Doris Simon: Heribert Prantl, Jurist und Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung", hat Roman Herzog mehr als zwei Jahrzehnte journalistisch begleitet. Er ist jetzt am Telefon. Guten Abend.
Heribert Prantl: Guten Abend.
Simon: Herr Prantl, Roman Herzog war so viel in seinem Leben: Einser-Abiturient, Spitzenjurist, Professor, Politiker, Minister, Verfassungsrichter, Bundespräsident. Selber hat er über sich gespottet, wir haben es gerade gehört: Wer nichts Bestimmtes ansteuere, der könne nichts verfehlen, der habe deshalb weniger Misserfolge. Das klingt doch ziemlich zurückgenommen. War Roman Herzog wirklich so?
Prantl: Nein, er war gar nicht zurückgenommen. Er war eigentlich - und das hat mir an ihm besonders gut gefallen - von unstillbarer Spottlust. Er konnte auch über sich spotten, und zwar in einer so uneitlen Weise, dass diese Uneitelkeit schon fast wieder ein wenig eitel war. Er hatte ja selber seine sehr bunte Vita, seine verschiedenen Rollen, die er hatte. Er hat sich einmal - und das ist ein sehr bezeichnendes kleines Bonmot - mit einem Geißeltierchen verglichen. Das Geißeltierchen liegt im Wasser, strampelt mit den Füßen, und wenn etwas vorbeikommt, was ihm schmeckt, dann fängt er das ein. So hat er selber seine Berufe beschrieben. Nicht er habe sich die Berufe gesucht, sondern die Berufe haben ihn gefunden.
Simon: War das auch Ihr Eindruck?
Prantl: Es war schon so. Er war nicht jemand, der auf Karriere aus war.
"Er konnte komplexe Dinge in ganz einfacher Sprache erklären"
Simon: Nahe dran an den Leuten, auch das war heute viel zu hören im Nachruf. Sein Lebenslauf und sein Wirken weisen Herzog ja eher als einen, von Ihnen ja auch so genannten hochgebildeten Spitzenjuristen, als einen Politiker, als einen streitbaren Intellektuellen aus. Haben Sie den früheren Bundespräsidenten als bürgernah erlebt, wo, wie?
Prantl: Die Bürgernähe hat sich bei ihm für mich vor allem in der Sprache gezeigt. Er war ein hochgebildeter Mensch, der aber komplexe Probleme, zumal in der Juristerei, seine Begründungen, wenn er in Karlsruhe Urteile erklärte, und später, wenn er als Bundespräsident Politik entfaltete, er konnte komplexe Dinge in ganz einfacher Sprache erklären. Er war als Mensch bodenständig und als Redner, als Erklärer hatte er eine lutherisch kräftige Sprache, gar nicht poliert, aber unglaublich verständlich.
Man muss sich erinnern: Er war Nachfolger von Richard von Weizsäcker. Richard von Weizsäcker, der Weltläufige, der Polyglotte. Am Anfang schauten nicht wenige durchaus skeptisch auf diesen Roman Herzog, der Mann, der vielen erschien von der Art und Weise seines Auftretens, von seiner Figur, von seinem Phlegma ein bisschen wie ein niederbayerischer Bauernpfarrer. Er stammte aus Landshut und er hat seine niederbayerische Herkunft nie verleugnet, auch in der Sprache.
Aber dann hat er eigentlich innerhalb kürzester Zeit, binnen von der berühmten 100 Tage auch seine Kritiker davon überzeugt, dass er ein hoch sensibler, ein kluger, ein staatsmännischer Bundespräsident ist. Ich erinnere an seine Verneigung vor den Kämpfern des Warschauer Aufstandes und seine anrührende Bitte um Vergebung im Warschauer Getto. Damals hat der Schriftsteller Szczypiorski gesagt, auf diese Worte haben wir hier in Polen 40 Jahre lang gewartet. Er war jemand, der historisch denken konnte und aus der Historie schöpfte.
