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Zum Tod von Kurt Masur
Dirigent mit Weltgeltung

Der Dirigent Kurt Masur war Despot und Diplomat zugleich. Als 1989 der Widerstand gegen die Herrschaft der SED anschwoll, stand er an einer Schnittstelle zwischen den Demonstranten und den Repräsentanten des Systems. Von seinen Musikern verlangte er das Äußerste und nahm sich dabei selbst nicht aus.

Von Frieder Reininghaus |
    Dirigent Kurt Masur im Februar 2015 bei einer Diskussionsrunde in der Peterskirche in Leipzig.
    Dirigent Kurt Masur im Februar 2015 bei einer Diskussionsrunde in der Peterskirche in Leipzig. (picture alliance / dpa / Andreas Keuchel)
    Die Liste der Gewandhauskapellmeister ist reich an illustren Namen und reicht über Wilhelm Furtwängler und Arthur Nikisch zurück bis zu Felix Mendelssohn. Als prägende Gestalt aus den DDR-Jahren des Orchesters dürfte sich Kurt Masur ins Buch der Musikgeschichte eingeschrieben haben.
    Dieser Dirigent bewährte sich als Dauerbrenner und Durchpeitscher, der etwas von einem Despoten haben musste – und doch zugleich auch Züge des Diplomaten. Geboren wurde Kurt Masur 1927 in Brieg (in Schlesien). Die Ausbildung fand während des Kriegs zunächst noch in Breslau statt. Die drei Jahre der Leipziger Kapellmeisterklasse fielen unmittelbar in die Nachkriegszeit. Bereits 1948 wurde der 21-jährige am Theater Halle als Solorepetitor und Kapellmeister engagiert. Durch die tiefen Gesteinsschichten des Musiklebens der DDR, über Erfurt und Leipzig, ging der Weg rasch nach oben – schon 1955 war Masur Chef der Dresdner Philharmonie. Nach einem Intermezzo als Musikalischer Oberleiter des Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin war die Komische Oper in Berlin Anfang der 60er Jahre die nächste, die Chefstelle in Leipzig die vorerst letzte und höchste Sprosse auf der Karriere-Leiter in der DDR.
    Legendäre Gestalt der letzten Tage der DDR
    Masur war ein Volltreffer: Ein markanter, ein kantiger, prägender, hoch intelligenter Kopf mit großen Ohren, die über das bloß Musikalisch-technische weit hinauszulauschen verstanden. Von der eigenen Profilierung, der Klarheit und dem Differenzierungsvermögen verstand er allemal, entscheidende Momente an die ihm unterstellte Truppe zu vermitteln. Er wurde zu einer auratischen Figur – auch für das Publikum. Nicht zuletzt auf seine Initiative hin (und dank seiner Freundschaft zu Erich Honecker) entstand das Neue Gewandhaus als repräsentativster Konzertsaal des jungen Staates und wurde zu einem Fokus des klassischen Musiklebens weit über die Messestadt hinaus. Und Masur in den letzten Tagen der DDR zu einer fast legendären Gestalt.
    Als 1989 der Widerstand gegen die Herrschaft der SED und deren Staatssicherheitsapparat anschwoll, stand Kurt Masur an einer Schnittstelle zwischen den Demonstranten und den Repräsentanten des Systems. Er demonstrierte "aufrechten Gang": Nicht zuletzt seinem Vermittlungs- und Verhandlungsgeschick wird zugeschrieben, dass die Konfrontation zwischen Herausforderern und Staatsmacht so glimpflich verlief.
    Der gemeinsam mit drei Sekretären der SED-Bezirksleitung, dem Theologen Peter Zimmermann und dem Kabarettisten Lange veröffentlichte Aufruf "Keine Gewalt!" trug entscheidend zum friedlichen Verlauf der Demonstration von 100.000 Leipzigern bei – und Masur bereits Ende Dezember jenes Jahres die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig ein.
    Volle Bandbreite musikalischer Ausdruckskraft
    Der Mann begann zum Mythos zu wachsen. Masur, der wie wenig andere das klassische Musik-Markenzeichen 'Made in GDR' geprägt hatte, bewies Instinkt und machte sich rar in Mitteldeutschland – 1991 ging er nach New York, wechselte zu einem der renommiertesten amerikanischen Orchester.
    Zwei Jahre später kam er mit den New Yorker Philharmonikern, denen der Ruf vorauseilte, sie ließen sich kaum bändigen, nach Europa – zum ersten Gastspiel dieses Orchesters jenseits des Atlantiks. Die Tournee geriet zum Triumphzug. Den zwölf Jahren in New York schloss sich, ab September 2002, noch die Direktion des Orchestre National de France in Paris an: Die exemplarische DDR-Karriere weitete sich schließlich zu einer Tätigkeit in internationalem Maßstab – zu dem, was in der musikalischen Welt gerne "Weltgeltung" genannt wird. Der grund-solide Kapellmeister scheute die große Geste nicht, verlangte nicht selten von seinen Leuten ein Äußerstes: Zum Beispiel ein gesteigertes, ja überhitztes Espressivo, das in der breiten Palette seiner symphonischen Optionen ebenso Platz und Funktion hatte wie Geschmeidigkeit und Eleganz.