Karin Fischer: Frage an unsere Filmkritikerin Katja Nicodemus: Lakonie und Energie wären vermutlich auch passende Worte für Manfred Krug, oder wie würden Sie ihn charakterisieren?
Katja Nicodemus: Ja, das stimmt schon. Aber ich finde, er hatte auch was, was wirklich nur ganz wenige deutsche Schauspieler hatten, nämlich so eine Mischung aus Revoluzertum, Sexiness, Körperlichkeit und auch Coolness. Im Grunde war er so eine Art Marlon Brando der DDR, wenn man ihn sich so anguckt, auch wenn er oft mit nacktem Oberkörper in seinen frühen Rollen zu sehen war. Ich habe mich übrigens immer gefragt, warum mir seine Stimme immer so wohlige Gefühle ausgelöst hat, und dann wurde es mir irgendwann klar, als ich mal gelesen habe. Er hat ja den Samson in der Sesamstraße gesprochen über Jahre hinweg und das war natürlich für mich dann eine absolute Prägung.
"Das ist ja wirklich eine absolute Szene der Freiheit"
Fischer: Wir müssen "Spur der Steine" besprechen, jenen Film von Frank Beyer, der in der DDR 1966 gleich nach Erscheinen verboten wurde, der berühmteste Verbotsfilm der DEFA. Krug spielt den Zimmermann und Brigadeleiter Hannes Balla. Es geht um, ich sage mal, sozialistische Planwirtschaft und Menschlichkeit.
Nicodemus: Ja, das ist irgendwie ganz toll, weil er spielt da ja diesen Proletarier, der sich den Regeln der Planwirtschaft widersetzt, aber einfach auch nur, weil ihm das gegen den Strich geht, weil er da nicht aufgeht in seinem Enthusiasmus, in seinem Glauben, auch in seiner Integrität. Und da sieht der Krug mit seinen Zimmermannsklamotten, mit diesem breitkrempigen Hut aus wie ein Cowboy, wie so ein Westerner, und die DDR, die wirkt wie eine Pionierlandschaft, und er verkörpert diesen Mann, der mit einsamer Integrität das Gesetz dieser aufrechten Männlichkeit auch verkörpert, aber er hat auch eine unglaubliche Anarchie. Es gibt da ja diese irre Szene, wenn die Zimmerleute nackt in so einen Pool springen mit ihren breitkrempigen Hüten. Das ist ja wirklich eine absolute Szene der Freiheit. Und man merkte auch damals schon, dass dieses Gefühl, was Krug da verkörpert, irgendwie echt war. Er hat auch in der DDR eine Lehre als Stahlschmelzer gemacht und dann hat er auf der Stirn diese Narbe von einem Spritzer Stahl. Im Grunde war das schon so ein proletarisches Brandzeichen eigentlich.
Fischer: Das war ja auch Teil des Erfolgs dieses Films. Manfred Krug ist vielleicht nicht, Katja Nicodemus, als politische Figur eigens zu würdigen, andererseits hat das Deutsch-Deutsche sein Leben doch sehr geprägt, und er hat all diese Fährnisse mit einer enormen Glaubwürdigkeit beantwortet.
Nicodemus: Er war vielleicht nicht in einem so expliziten intellektuellen Sinne politisch, aber er war, glaube ich, noch auf eine ganz viel mutigere Art politisch. Es musste ihm ja auch bewusst sein, was es bedeutet hat, den Protest auch gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann zu unterzeichnen. Er hat ja daraufhin auch ein Teil-Berufsverbot bekommen, ist dann 1977 aus der DDR in die BRD ausgereist. Aber er hat sich da auch nie als Opfer stilisiert. Im Gegenteil. Im Grunde hat er auch im Gespräch, in Interviews immer wieder die Idee der DDR gegen ihre engstirnigen Funktionäre versucht, zu verteidigen.
Es ging ja dann weiter mit diesem instinktiven politischen Mut. In der Bundesrepublik hat er ja zum Beispiel Werbung für die Telekom und ihren Börsengang gemacht und als die Aktien dann in den Keller gingen, dann hat er sich dafür auch in einem Interview entschuldigt und er wurde dann von der Telekom dafür rausgeworfen. Er hat sich als Buchautor sogar mit Amazon angelegt und er hat sich mit der "Bild"-Zeitung angelegt. Er hat sie bis zum Schluss eigentlich immer in der Öffentlichkeit als "Blöd"-Zeitung bezeichnet, und das muss man erst mal bringen als Schauspieler, der ja auch auf eine gewisse Popularität angewiesen ist.
"Rolle eines Volksschauspielers"
Fischer: Manfred Krug war so vieles. Er war auch Sänger und Chansonnier, der einige Jazzplatten veröffentlicht hat. Er hat in der DDR jahrelang im Musical "Porgy and Bess" auf der Bühne gestanden, er war Bestseller-Autor, er war Tatort-Kommissar und spielte – das war nachweislich seine Lieblingsrolle – einen LKW-Fahrer, der durch die Welt tourt. Bodenständigkeit und Abenteuerlust schienen, bei ihm kein Widerspruch zu sein. Was ist für Sie, Frau Nicodemus, die Rolle seines Lebens?
Nicodemus: Ich würde schon einerseits sagen die Kinorollen, die frühen Kinorollen in der DDR. Die waren natürlich toll. Aber ich habe auch das Gefühl, dass eigentlich bei Manne Krug alle seine Rollen auf eine Art zusammenfließen zu etwas, was eigentlich im Deutschland der Nachkriegszeit kaum existiert hat, nämlich zu der Rolle eines Volksschauspielers, der wirklich quer durch alle Bevölkerungsschichten gemocht, gefeiert und vor allem geliebt wird. Ich fand ja, dass der Regisseur Egon Günther das mal toll gesagt hat. Der hat gesagt, er hat von der schauspielerischen Redlichkeit Krugs gesprochen, dass es diesen ganzen Firlefanz von Selbstbefindlichkeiten bei ihm nicht gab, und das haben wirklich nur ganz große Schauspieler von der Liga von Jean Gabin. Dieser uneitle Minimalismus, der letztlich in allen Rollen, in all seinen Kunstformen zusammengeflossen ist, sogar in der Telekom-Werbung. Und ich finde, diese unerschütterliche, man kann das nennen, Herz- und Instinktmischung, dass die zu einer einzigen Rollenperson zusammengeflossen ist. Und es ist ja auch kein Zufall, dass der Volksmund ihn dann so zärtlich als Manne Krug bezeichnet hat.
Fischer: Herzlichen Dank. - Katja Nicodemus war das mit einer Würdigung des Schauspielers Manfred Krug, der bereits am vergangenen Freitag im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben ist.
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