine Eltern hätten das anders angesehen. Aber mein Bruder hätte das auch gesagt. Man kommt nach Frankreich, man versteht kein Wort und dann nach einem Jahr, spricht man es. Mit zehn ist das nicht schwer. Das ist so gut für die Zuversichtlichkeit. Man weiß, das schien unmöglich, das ist doch eine riesige Bereicherung.
Wegmann: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" umspannt den Zeitraum von 1933 bis 1937. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt, ins Deutsche von Annemarie Böll, der Frau von Heinrich Böll. Ihre Geschichte hat nach wie vor eine hohe Intensität. Themen wie Fremdsein und Heimat sind aktueller denn je.
Was für ein Gefühl war das, als Sie das erste Mal nach Deutschland kamen?
"Die jungen Leute sind großartig. I think, they feel much more guilty, than they should"
Kerr: Ungemütlich. Die Menschen waren ja auch schon damals -1972/1973 also konnte man sich sagen, dass eine sehr große Anzahl, deren, die die schrecklichen Dinge getan haben, schon tot war. Oder wenigstens sehr, sehr alt. Aber trotzdem, man wusste ja ... man sah die gleichen Straßen. Ich hab nie einen Nazi gesehen, aber man wusste doch, was da geschehen war.
Als wir Kinder waren, sind wir immer einen Sommer lang ins Wellenbad gegangen. Wir sollten mit der Elektrischen fahren, mein Bruder hat aber entdeckt, wenn wir mit der Stadtbahn fuhren, dann hatten wir gespart. Dann sind wir vom Bahnhof Grunewald aus gefahren. Ich war mal mit meinem Mann da, das war sehr therapeutisch. Da habe ich ihm alles gezeigt, von meiner Kindheit. Da sind wir auch auf diesen Bahnhof gegangen. Natürlich, das erste, was man da sieht, ist eine Gedenktafel: Von diesem Bahnhof sind die Juden nach Auschwitz deportiert worden. Das macht dann irgendwie einen Film darüber, über das, was gewesen ist. Jetzt ist es ganz anders. Es gibt diesen Alfred-Kerr-Preis. Das macht einen Riesenunterschied. Die Bücher von meinem Vater sind wieder gedruckt worden, man erinnert sich an ihn. Ich habe gute Freunde in Deutschland durch diese Arbeit und das rosa Kaninchen. Und die jungen Leute sind großartig. I think, they feel much more guilty, then they should. Selbst ihre Eltern waren noch nicht geboren, als das alles passiert ist.
Wegmann: Hat das Rosa Kaninchen sie mit Deutschland wieder zusammengebracht?
Kerr: Ich hätte keinen Grund gehabt, nach Deutschland zurückzugehen. Ich bin sehr froh, dass man das in Deutschland liest. Das hätte meinen Vater sicher auch Freude gemacht.
Wegmann: Im ersten Teil schildern Sie detailgenau und authentisch das Leben als jüdische Emigrantin in Zürich und Paris. Bombennächte in London, Ängste, und Sorgen, - das ist der zweite Teil: "Warten bis der Frieden kommt", er umfasst die Zeit bis zum Ende des Krieges. Der dritte Teil führt die Protagonistin Anna zurück nach Berlin. Ins Jahr 1956. Die erwachsene Anna fährt zur kranken Mutter, die im Koma liegt, weil sie versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Im zweiten Teil erfährt man viel über die Leidenschaft Annas oder Judiths für die Kunst und das Glücksgefühl, das die Kunst hervorruft. Ein Rembrandt wollten Sie werden, Judith Kerr.
"..mit den Augen fühlen"(S. 232) , so beschreibt es Anna.
Über das Zeichnen
Kerr: So ist es ja. Wenn man Zeichnerin ist und ich bin Zeichnerin, ich bin keine Schriftstellerin. Es ist ja gar nicht das Zeichnen, es ist das Sehen. Im Kopf zeichnet man die ganze Zeit eigentlich. Man geht herum und sieht die Welt und dann in your head you rearrange things, man tut es die ganze Zeit. Und das ist natürlich ist an obsession und wenn man eine Arbeit hat, die man liebt, dann ist das ein Riesenglück und eine Riesenhilfe, wenn man Unglück hat, denn es ist wahrscheinlich so wie für andere Menschen die Religion. Es ist etwas außerhalb von einem selber, was wichtiger ist als alles andere.
Bilderbücher hab ich sehr gerne gemacht und gezeichnet und so gut gemacht, wie möglich und ich habe mich auch sehr dafür interessiert, wie man Worte und Bilder zusammenbringt. Also, dass man nie Worte benutzt für das, was die Kinder schon auf dem Bild sehen können. Es ist viel amüsanter, wenn man etwas schreibt und wenn man das Bild anschaut, ist es anders. Also, ich hab ein Buch gemacht über die Katze MOG. Und da ist ein Baby und die Mutter sagt immer. Mog loves Babies, aber die Katze kann sie nicht ausstehen. Und dann sieht man auf dem Bild, was die Katze wirklich fühlt und das ist sehr interessant, dass man diese Dinge mit Bücher machen kann. Die connection zwischen den Bildern und den Worten, das hat mich immer sehr interessiert. Ich liebe das.
