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Zum Tod von Ralph Giordano
"Er war ein großer Diskutierer"

Er schrieb mit Leidenschaft und Feuer und war ein großer Diskutierer: So beschreibt sein Verleger Helge Malchow den Schriftsteller Ralph Giordano. Sein Leben sei immer auch ein politisches gewesen, sagte Malchow im DLF. Allerdings seien sie sich in Debatten nicht immer einig gewesen.

Helge Malchow im Gespräch mit Christoph Schmitz | 10.12.2014
    Der Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano im Jahr 2013
    Der Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano im Jahr 2013 (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
    Christoph Schmitz: Über ein halbes Jahrhundert lang war er eine gewichtige Stimme in den politischen und gesellschaftlichen Diskussionen der Bundesrepublik Deutschland: Ralph Giordano. Im Alter von 91 Jahren ist er heute in Köln gestorben. Aufgewachsen ist Giordano in Hamburg. Als Sohn einer jüdischen Mutter wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt, überlebte mit Glück und Hilfe und mischte sich als Journalist und Autor früh ein. Über 100 Fernsehfilme über Menschen im Nationalsozialismus, im Faschismus, im Stalinismus, in der Dritten Welt hat er gedreht. Beim tödlichen Brandanschlag in Mölln, bei dem drei Türkinnen ermordet wurden, warf er dem Staat Schwäche vor. Er protestierte auch gegen den Bau der Kölner Großmoschee und erwiderte seinen Kritikern:
    "Ich bin kein Türkenschreck. Ich bin kein Anti-Muslim-Guru. Ich stehe an der Seite säkularisierter und kritischer Muslime im Kampf gegen einen politischen und militanten Islam, der sich hier bei uns breit zu machen versucht."
    "Hat sich immer wieder die große Frage gestellt"
    Schmitz: Und immer wieder wandte sich Ralph Giordano seiner eigenen Familiengeschichte zu wie in seinem Großroman "Die Bertinis" von 1982. Die meisten seiner Bücher sind beim Verlag Kiepenheuer und Witsch in Köln erschienen, auch "Israel, um Himmels willen, Israel" oder "Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr". In welchem Ton hat Giordano geschrieben? Das habe ich den Kiepenheuer und Witsch-Verleger Helge Malchow gefragt, der auch mit Giordano befreundet war.
    Helge Malchow: Mit großer Leidenschaft und mit Feuer, denn er war ja nicht nur ein neutraler Beobachter oder von der Wissenschaft herkommender Publizist, beispielsweise Historiker, sondern er war unmittelbar ein Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen und hat mit größtem Glück und unter dramatischsten Bedingungen die letzten zwei Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft in Hamburg in einem Kellerloch überlebt, wo er mehrmals fast entdeckt worden wäre. Darüber hat er auch geschrieben. Das heißt, der Rassismus und der Antisemitismus des nationalsozialistischen Regimes, den hat er in einem Maße am eigenen Leib gespürt und erlebt, dass das Zeit seines Lebens gewissermaßen der Movens war, um sich immer wieder der großen Frage zu stellen: Erstens, wie konnte so etwas in einem zivilisierten Land wie Deutschland passieren, und zweitens, noch viel wichtiger, wie konnte es passieren, dass nach 1945 in einem solchen Maße diese Verbrechen verdrängt wurde, und wie konnte es passieren, dass in einem solchen Maße Amtsträger und Täter der nationalsozialistischen Regierungszeit höchste und einflussreichste Ämter in der Bundesrepublik bekleiden konnten, ohne dass das bekannt war, beziehungsweise ohne, dass man sich damit auseinandersetzen wollte.
    Schmitz: Politisch hat er sich ja dann nach '45 in den Kommunismus gerettet als mögliche Strategie, mit diesen Radikalismen zurechtzukommen und sie zu überwinden, hat sich aber dann '61 in "Die Partei hat immer recht" vom Stalinismus, vom Kommunismus getrennt - ein Buch, das auch bei Kiepenheuer und Witsch erschienen war.
    Malchow: Das war eine kürzere Episode in seinem Leben, unmittelbar nach der Befreiung. Für ihn kann man wirklich diesen Begriff Befreiung verwenden, den ja viele Deutsche nach dem Krieg gar nicht verwendet haben. Er ist dann Mitglied der kommunistischen Partei geworden, übrigens auch kurz in der DDR gewesen, dort auf eine Journalistenschule gegangen. Aber die Erfahrungen dort haben ihm sehr schnell die Augen geöffnet und er hat sich dann vom Kommunismus und totalitären Denken insgesamt abgewendet und hat darüber eines der ersten großen antikommunistischen Bücher, wenn man das so will, geschrieben.
    Schmitz: Sein Verhältnis zu Israel rückte irgendwann in den Mittelpunkt. "Israel, um Himmels willen, Israel" war einer der Titel. Seine Herkunft - sein Vater war Italiener -, "Sizilien, Sizilien!", eine Heimkehr war das. "Erinnerungen eines Davongekommenen" 2007, da schaut er wieder zurück auf sein Leben, auf seine Geschichte. Politisch engagiert war er immer. Er hat sich immer eingemischt. Er hat gegen Martin Walser polemisiert. Er war für den Irak-Krieg. Er hat sich mit dem Genozid an den Armeniern durch die Türken beschäftigt und vehement gegen den Islam argumentiert.
    Malchow: Ja.
    "Freundschaftliche Gespräche und Diskussionen"
    Schmitz: Wie haben Sie das gesehen als Verleger und Freund?
    Malchow: Ralph Giordano war ja nicht nur Autor des Hauses, sondern auch ein Freund des Hauses, ein ganz enger Freund des Hauses, auch, weil er hier in Köln ja seine zweite Heimat gefunden hatte, und in der Tat hat er sich mit einer riesigen Vehemenz eingeschaltet in die Debatten um nicht nur den Kölner Moscheenbau, sondern insgesamt um die Frage der islamistischen Bedrohung, die er als ganz dramatisch gesehen hat für die politische Entwicklung der Bundesrepublik. Ich will ganz offen sagen, dass ich bei diesem Thema mit ihm auch Dispute hatte und Auseinandersetzungen - freundliche - hatte, und zwar nicht wegen seines Standpunktes, über den er nachhaltig gewarnt hat vor islamistischer Scharia-Herrschaft und vor islamistischem Fanatismus, wie wir ihn kennen und gegen den man sich zu wehren hat, sondern er ist in dieser Auseinandersetzung manchmal verbal zwei, drei Schritte zu weit gegangen, aus meiner Sicht, und hat die Grenze überschritten, um es kurz zu sagen, zwischen Islamismus und Islam. Aber das waren freundschaftliche Gespräche und Diskussionen, für die er immer offen war. Er war ein großer Diskutierer und er war jemand, der mit Leidenschaft ein Homo Politicus war, dessen ganzes Leben immer auch ein politisches Leben war, und deswegen war das für ihn auch gar kein Sakrileg, dass man anderer Meinung war und dass man mit ihm darüber diskutiert hat.
    Schmitz: Kiepenheuer und Witsch-Verleger Helge Malchow über den verstorbenen Autor und Journalisten Ralph Giordano.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.