Wie das so ist, wenn man einen ganz Großen trifft, einer von dem es heißt, er wisse alles: Der Korrespondent schämt sich für seine dummen, oberflächlichen Fragen und entschuldigt sich dafür. Und Umberto Eco ist milde und sagt sinngemäß: Er springt über jedes Stöckchen, das man ihm hinhält. Ein Profi eben. Also fangen wir an mit dem, was kurz vor dem Sommerinterview für Schlagzeilen gesorgt hat: Seine Aussage, dank der sozialen Medien hätten nun Legionen von Idioten das Recht, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Ist aus dem großen Philosophen und Schriftsteller etwa ein Kulturpessimist geworden? Nein, sagte Eco damals, prinzipiell habe er überhaupt nichts gegen das Internet:
"Das ist doch wie mit dem Auto. Ich weiß, dass es auch gefährlich sein kann, Auto zu fahren, also fahre ich weniger. Und das gleiche gilt für das Internet: Ein Segen für die Menschheit, mit dem ich unendlich viele Informationen zur Verfügung habe. Mit dem Risiko, dass die Informationen falsch sind."
Deshalb mied Eco Twitter und Facebook: Auch, weil er keine Nachrichten erhalten wollte. Es war nicht leicht, an ihn heran zu kommen. Nach jahrelangen, erfolglosen Versuchen kam die Interviewzusage, als Ecos neuester Roman in Deutschland erschien.
Treffen im ehemaligen Jesuitenkolleg
Ein Treffen im Landhaus des Schriftstellers in den Marken. Ein ehemaliges Jesuitenkolleg in der grünen Hügellandschaft, in dem Eco mit seiner deutschen Ehefrau Renate die Sommermonate verbrachte. Der 83-Jährige war ein unkomplizierter, witziger Gastgeber, der sich selbst nicht allzu ernst nahm. Zum Beispiel, wenn er über seine Metamorphose vom Wissenschaftler zum Romanautor sprach: Andere brennen mit 48 Jahren mit einer kubanischen Tänzerin durch, er habe eben ein Buch geschrieben.
"Es gab keine besondere Herausforderung mehr und da habe ich eines Tages Lust gehabt, diese Herausforderung anzunehmen. Ich dachte, ich hätte einen Roman mit einer Auflage von 3.000 geschrieben, so zum eigenen Vergnügen."
Herausgekommen ist der "Name der Rose", der ihn auf einen Schlag weltberühmt gemacht hat. Ein Erfolg, der ihn immer auch ein bisschen genervt hat. Das ist doch der von "Der Name der Rose"!
"Wenn ich von all meinen Romanen nur einen retten könnte, würde ich das "Foucaultsche Pendel" retten und nicht den "Namen der Rose". Der Roman gefällt mir besser, er ist reifer. Doch das ist ein Schicksal, das viele Schriftsteller teilen. Gabriel Gracia Márquez hat wunderschöne sehr gute Romane geschrieben, "Hundert Jahre Einsamkeit" ist geblieben. Vielen ist das so ergangen. Das Problem ist, man müsste nicht mit dem ersten, sondern erst mit dem letzten Erfolg haben. Wenn du mit dem ersten Buch Erfolg hast, bist du verdammt."
Vielleicht kommt sich Umberto Eco in seinem letzten Buch am nächsten. Er, der sich nie nur als Wissenschaftler oder Schriftsteller verstand, sondern immer auch als kritischer Beobachter, vulgo Journalist. In "Nullnummer" geht es allerdings um Journalisten, die ihrem Berufsstand keine Ehre machen, die Nachrichten frei erfinden, Gerüchte verbreiten und Menschen verunglimpfen. Nach dem Motto: Irgendwas wird schon hängen bleiben.
"Mir ist das auch passiert. Eine Zeitung hat einmal geschrieben: Professor Eco ist mit einem Unbekannten in einem chinesischen Restaurant gesehen worden, wie er mit Stäbchen gegessen hat. Nichts Außergewöhnliches. Mir war der Unbekannte nicht unbekannt, es war ein Freund. Der Artikel hatte keinerlei Aussage und doch wurde ein Verdacht heraufbeschworen, dieses Treffen kriminalisiert, das mysteriöse China des Doktor Fu Manchu."
"Nullnummer" als Abrechnung mit Silvio Berlusconi
"Nullnummer" spielt im Jahr 1992. Damals begann der Aufstieg des Medienmoguls Silvio Berlusconi, der fast 20 Jahre lang dem Land seinen Stempel aufgedrückt hat. Wie praktisch alle Kulturschaffenden in Italien ist Umberto Eco zuerst auf Distanz gegangen und dann auf Konfrontationskurs,
"Meiner Meinung nach, war und ist er ein extrem schlauer Mann, der den Gang der Dinge durchblickt und unterstützt hat. Er hat verstanden, dass er mit dem Versprechen, keine Steuern mehr bezahlen zu müssen, Erfolg haben würde. Ihr seid unschuldig. Das war seine Botschaft. Dadurch ist er dafür verantwortlich, dass die kollektive Ethik Schaden genommen hat."
Das Landhaus des Professor Eco in den Marken war ein wunderbarer Ort, um die die Ära Berlusconi offiziell für beendet zu erklären. Beim Blick in die Hügellandschaft fühlte man sich wie aus einem bösen Traum erwacht. In 1000 Jahren wird niemand mehr wissen, wer Berlusconi war, sagte Eco im Sommer.
Um seinen Nachruhm musste er sich keine Sorgen machen. Stolz berichtete er, dass sein umfangreiches literarisches und philosophisches Werk in den Vereinigten Staaten in die "Library of Living Philosophers" aufgenommen worden ist. Eine späte Genugtuung für einen Mann, dessen Werk allzu oft nur auf ein Buch reduziert wurde.