Als Verfassungsrichter ein liberaler Pragmatiker
Simon: Roman Herzog war ja vor seiner Zeit als Bundespräsident und vor seiner Zeit als Verfassungsrichter Politiker, seit 1970 in der CDU, wurde 1980 Innenminister in Baden-Württemberg. Da war er ja umgangssprachlich ein ziemlich harter Hund. Wie passt das für Sie zusammen mit dem späteren Roman Herzog, unter anderem auch mit Entscheidungen am Bundesverfassungsgericht, an denen er beteiligt war, und den Auftritten, die Sie jetzt geschildert haben?
Prantl: Roman Herzog hatte viele Facetten und Sie schildern zurecht diese Innenminister-Facette. Er war ein Polizeiminister, er hatte den Ruf eines Eisenfressers und sagte auch verschiedene Male, er will das Recht und die Ordnung mit der nötigen Härte und Zweifellosigkeit durchsetzen. Er war beispielsweise jemand, der den Demonstranten Demonstrationsgebühren abknöpfen wollte, um den Polizeieinsatz damit zu finanzieren. Er wollte Gummi-Wuchtgeschosse für die Polizei einführen, also wirklich ein, sage ich mal, früher Schily.
Aber als Verfassungsrichter entdeckte er oder entdeckten wir seine andere Seite. Da war er ein durchaus liberaler Pragmatiker. Ich erinnere daran, dass er das Verbot der Demonstration gegen das Kernkraftwerk Brokdorf aufgehoben hat, und diese Liberalität hat man auch in Positionen als Politiker wiedergefunden, wenn er von den Grundlinien der CDU/CSU in der Ausländerpolitik abwich und schon sehr früh für die doppelte Staatsbürgerschaft warb, die ja jetzt wieder in der CDU umstritten ist und angefochten wird. Da war er ein schon ungewöhnlicher Politiker, der sich von der Linie, die ihm die Partei zog, doch sehr oft unterschied.
Hat die "Ruck"-Rede dem Neoliberalismus einen Heiligenschein aufgesetzt?
Simon: In den Nachrufen ist sehr oft verwiesen worden auf Roman Herzogs Rede von 1997. Durch Deutschland müsse ein Ruck gehen, sagte der Bundespräsident damals. Alle müssten Abschied nehmen von lieb gewonnenen Besitzständen. Wenn man sich an 1997 zurückerinnert, dann gab es damals aber auch eine Menge Spott nach dieser Rede, und so richtig Wirkung hat sie ja nicht entfaltet.
Prantl: Wenn damals kritisiert wurde und heute immer noch kritisiert wird von einigen, dass sie dem Neoliberalismus den Heiligenschein aufgesetzt habe, ist das auch nicht ganz falsch. Er hat gefordert, alle müssten Opfer bringen, alle müssten verzichten. Und wenn ich dann schaue, was herausgekommen ist, wenn ich jetzt die Agenda 2010 als das Ergebnis betrachte, dann war es doch eine sehr einseitige Belastung. Es war keine Rede, die von sozialer Gerechtigkeit erfüllt war, die aber an anderer Stelle Roman Herzog durchaus wichtig gewesen ist.
Roman Herzog - ein großer Europäer
Simon: Herr Prantl, was sehen Sie denn als das Vermächtnis von Roman Herzog, das was bleiben wird?
Prantl: Er war ein großer Europäer und er hat die europäische Grundrechte-Charta mit ausgearbeitet, und das ist für mich das ganz Wichtige und das, was heute so unglaublich fehlt. Dieses Europa leidet daran, dass zu wenige Politiker da sind, zu wenige Staatsmänner da sind, - ich sage es jetzt mal in einem Bild -, die es singen können. Europa fehlt die Marseillaise. Europa fehlt das Anziehende, die Anziehungskraft, und das konnte Roman Herzog mit großer Verve, mit großer Eindringlichkeit schildern. Die Kraft, die er Europa geben wollte. Er hat auch überhaupt keine Schwierigkeiten gehabt, vom Bundesstaat Europa zu reden, und diese Klarheit fehlt mir heute.
Simon: Heribert Prantl war das, Jurist und Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung", über den verstorbenen Altbundespräsidenten Roman Herzog. Herr Prantl, danke für das Gespräch.
Prantl: Ich danke Ihnen.
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