"Mit dem Reim kommt eine ganz andere Dimension dazu"
Wegmann: Sie schreiben oft in Reimen.
Kerr: Ja, die letzten Bücher. Das ist auch sehr interessant. Ich liebe das. Die letzten Bücher und das an dem ich jetzt arbeite, sind etwas surreal. Das ist da wunderbar. Wenn man nämlich einen Reim sucht, dann findet man etwas und das bringt einen auf Wege, die man nie begangen hätte. Ich wollte etwas machen über Tiere im Zoo, die ganz fantastische Sachen machen. Das sollte dann ein counting book, also zum Zählen sein und da kam mir, da war ich sehr stolz. Für die Zahl Zwei: A crocodil and a kangoroo sat off on a bicycle made for two. Das war wegen des Reims. Ich hab mich richtig darüber gefreut, das hätte man doch sonst nie geschrieben. Aber als es dazu kam, das zu zeichnen, dachte ich: What fool wrote this? Das war wirklich nicht leicht, das zu zeichnen. Mit dem Reim kommt eine ganz andere Dimension dazu. Ich finde das sehr interessant.
Wegmann: Über das Schreiben haben Sie etwas Schönes gesagt: "Schreiben ist wie mit Absicht krank werden". Ist das beim Zeichnen genauso?
Kerr: Nein, das Zeichnen kann ich. Und außerdem dauert es nicht so lange, man braucht nicht ein Jahr lang an etwas zeichnen. Ich bin auch sehr langsam und ich radiere wahrscheinlich mehr, als ich mit den Bleistiften nutze, aber ich bin ja nicht Schriftstellerin, ich bin Zeichnerin. Da hat man schon einen gewissen controll. Mein ganzes Leben lang. Ich mache jetzt ein neues Buch – und touch wood – ich denke jetzt zum ersten Mal, ich weiß jetzt, wie man das macht. Wahrscheinlich auch ein Irrtum. Also Schreiben ist ja was ganz anderes. Schreiben konnte mein Mann. Und ich hab unendlich viel von ihm darüber gelernt, sonst hätte ich es nie gemacht. Es ist ganz was anderes.
Wegmann: Dem "Tiger" folgten viele Geschichten, die sich an ihrer Welt, ihrem familiären Umfeld orientierten. Ab 1970 entstanden die Bilderbücher über den verträumten, liebenswerten Kater Mog. Nach 32 Jahren, solange waren die Geschichten von Mog ungeheuer erfolgreich, haben Sie beschlossen, Mog sterben zu lassen. "Goodbye Mog" hieß das letzte Bilderbuch im Jahr 2002. Ein Buch über den Tod.
Der Tod von Kater Mog
Kerr: Erstens fand ich, ich habe genug Bücher über Mog gemacht. Aber damals wurde ich 80. Und also da denkt man natürlich über den Tod nach und denkt daran. Aber wenn man Tiere hat als Kinder, die sterben immer. Katzen dauern viel länger. Aber wir hatten alles. Fische, sticinsects und hamsters. Die sind alle im Garten begraben. Da schien es ganz vernünftig, ich wollte darüber schreiben, eigentlich auch dass man die Tiere und Menschen, auch wenn sie sterben, dass man sie nicht verliert. Man erinnert sich daran. Mein Vater ist jetzt – ich weiß nicht wie viele Jahre tot – 60 -65 Jahre. ich kann mich doch immer noch mit ihm unterhalten in meinem Kopf. Und meine Mutter, ich denke die ganze Zeit an sie, und die sind für mich ganz lebendig. Und das wollte ich auch sagen. Da kam dieses Buch dabei heraus. Das ist dann sehr gut hier angekommen, die Kinder haben doch alle Goldfische und weiße Mäuse. Das die eben sterben und Großeltern sterben eben auch und das man eben weiß, da bleibt etwas davon.
Wegmann: Im April 2011 ist ein neues Bilderbuch erschienen: "My Henry". Eine ältere Dame sitzt in einem Sessel und träumt sich zu ihrem verstorbenen Mann, der jeden Nachmittag zwischen vier und sieben Uhr den Himmel verlassen darf. Und die beiden machen Sachen, die sie im Leben nicht getan haben und erleben tolle Abenteuer: Sie reiten auf Dinosauriern, trinken Tee im Dschungel mit allen möglichen Tieren, steigen auf den Mount Everest. Am liebsten aber denken sie an ihre gemeinsame Zeit, die unspektakulär, aber wundervoll war. In dem Bilderbuch geht es um eine Liebe und eine Verbundenheit, die über den Tod hinausgeht.
