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Zum Tod von Marianne Fritzen
Grande Dame der deutschen Anti-Atom-Bewegung

Sie war Mitbegründerin der Grünen und vor allem in den 80er-Jahren eines der bekanntesten Gesichter der Anti-Atom-Bewegung. In der Nacht zum Montag ist Marianne Fritzen im Alter von 91 Jahren gestorben

Von Axel Schröder |
    Marianne Fritzen am 19.02.2007 vor einer Polizeiabsperrung
    Marianne Fritzen am 19.02.2007 vor einer Polizeiabsperrung. (picture alliance / dpa - Ingrid & Werner Lowin/Bürgerinitative Umweltschutz Lüchow Dannenberg)
    Marianne Fritzen war so etwas wie die Grande Dame der deutschen Anti-Atom-Bewegung. Eine Ideengeberin, Organisatorin, Sprecherin und zum Schluss: die Archivarin der Bewegung. In ihrem kleinen Haus im wendländischen Kolborn, umgeben von einem wilden, im Laufe der Jahre fast zugewachsenen Garten lief oft genug bis in die späten Abendstunden der Computer der gebürtigen Elsässerin, ihr Kasten:
    "Normalerweise, bevor ich ins Bett gehe, gehe ich nochmal an den Kasten, gucke: Ist was reingekommen? Und beantworte das gleich. Und dann wird es zwei mitunter bis ich im Bett bin."
    Aber diese Arbeit, so die 91-Jährige im Sommer 2015, tat sie zum Schluss aus freien Stücken. Als sozusagen Widerständlerin in Rente. Ohne ein Amt in der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die sie Anfang der 70er-Jahre zusammen mit ihren Mitstreitern gegründet hatte. Damals sollte im Wendland, an der Elbe bei Langendorf ein Kernkraftwerk gebaut werden. Die Pläne wurden fallengelassen. Nur um drei Jahre später gleich ein ganzes "Nukleares Entsorgungszentrum" in Gorleben zu errichten. Mit einer Wiederaufbereitungsanlage für hochradioaktiven Müll, einer Brennelementefabrik, einem Zwischen- und Endlager für stark strahlende Abfälle.
    Marianne Fritzen, damals schon 53 Jahre alt, aktiv in der katholischen Gemeinde, ging dagegen auf die Barrikaden. Und bekam es gleich - wie viele andere Aktivisten - mit dem Verfassungsschutz zu tun, wurde observiert.
    "Ich weiß noch: um sieben, frühmorgens, da kam ein Jungbauer und der sagte: 'Hast Du schon gesehen, wie gut Du bewacht wirst heute, morgen? Hast drei Autos um Dich rumstehen, kannst nicht raus!' Ich sage: 'Oh, ist ja nett…!' Sagt er: 'Eins steht oben am Berg, eins steht am Friedhof und das andere steht da.'"
    Fritzen bewahrte sich ihre Offenheit
    Marianne Fritzen bekommt Drohbriefe, Anrufe, in denen sie beschimpft wird. Sie lässt sich nicht entmutigen, vor allem aber machte sie der Gegenwind nicht bitter. Marianne Fritzen konnte auf die Menschen zugehen und bewahrte sich ihre Offenheit, erinnert sich ihre Freundin und jahrzehntelange Mitstreiterin, die Europaangeordnete der Grünen, Rebecca Harms:
    "Mit ihrer Art der hohen demokratischen Ansprüche hat sie es auch geschafft, dieses weite Spektrum, dass sich in und um die Bürgerinitiative politisch versammelt hat, zusammenzuhalten."
    Die Aktivistin schlug Brücken zwischen Anarchisten und erzkonservativen Bauern, zwischen Gewerkschaftlern und dem wendländischen Adel. Gefürchtet waren ihre scharfen Argumente, die weder die politischen Gegner noch die eigenen Mitstreiter schonten. Sie sei "stur wie ein Panzer", erinnert sich der einstige Umweltminister Jürgen Trittin. Und Marianne Fritzen hatte, was die Formen des Widerstands anging, klare Prinzipien:
    "Gewalt gegen Menschen kommt überhaupt nicht in Frage. Gewalt gegen Sachen - da ist man ganz geteilter Meinung. Ich hätte nie einen Zaun aufgeschnippelt. Aber ich würde sagen, da tue ich keinem Gewalt an."
    Fritzen kümmerte sich um das Gorleben-Archiv
    Im Jahr 2000 verließ Marianne Fritzen ihre Partei, die Grünen. Aus Protest gegen den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr und den sogenannten Atomkonsens der damaligen rot-grünen Bundesregierung. Seitdem hat sie vor allem um das Gorleben-Archiv gekümmert. Um Fotos, Filme, Flugschriften und Diskussion, kurz: das Wissen zu bewahren, wie Widerstand funktionieren kann. Damit etwas bleibt, wenn die derzeit abgebrochenen Vorarbeiten für ein Atommüll-Endlager in Gorleben vielleicht doch eines Tages wieder aufgenommen werden. Rebecca Harms:
    "Die Arbeit am Archiv, die zeigt meiner Meinung nach, dass Marianne auch die Verantwortung gegenüber denjenigen, die in der Zukunft mit dem Problem umgehen müssen, übernommen hat."
    2010 wurde Marianne Fritzen für ihr jahrzehntelanges Engagement mit dem Petra-Kelly-Preis der Heinrich-Böll-Stiftung ausgezeichnet. Bisher steht in Gorleben erst das Zwischenlager, eingelagert sind dort 113 Castorbehälter und nicht die geplanten 420. Die Hälfte der deutschen Atomkraftwerke wurde abgeschaltet, die andere Hälfte wird in wenigen Jahren vom Netz gehen. Für Marianne Fritzen ist das ein großartiger Erfolg:
    "Was habe ich erreicht, diese Frage stelle ich mir nicht. Diese Frage kann ich mir jetzt nach 40 Jahren stellen: Was haben wir erreicht? Und da muss ich sagen: Wir haben sehr, sehr viel erreicht, ganz einfach, ja?"