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Zum Tod von Richard Widmark

Mit der Rolle als Ankläger in dem Film "Das Urteil von Nürnberg" legte der Schauspieler Richard Widmark das Image des Bad Boy endgültig ab, das am Beginn seiner langen Filmkarriere stand. In "Kiss of Death" spielte er 1947 einen sadistischen Killer, dessen irres Lachen ihm einen Preis in Locarno und eine Oscar-Nominierung einbrachte. Richard Widmark ist im Alter von 93 Jahren gestorben.

Moderation: Karin Fischer | 27.03.2008
    Karin Fischer: Frage an den Filmkritiker Knut Elstermann, welche seiner vielen Rollen und Charaktere ist Ihnen denn am ehesten im Gedächtnis geblieben?

    Knut Elstermann: Das ist gar nicht so einfach zu sagen, weil wenn ein Schauspieler so viel spielt, irgendwie steht er dann noch vor seinen Rollen. In unserem Gehirn und unserer Vorstellung ist eine bestimmte Vision da von ihm deshalb. Ich habe auch lange überlegt, was ist vielleicht einer der schönsten Filme. Da komme ich interessanterweise auf das Werk eines deutschen Regisseurs, nämlich Volker Schlöndorff, "Ein Aufstand alter Männer" 1987, den er in Amerika gedreht hat, auch so etwas wie seine Vorstellung vom amerikanischen Mythos. Und da war es natürlich sehr reizvoll, den ja dann schon doch gereiften, gealterten Schauspieler zu sehen und auch zu begreifen, wie Volker Schlöndorff mit dieser Figur spielt, also mit dem Mythos, den wir heute doch mal, noch mal so uns vor Augen führen, mit diesem großen Mythos Richard Widmark, der er damals schon war.

    Fischer: Mit welchem Mythos spielte Schlöndorff denn da? Was ist alles sozusagen durch diesen großen Schauspieler hindurch sichtbar geworden?

    Elstermann: Ich denke, zum einen ist es die hohe Intelligenz. Das ist etwas, was ein Schauspieler nicht unbedingt haben muss. Es kann sogar, ich sagte es ganz vorsichtig, hinderlich sein. Aber bei ihm war es anders. Bei ihm war alles durchdacht, durchaus kalkuliert, und deshalb brachte er es eben fertig, so kluge, intensive, aber auch sparsame Inszenierungen zu bieten, so seine Figuren aufzubauen, dass man immer merkt, da ist ein denkender Schauspieler. Und so wurde er auch genannt. Er hat ja selbst auch studiert. Er war sogar Professor eine Zeit lang, hat dann aber während der Universität doch seine Leidenschaft entdeckt für das Spielen. Da war wohl ein Lehrer ein bisschen dran schuld, der ihn so mit auf die Bühne gebracht hat, hat auch gründlich dann das Handwerk auf der Bühne selbst erlernt, am Broadway, bevor er dann debütierte eben mit dem "Todeskuss", den Sie schon erwähnt haben. Ich würde sagen, das Erste, was mir einfällt bei diesem Schauspieler, ist eine große schauspielerische Intelligenz und zugleich eben die Ökonomie des Spielens, das Zurückhaltende, ganz genau zu wissen, es genügt eigentlich, meine große Persönlichkeit hier in die Waagschale zu werfen. Es muss dann gar nicht mehr so furchtbar viel noch passieren.

    Fischer: Er galt als zurückhaltender Mensch, war vermutlich alles andere als eine Rampensau. Er hat sich nie den Regeln Hollywoods unterworfen, sondern sich lieber politisch engagiert und auf seiner Pferderanch in Connecticut gelebt. Man sagt das immer so gerne, mit ihm sei ein Kapitel amerikanischer Filmgeschichte abgeschlossen. Wenn Sie seine vielen Rollen Revue passieren lassen, welches Kapitel wäre das denn?

    Elstermann: Das denke ich auf jeden Fall, dass das eine völlig berechtigte Bemerkung ist. Denn wir haben hier vielleicht wirklich den letzten Star, an den wir heute denken, der alten Schule. Das ist einfach ein Starsystem, das so nicht mehr existiert. Denken Sie daran, nach dieser ersten grandiosen Rolle, eben im "Todeskuss", bekommt er einen Siebenjahresvertrag bei der "Fox". Man band ja damals Schauspieler an ein Studio zum Beispiel, was durchaus gut ist für die Entwicklung eben eines Stars. Dann diese Kontinuität, dieses ständige Präsentsein, immer beste Leistungen bieten. Was nennen wir heute alles Star? Wir denken nur an alberne Fernsehshows und werden dann überschüttet mit dem Privatleben von Sternchen. Das gab es bei ihm alles nicht. Er hielt es da immer mit Humphrey Bogart. Bogart hat mal gesagt, wir sind den Leuten, dem Publikum eigentlich nur hervorragende Leistungen schuldig, weiter nichts. Genauso hielt es Richard Widmark auch. Er hat immer gesagt, wer auf meine Farm kommt, der kann mir eine Rolle anbieten, ansonsten soll er bitte schön wegbleiben, andere Besuche brauche ich nicht.

    Fischer: Er hat mit allen wichtigen Regisseuren seiner Zeit zusammengearbeitet, mit John Ford, mit Sam Fuller, mit Elia Kazan. Was haben jenseits seiner Intelligenz, die Sie schon erwähnten, diese Regisseure von ihm gehabt?

    Elstermann: Ich denke, wir wollen auch nicht vergessen seine enorme Erscheinung. Er hat ja schwedische Wurzeln. Ich finde, das sah man immer irgendwie, dass er so Schwedisch-Amerikaner ist, diese stahlblauen Augen, diese Präsenz, der man ja auch das Natürliche abnahm. Er war selber ein großer Pferdenarr, hat ja auch seine Ranch gehabt, Sie haben es schon erwähnt. Und er hat auch immer betont, gerade im Western, wo er übrigens ja auch beides zeigen konnte. Da war er nicht nur der Bösewicht, sondern auch der strahlende Held. Gerade im Western hatte er diese Naturnähe. Und ich finde, man sieht das einem Schauspieler auch an, wenn er auf dem Sattel sitzt, ob er da irgendwie nur geübt hat zu reiten oder ob er mit dem Pferd umgehen kann, ob es da eine Symbiose gibt. Und die gab es bei ihm, ohne Frage. Und eben dann die Möglichkeit, in jedem Rollenfach das Glaubwürdige zu finden. Sie haben Kazan erwähnt, der war ja auch sehr wichtig, um dann endlich wegzukommen von diesem Bösewicht Image, mit dem alles begann. Und "Unter Geheimbefehl" von 1950, auch bekannt als "Panic in the Streets", das war dann der erste richtige, gute, pflichtbewusste Amerikaner, ein Polizeiarzt, und der hat ihn befreit von dem Image des ewig Zynischen.

    Fischer: Herzlichen Dank an den Filmkritiker Knut Elstermann für diese Würdigung des Schauspielers Richard Widmark.