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Zum Tod von Michael Ballhaus
"Er hatte immer selber die Bilder im Kopf"

Michael Ballhaus hat mit seiner Kamera die Regie der großen Filmemacher wie Martin Scorsese oder Rainer Werner Fassbinder weitgehend mitbestimmt. Schauspielerinnen verhalf er dazu, sich vor der Linse zu öffnen. "Er war ein Frauen-Kameramann", sagte FAS-Redakteur und Ballhaus-Biograf Claudius Seidl im DLF.

Claudius Seidl im Gespräch mit Sigrid Fischer |
    Der Kameramann Michael Ballhaus hält den "Goldenen Ehrenbären", mit dem er 2016 bei der Berlinale ausgezeichnet wurde.
    2016 wurde Michael Ballhaus bei der Berlinale mit dem "Goldenen Ehrenbären" ausgezeichnet. Am 12. April 2017 ist er im Alter von 81 Jahren gestorben. (dpa)
    Sigrid Fischer: "Das geht nicht, gibt es nicht - alles geht", war sein Credo. Und er hat alles möglich gemacht, der deutsche Kameramann Michael Ballhaus. In der Nacht zum Mittwoch ist er im Alter von 81 Jahren verstorben. Sein Schicksal war es, dass er - der mit den Augen so großartiges vollbrachte - zuletzt erblindete. "Goodfellas", "Bram Stoker's Dracula", "Air Force One", "Die fabelhaften Baker Boys", 14 Mal Fassbinder, die Filmliste ist schier unendlich. Feuilleton-Chef der FAZ am Sonntag und Filmexperte Claudius Seidl, der hat mit ihm zusammen sein Leben aufgeschrieben, in dem Buch "Bilder im Kopf" von 2014. Guten Tag, Claudius Seidl.
    Claudius Seidl: Grüß Gott.
    Fischer: Ja ungewöhnlich, dass ein deutscher Filmkünstler mal, egal aus welchem Gewerk, überhaupt so einen Erfolg in Hollywood hat. Warum ist Michael Ballhaus das gelungen?
    Seidl: Es ist ihm komischerweise gelungen, weil er so ein deutscher Filmkünstler war und weil er mit dem Herrn Fassbinder gearbeitet hat. Fassbinder wollte immer mehr, als er konnte und wollte immer mehr, als Geld da war, so dass Ballhaus gelernt hatte, die Filme nach mehr ausschauen zu lassen und Filme mit extrem knappen Budget trotzdem einigermaßen gut hinzukriegen. Das musste er einfach können, sonst wäre aus keinem dieser Fassbinder Filme was geworden. Und als er und Fassbinder nicht mehr arbeiten wollten, war er in Amerika, hat da ein paar Filme gedreht, geriet an Martin Scorsese, der gerade irgendwie ein paar Flops hinter sich hatte und dem man gesagt hatte. Lieber Martin Scorsese, Sie können diesen Film "Afterhours - Die Zeit nach Mitternacht" drehen, aber nur mit einem extrem knappen Budget. Da kam Ballhaus ins Spiel und hat gesagt: kein Problem. Und dieser Film wurde so gut, die Zusammenarbeit war so perfekt, dass plötzlich Martin Scorsese in Hollywood eine Nummer war und der Rest hat sich ergeben.
    Fischer: Kann man dann sagen, wenn einer so eng, mit Scorsese dann eben auch, mit einem Regisseur zusammenarbeitet, dann hat er auch heimlich ein bisschen Regie geführt.
    "Seinen Stil erkennt man deutlich"
    Seidl: Ich würde es anders beschreiben. Er hat eben die Bilder gemacht. Regieführen ist ja ein komplexes Ding, keiner weiß genau, was es ist. Michael Ballhaus hatte eben einfach immer selber ganz gut die Bilder im Kopf. Wo genau die Grenze verläuft zwischen, was weiß ich, der Erfindung, zum Beispiel von Martin Scorsese und dem Genie von Michael Ballhaus, ist nicht zu bestimmen, muss auch nicht bestimmt werden.
    Fischer: Ja. Diese 360-Grad-Kamerafahrt wird natürlich jetzt auch nochmal in den Nachrufen immer wieder erwähnt. Aus dem Fassbinder-Film "Martha", die wird heute schon in jeder Daily Soap, in fast kitschigen Momenten eingesetzt. Aber hatte er darüber hinaus, kann man sagen, es gab eine Ballhaus Handschrift? Wir haben ihn selbst eben gehört, er sagte: Ne, einen eigenen Stil wollte ich eigentlich nie.
    Seidl: Ja. Und genau das ist der Michael Ballhaus-Stil. Sein Stil bestand nicht darin, dass er, was weiß ich, mit irgendwelchen Sperenzchen seine Spuren in den Filmen hinterließ. Sondern, dass er, der ja am Theater groß geworden war, der ja einen Schauspieler als Vater, Schauspielerin als Mutter hatte, diesen ganzen Stil, den man heute ganz deutlich erkennt, vor allem daraus entwickelt hat, aus ungeheurem Respekt, Zuneigung zu Liebe, zu den Schauspielern. Und das eben man sich natürlich im Grunde diese schönen Bewegungen, diese beschwingten Bewegungen der Kamera vor allem daraus erklären kann, dass er nicht im Weg stehen wollte. Dass er, sozusagen, dieses Geschehen, dieses Spielgeschehen mit maximaler Prätention und Unaufdringlichkeit eben registrieren wollte.
    Fischer: Also gar nicht exzentrisch kann man sagen.
    Seidl: Überhaupt nicht.
    "Eine Szene, intensiver als ein Striptease"
    Fischer: Warum bloß, Claudius Seidl, hat Michael Ballhaus nie den Oscar bekommen? Er war drei mal nominiert. Das kann doch nicht sein.
    Seidl: Ach, vergessen Sie die Oscars. Es gibt so viele große Filmkünstler, die nie einen Oscar bekommen haben. Völlig egal, völlig egal.
    Fischer: Völlig egal. Okay. Posthum.
    Seidl: Völlig egal. Für seinen Nachruhm, für seine Größe, spielt es überhaupt keine Rolle.
    Fischer: Posthum geht auch noch. "Bilder im Kopf" heißt die Biografie, die Sie mit ihm zusammen geschrieben haben. Gibt es so ein Bild von Michael Ballhaus, das Ihnen ganz besonders im Kopf ist?
    Seidl: Ja, natürlich. Und zwar ist das nicht jetzt diese ebenfalls legendäre Kreisfahrt in den fabelhaften "Baker Boys", sondern eine Szene ganz am Anfang, wo Michelle Pfeiffer in diesen Übungsraum kommt, sich vorstellt, als Frau, die gerade noch als Callgirl gearbeitet hat, die Sängerin werden möchte. Und dann fängt sie an zu singen. Diese Szene empfinde ich als intensiver, als es jeder Striptease wäre. Weil Michelle Pfeiffer selber singt und weil sie sich so entblößt dabei. Und weil man da sieht: So etwas funktioniert nur, wenn sie absolut diesem Mann hinter der Kamera vertraut, dass er von ihr gute Bilder macht. Er war wirklich ein Frauen-Kameramann par excellence.
    Fischer: Im Alter von 81 Jahren ist in der Nacht zum Mittwoch der weltberühmte, deutsche Kameramann Michael Ballhaus gestorben. Vielen Dank, Claudius Seidl, für diese Erinnerungen.
    Seidl: Danke für Ihr Interesse.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.