Von einer Art Hypnose sprach Mariss Jansons, wenn er erklären sollte, wie das mit dem Dirigieren funktioniert. Auch er wusste nicht, warum die Orchestermusiker für den einen Dirigenten, der doch nur die Hände und Arme bewegte, großartig spielen, für einen anderen, der dieselben Bewegungen macht, aber nicht. Für ihn, Jansons, waren sie alle bereit, alles zu geben, ob bei den Osloer Philharmonikern, wo er seine internationale Karriere 1979 begann und bis zum Jahr 2000 Chefdirigent blieb. Ob beim Pittsburgh Symphony Orchestra oder seit 2003 beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das er in die Gruppe der führenden Orchester weltweit brachte. Von 2004 bis 2015 war er ebenfalls Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouw-Orkest, als Gastdirigent wurde er nicht nur bei den Berliner und Wiener Philharmonikern gefeiert.
Nie eitel, immer zugewandt
Dabei bezeichnete Jansons sich selbst als altmodisch, als vor allem der Musik verpflichtet und gar nicht an äußerem Glanz, an Publicity und spektakulären Karrieresprüngen interessiert. Er war ein zurückhaltender, freundlicher, beinahe unauffälliger Mensch. Im positiven Sinn. Nie hat er sich eitel in den Vordergrund gedrängt, weder in seinen musikalischen Interpretationen, noch beim persönlichen Zusammentreffen. Immer war er zugewandt, wollte herausfinden, was dahintersteckt, ob es nun Partituren waren oder ihm zunächst irritierend vorkommende Fragen eines Interviewers. So konnte ein Konzert mit ihm häufig zunächst vollkommen unspektakulär erscheinen. Dann setzte sich langsam aber sicher die Erkenntnis durch, dass man dieses Werkt noch nie so rund, so durchgestaltet, so in sich geschlossen und richtig gehört habe.
Er wusste genau, wie man musikalische Effekte erzielt
Jansons konnte die problematischen Großformen der Symphonien Gustav Mahlers ganz selbstverständlich erscheinen lassen, die Gewalt der Werke Schostakowitschs mit grimmigem Witz und einer doch nicht versiegenden Menschenfreundlichkeit verbinden. Gleichzeitig wusste er genau, wie man musikalische Effekte erzielt, wollte Bekenntnismusik machen, weshalb ihm gerade die geistlichen Werke von Brahms, Mozart, Poulenc oder Bernstein überragend gelangen. Werke, deren musikalischer Gehalt doch zumindest unterschiedlich zu nennen ist.
Bewusste Entscheidung für eine langsame Karriere
Alle Musik ernstzunehmen hatte Mariss Jansons in Leningrad gelernt, heute wieder St. Petersburg, wo er eine gründliche Ausbildung genoss. 1946 holte Jewgeni Mrawinsky Jansons Vater Arvids als Assistenten zu den Leningrader Philharmonikern, zehn Jahre später zog auch die restliche Familie aus dem lettischen Riga nach und das Talent des damals Zwanzigjährigen wurde am dortigen Konservatorium ausgebildet. Danach studierte er in Österreich bei Hans Swarowsky und Herbert von Karajan, entschied sich aber ganz bewusst für einen langsame Karriere. Erst wurde er, wie zuvor sein Vater, Assistent bei den Leningrader Philharmonikern, dann arbeitete er jeweils für lange Zeitspannen mit guten, aber nicht herausragenden Orchester, bevor er mit Mitte fünfzig seine wirklich große Karriere startete. Auch in der Oper sind ihm immer wieder großartige Abende gelungen, bis er im Jahr 1996 während einer "La Bohème"-Aufführung in Oslo einen Herzinfarkt nur knapp überlebte und danach den emotionalen Stress von szenischen Opernaufführungen zu vermeiden versuchte.
Emotionale Ausnahmeerlebnisse
So schwärmen jene, die seine Opernabende erlebten, noch immer von emotionalen Ausnahmeerlebnissen, auch wie Jansons Musik und Szene in der Oper als untrennbare Einheit verstand. Etwa hundert Auftritte pro Jahr mutete er sich aber immer noch zu, alle sofort ausverkauft, weil jeder um seine angegriffene Gesundheit wusste und sich gleichzeitig ein großartiges Konzert erhoffte. Im kommenden Sommer hätte er bei den Salzburger Festspielen mit "Boris Godunow" wieder eine Oper dirigieren sollen. Dazu wird es nicht mehr kommen, Mariss Jansons erlag in seiner Wahlheimat St. Petersburg seinem Herzleiden.