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Zum Tod von Wilfried Scharnagl
"Heute schreiben wir einen Strauß"

Das Idol seines Lebens war Franz Josef Strauß: Wilfried Scharnagl sah sich stets als Stimme und Stütze des CSU-Politikers. Jetzt ist der langjährige Chefredakteur des "Bayernkurier" mit 79 Jahren gestorben.

Von Michael Watzke |
    Der CSU-Politiker Wilfried Scharnagl.
    Der ehemalige "Bayernkurier"-Chefredakteur Wilfried Scharnagl ist im Alter von 79 Jahren gestorben. (dpa / Michael Kappeler)
    Eine riesige Altbauwohnung in der Schellingstraße in München-Schwabing: Hier lebte Wilfried Scharnagl bis zuletzt. Wenn der altgediente Parteijournalist einen Jungreporter empfing, dann führte er ihn in sein Studierzimmer, in dem sich Bücherregale bis an die vier Meter hohe Decke biegen. Dazwischen hängen Bilder des Idols seines Lebens: Franz Josef Strauß.
    "Wir waren beide gleichermaßen nicht drogen-, aber bücherabhängig. Neue Bücher, alte Bücher. Dass er bis zum Ende seiner Tage immer daran interessiert war, neue Fenster aufzustoßen, Bildungshorizonte zu erweitern. Und das ist bei mir bis auf den heutigen Tag auch so."
    Stets ein Zitat auf den Lippen
    Zuletzt war Scharnagl vor zwei Wochen beim 30. Todestag von Franz Josef Strauß in Rott am Inn. Auf Krücken gestützt stieg der fast 80-jährige Hüne von einem Mann die Treppenstufen hinab in die Gruft seines alten Weggefährten, stets ein lateinisches Zitat oder einen Bibelvers auf den Lippen:
    "Im Evangelium gibt es den Satz: ‚Die Lauen speie ich aus, sagt der Herr.‘ Und ich kann nur sagen: Der Himalaya hat Kanten, Schrunden, Abgründe, Klüfte. Der Maulwurfshügel nicht. Und Strauß war kein Maulwurfshügel."
    Lieber Bergmassiv als Erdhaufen
    Auch sich selbst hat der sudentendeutsche Heimatvertriebene Scharnagl nie als Erdhaufen, sondern eher als Bergmassiv betrachtet. In jedem Gespräch zitierte er bald das legendäre Bonmot, das Strauß über ihn, den Chef des Bayernkurier, gesagt haben soll:
    "Dass ich schriebe, was er denke, und er denke, was ich schriebe - das hat natürlich alles seine Zeit gedauert. Das war natürlich auch notwendig, über das Journalistische hinaus persönliche Erfahrungen, die man gemeinsam machen musste. Wo man geholfen hat, wo man geraten hat. Wo man getröstet hat."
    Im Duktus von Franz Josef Strauß
    In solchen Augenblicken kramte Scharnagl - nicht ohne Eitelkeit - eine abgegriffene Ausgabe des Bayernkurier aus dem Jahr 1983 hervor. Auf der Titelseite ein Leitartikel, den er Zeit seines Lebens als sein größtes journalistisches Werk betrachtete.
    Als wäre es gestern, erinnerte sich Scharnagl, wie er im Büro in der Nymphenburger Straße in München "zu meiner Sekretärin sagte: ‚Auf, wir schreiben!‘ Ich habe jahrzehntelang ja alles diktiert. Und dann hatte ich zwei Sätze diktiert, ohne zu sagen, was es wird - ein Leitartikel-, da sagte sie: ‚Heute schreiben wir einen Strauß.‘ Sag ich: ‚Ja, heute schreiben wir einen Strauß!‘ Weil ich dann mit seinem Duktus, mit seiner Sprache, mit seiner Logik, mit seinem Denken gearbeitet habe."
    Der schwierigste Leitartikel seines Lebens
    Es ging um den Milliardenkredit, den Strauß 1983 der DDR gewährt hatte. Seine eigene CSU verstand ihren Vorsitzenden nicht mehr und strafte Strauß bei einem Parteitag mit einem unterirdischen Wahlergebnis ab. Wutentbrannt verließ Strauß den Parteitag und fuhr mit seiner Frau nach Polen.
    "Und ich saß da. Das war die Zeit vor Kommunikation, vor Handy, vor all diesen Dingenn und hatte über diesen Trümmerhaufen-ähnlichen Parteitag einen Leitartikel zu schreiben. Das war sicher der Schwierigste, den ich zu schreiben hatte. Ich hab dann eine gute ciceronische Überschrift gewählt: ‚Vom Preis der Verantwortung'."
    Bis zuletzt Seehofer verteidigt
    Den Preis der Verantwortung muss die CSU auch heute taxieren. Den Bayernkurier gibt es als Wochenzeitung längst nicht mehr, dafür schlechte Wahlergebnisse und Personalquerelen. Scharnagl hat sich bis zuletzt für Horst Seehofer stark gemacht:
    "Seehofer trägt eine Riesenverantwortung als Vorsitzender dieser Partei. Und ich glaube auch, dass es eben in der Natur der Sache liegt: Jede kritische Stimme findet sofort ein großes Echo. Und die vielen anderen, die loyal zum Parteivorsitzenden stehen, finden kaum einen Widerhall."
    "Ein großartiger Mensch"
    Auch, aber sicher nicht nur deshalb, zeigte sich CSU-Chef Seehofer bestürzt über Scharnagls Tod:
    "Denn er war für mich ein persönlicher Freund, der mir gerade in schweren Stunden immer beigestanden ist. Er ist für uns als CSU ein Urgestein mit einem unheimlichen Intellekt und einer literarischen und rhetorischen Kraft, wie ich selten Menschen kennengelernt habe. Wir verlieren mit ihm einen großartigen Menschen."
    Sollten sich Wilfried Scharnagl und Franz Josef Strauß nun im Himmel oder an einem anderen Ort wiedersehen, dann kann sich die dort versammelte Medienszene schon mal warm anziehen.