Über das Leben nach dem Tod
Kerr: I’m good at death. Das war für meinen Mann und für die vielen Witwen. Ich bin jetzt Witwe und ich kenne sehr viele Witwen und die sind alle sehr gut zueinander. Es war das gleiche, dass man sich erinnert. Es war surreal, was sie sich da vorstellt, was sie alles machen kann. Es wurde immer more surreal. Ich bin jetzt 88, wenn man sich mit 88 nicht mit dem Tod beschäftigt, wann soll man das dann tun.
Wegmann: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Kerr: Nein. Nein. Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber man weiß ja nie. Ich weiß nicht, ich denke manchmal, weil doch nichts in der Welt vergeht. Unsere Knochen werden Gräser oder Blumen oder ich weiß nicht was, also denke ich manchmal, was passiert mit unseren Gedanken, die sollen doch auch nicht verschwendet werden. Und dann denke ich manchmal, besonders weil ich so liebe die Dinge zu sehen, vielleicht gibt es dann irgendwo a parallel universe, wo irgendwie diese Dinge bleiben.
Wegmann: Die letzten Bücher sind sehr zart, in Pastelltönen.
Kerr: Wissen Sie, das ist sehr interessant, ich habe das auch bei anderen illustrators bemerkt, je älter man wird, desto fahler werden die Farben. Ich weiß, bei mir sind es zwei Gründe. Einer ist, dass man einfach nicht so zuversichtlich ist. Ich benutze diese Tinten. Am Anfang hab ich einfach die Tinten genommen und andere Tinten darüber gemalt, das ist wunderbar, aber das kann man nicht ändern. Jetzt möchte ich es mehr subtil machen. Mache ich nicht mehr so schwarze Tintenlinien drum herum, sondern Bleistift, da kann man vielmehr Nuancen machen und ich benutze immer noch die Tinten, aber mit Wasser gelöst. Und dann über die Tinte benutze ich Buntstifte, das kann man viel mehr kontrollieren. Man kann es auch ausradieren, wenn es nicht richtig ist. Das wird viel subtiler. Es ist, ich weiß nicht, wann ich das angefangen habe. Es wurde ein bisschen zu blass. Ich kann es jetzt, dass es nicht zu blass ist. Man entscheidet nicht, es kommt nur langsam so. Ich fand es ein bisschen zu fahl. Es wird jetzt besser. Also jetzt kommt das wirklich richtige Buch. Ja, das ist doch immer so. Jetzt krieg ich es hin.
Wegmann: Und der Titel des neuen Buchs?
Kerr: "The Great Granny Gang"
Wegmann: "The Great Granny Gang", die Geschichte einer Gang älterer Damen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, hat Judith den Damen gewidmet, die ihr zur Seite standen, als Tom Kneale im Jahr 2006 starb. Sie arbeitete weiter, jeden Tag und so folgten auch weitere Titel: "Ein Seehund für Herrn Albert" 2016, "Meine Katze Katinka" 2018, vor allem aber ihre Autobiografie "Creatures", die ihr sehr wichtig war, um die Dinge richtig zu stellen, die sie in 1970er Jahren noch nicht wusste, als sie das "Rosa Kaninchen" schrieb. "Geschöpfe. Mein Leben und Werk", erschien im letzten Jahr in Deutschland zu ihrem 95. Geburtstag.
Zum Schluss unseres Gesprächs fügte sie hinzu: "Ich hätte noch sagen sollen, dass ich glücklich bin". Das war ihr wichtig. Sie hatte in der Tat wie ihr Vater die Gabe nach vorne zu schauen, sie hatte wie er das Talent zum Glücklichsein. Und das durchzieht auch ihr ganzes Werk: Die Fähigkeit, nach vorne zu schauen und vieles mit Humor zu betrachten.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen Ute Wegmann.
Judith Kerr: "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl"
Aus dem Englischen von Annemarie Böll
(Ravensburger Buchverlag, Ravensburg)
Judith Kerr: "Warten bis der Frieden kommt"
Aus dem Englischen von Annemarie Böll
(Ravensburger Buchverlag, Ravensburg)
Judith Kerr: "Eine Art Familientreffen"
Aus dem Englischen von Annemarie Böll
(Ravensburger Buchverlag, Ravensburg)
Judith Kerr: "Die Abenteuer von Mog, dem verflixten Kater"
Aus dem Englischen von Gerlinde Wiencirz
(Ravensburger Buchverlag, Ravensburg)
Judith Kerr: "Ein Tiger kommt zum Tee"
Aus dem Englischen von Gerlinde Wiencirz
(Ravensburger Buchverlag, Ravensburg)
Judith Kerr: "My Henry"
(HarperCollins, London)
Judith Kerr: "The Great Granny Gang"
(HarperCollins, London)
Judith Kerr: "Ein Seehund für Herrn Albert"
Aus dem Englischen von Sibylle Schmidt
(Fischer Verlag, Frankfurt/M)
Judith Kerr: "Meine Katze Katinka"
Aus dem Englischen von Mathias Jeschke
(Fischer Verlag, Frankfurt/M)
Judith Kerr: "Geschöpfe. Mein Leben und Werk"
Aus dem Englischen von Ute Wegmann
(edition memoria, Hürth)