Im Dreigestirn der meist gelesenen deutschen Schriftsteller: Grass - Böll - Lenz galt Siegfried Lenz immer als der stillere und nachdenklichere. Als Autor unerregt zu bleiben, selbst gegenüber Ereignissen, die den größten Anlass zur Erregtheit geben, gehörte für ihn zu den Voraussetzungen des Schreibens überhaupt. Der Autor, der sich erklärtermaßen nie als "Oberkellner der Aktualität" verstehen wollte, mischte sich nur selten ein ins Zeitgeschehen. Seine Haltung begründete er in seiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels mit dem er 1988 ausgezeichnet wurde:
"Als Schriftsteller habe ich erfahren, wie wenig Literatur vermag, wie dürftig und unkalkulierbar ihre Wirkung war und immer noch ist. Niemals wurden kriegsentschlossene Mächtige zum Frieden hingeschrieben. Nein, es ist nicht weit her mit der greifbaren Wirkung von Literatur, der Geschichtenerzähler von heute, der immer noch aus einer Art Notwehr handelt, hat viele Gründe zur Mutlosigkeit und er wird seine enttäuschten Hoffnung bilanzierend zugeben, dass Literatur niemals Politik ersetzen kann."
"Der Geschichtenerzähler von heute hat viele Gründe zur Mutlosigkeit"
Im ostpreußischen Lyck geboren, kam Lenz bereits als 17-Jähriger zur Marine, er desertierte in Dänemark, geriet in englische Gefangenschaft, wo er als Dolmetscher arbeitete. Er studierte und wollte Lehrer werden, begann dann aber, als Journalist für "Die Welt" und den NWDR zu schreiben. Lenz, von jeher hanseatisch- sozialdemokratisch, begleitete 1970 zusammen mit Günter Grass Bundeskanzler Willy Brandt zur Unterzeichnung der deutsch-polnischen Verträge nach Warschau.
Eine Hommage an die verlorene Heimat hatte er bereits 1955 mit den masurischen Humoresken "So zärtlich war Suleiken" geschrieben. Sein erster Roman: "Es waren Habichte in der Luft" erschien in der Zeitung "Die Welt" als Fortsetzungsroman. Geschult an der Kunst des Weglassens in amerikanischen Kurzgeschichten etwa von Ernest Hemingway, war Lenz eher sparsam im Stil:
30 Romane und Erzählungen - in 30 Sprachen übersetzt
"Ich würde mit aller Skepsis, denn ich bin der Meinung, dass der Autor kein guter Interpret seiner eigenen Sachen ist, sagen, dass es ein durchsichtiger Stil ist, der Figuren, Lagen und Situationen in der Weise angemessen ist, dass er selbst unbemerkt bleibt oder nach Möglichkeit unbemerkt bleiben will. Mein Stil hat eine gewisse Funktion der Dienstbarkeit, wenn ich es so ausdrücken darf, der die Konflikte, die moralischen Maxime, das ganz bestimmte Verhalten von Personen auf die es mir ankommt, zu schildern und darzustellen."
Siegfried Lenz schrieb über 30 Romane und Erzählungen, die insgesamt in 30 Sprachen übersetzt wurden. Ein Welterfolg wurde 1968 "Die Deutschstunde", die noch heute in vielen Schulen zum Lehrstoff gehört. Seinem Verlag Hoffmann und Campe blieb er dabei immer treu. Trotz eines solchen monumentalen literarischen Werks war Siegfried Lenz von jeher die personifizierte Bescheidenheit: Das jeweils unvollendete Buch sei ihm immer das Liebste, weil man an ihm noch etwas verbessern könne, pflegte er zu sagen:
Enttäuschung über deutsche Zurückhaltung gegen Machthaber Gaddafi
"Es bietet sich nicht immer das beste Wort an. Das ist eine Erfahrung, die man macht, wenn man einige Jahre schreibt, dass man immer so eine Handbreit unter dem imaginierten Wort bleibt, von dem erträumten Wort, von dem man glaubt, dass es, sagen wir, ins Herz treffen könnte."
In den letzten Jahren wurden Lenz öffentliche Auftritte immer seltener, zwar hatte er noch im Alter von 84 Jahren neu geheiratet und schrieb bis ins hohe Alter Romane, doch mehrten sich seine körperlichen Gebrechen, die er allerdings höchst kunstvoll zu beschreiben wusste:
"Wenn man sehr lange mit einem Stock zu leben gezwungen ist, zeigt es sich, dass er launisch sein kann, manchmal lässt er mich im Stich, manchmal ermutigt er mich, aber nur, um mir seine Überlegenheit zu beweisen. Dann nämlich wenn er fällt, wenn er absichtsvoll fällt und ich mich nach ihm bücke, bringt er es wirklich fertig, zwei drei Meter von mir wegzurutschen."
Siegfried Lenz war sicher zutiefst friedliebend, doch die Erfahrung seiner Generation führte ihn auch zu der Erkenntnis, dass es zuweilen rechtens sein kann, gegen Diktatoren die Faust zu erheben. Über die deutsche Zurückhaltung im Krieg gegen den libyschen Machthaber Gaddafi im Jahr 2011 zeigte er sich bitter enttäuscht.