Otfried Höffe: Dieses Phänomen kann man sich relativ leicht erklären: die Gerechtigkeit ist eines der Wunschziele der Menschheit, mit dem sich die verschiedenen Kulturen und Epochen einig wissen. Gleichwohl war es in der Philosophie und den Wissenschaften nicht mehr ein, wie soll man sagen, ehrenvolles, erlaubtes Thema. Rawls gelingt es nun, mit diesem überragenden Werk die Gerechtigkeit wieder hoffähig zu machen und zum Gegenstand einer weitläufigen, fast industriellen Debatte zu platzieren.
Doris Schäfer-Noske: Inwieweit hat denn das Buch damals auch einen gesellschaftlichen Nerv getroffen?
Otfried Höffe: Da muss man verschiedenen Gesichtspunkte betrachten. Zunächst einmal trifft einen gesellschaftlichen Nerv in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dort herrschte bislang der politische Liberalismus Lockescher Prägung vor, danach gibt es relativ viele Freiheiten: life, liberty and property, also Leben, Freiheit und Eigentum sind die wichtigsten Grundsätze. Das bekräftigt Rawls und zugleich erweitert er es, wenn man so will korrigiert er es, durch den Gedanken eines hohen Maßes an Sozialstaatlichkeit.
Doris Schäfer-Noske: Viele haben sich ja in der Philosophie mit dem Thema Gerechtigkeit auseinandergesetzt, angefangen bei Platon. Was war denn aus Ihrer Sicht das entscheidend Neue an der Theorie von John Rawls?
Otfried Höffe: Zunächst einmal, dass eine Debatte, die verschwunden war, obwohl sie die Philosophie seit vielen Jahrhunderten beherrscht hatte, wieder ins Rampenlicht geführt wurde. Zweitens, dass es Rawls gelingt, die Gerechtigkeitsdebatte auf dem Niveau der modernen Wissenschaften, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu formulieren, weiterhin, dass er uns ein Gedankenexperiment mit relativ plastischen Vorgaben vorführt.
Doris Schäfer-Noske: Das war ja nicht nur Theorie eben sondern Rawls hat seine Theorie auch mit einem Test verbunden, den eine gerechte Gesellschaft bestehen muss und zwar hat er da gefragt, ob die Privilegierten, die Herrschenden Regeln auch dann akzeptieren würden, wenn sie die Rolle der am schlechtesten gestellten Mitglieder einnehmen müssten.
Otfried Höffe: Das ist ein Gedankenexperiment. Der Grundgedanke der Gerechtigkeit ist das Willkürverbot, das Gleichheitsgebot oder der Gedanke der Unparteilichkeit. Und mit diesem Bild, man stelle sich vor, man würde die Seite wechseln, man würde nicht der Mächtige, Reiche, intellektuell Hochbegabte oder große Künstler sein sondern würde auf der anderen Seite stehen, der Arme, Schwache, benachteiligte und vielleicht intellektuell und künstlerisch sehr wenig Begabte. Und dann stelle man sich vor, welche Prinzipien würde man akzeptieren und mit diesem Gedankenexperiment zwingt er gewissermaßen die Menschen, unparteiisch zu denken. Das Bild für die Gerechtigkeit ist doch seit ewigen Zeiten diese Justitia mit verbundnen Augen und der Waage in der hand. Und diese verbundenen Augen sind gewissermaßen der Schleier des Nichtwissens oder der Gedanke dieses Seitenwechsels.
Doris Schäfer-Noske: Inwieweit hat es denn auch mit seiner eignen Biographie zu tun?
Otfried Höffe: Er stammt ja aus einer wohlhabenden Südstaatenfamilie. Sein Vater war ein erfolgreicher Anwalt, seine Mutter allerdings (was heißt allerdings) eine sehr politisch engagierte Frau. Er verliert in jüngeren Jahren einen Bruder, fühlt sich für den Tod mitverantwortlich und diese verschiednen Faktoren, außerdem ein hohes Maß an persönlicher intellektueller Sensibilität veranlassen ihn, dieses Thema Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt einer philosophischen Debatte zu bringen.
Doris Schäfer-Noske: Welche Bedeutung hatte denn sein Werk 'Theorie der Gerechtigkeit' für die spätere Entwicklung in der Philosophie?
Otfried Höffe: In der englischsprachigen Welt herrschte bis dahin die utilitaristische Ethik vor, also der Gedanke, das größte Glück der größten zahl sei das entscheidende Kriterium. Dieses Kriterium lässt zu, dass man im Namen des Gemeinwohls Abstriche bei der Gerechtigkeit macht. Und gegen diesen Versuch opponiert Rawls vehement. Man kann sich das an einem einfachen Beispiel klarmachen: man stelle sich vor, im Namen des öffentlichen Interesses oder des Gemeinwohls würde man einen Unschuldigen verurteilen. Und dagegen sagt Rawls kompromisslos klar unter Rückgriff auf das Pathos von Kant: das ist auf keinen Fall zulässig.
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Doris Schäfer-Noske: Inwieweit hat denn das Buch damals auch einen gesellschaftlichen Nerv getroffen?
Otfried Höffe: Da muss man verschiedenen Gesichtspunkte betrachten. Zunächst einmal trifft einen gesellschaftlichen Nerv in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dort herrschte bislang der politische Liberalismus Lockescher Prägung vor, danach gibt es relativ viele Freiheiten: life, liberty and property, also Leben, Freiheit und Eigentum sind die wichtigsten Grundsätze. Das bekräftigt Rawls und zugleich erweitert er es, wenn man so will korrigiert er es, durch den Gedanken eines hohen Maßes an Sozialstaatlichkeit.
Doris Schäfer-Noske: Viele haben sich ja in der Philosophie mit dem Thema Gerechtigkeit auseinandergesetzt, angefangen bei Platon. Was war denn aus Ihrer Sicht das entscheidend Neue an der Theorie von John Rawls?
Otfried Höffe: Zunächst einmal, dass eine Debatte, die verschwunden war, obwohl sie die Philosophie seit vielen Jahrhunderten beherrscht hatte, wieder ins Rampenlicht geführt wurde. Zweitens, dass es Rawls gelingt, die Gerechtigkeitsdebatte auf dem Niveau der modernen Wissenschaften, der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu formulieren, weiterhin, dass er uns ein Gedankenexperiment mit relativ plastischen Vorgaben vorführt.
Doris Schäfer-Noske: Das war ja nicht nur Theorie eben sondern Rawls hat seine Theorie auch mit einem Test verbunden, den eine gerechte Gesellschaft bestehen muss und zwar hat er da gefragt, ob die Privilegierten, die Herrschenden Regeln auch dann akzeptieren würden, wenn sie die Rolle der am schlechtesten gestellten Mitglieder einnehmen müssten.
Otfried Höffe: Das ist ein Gedankenexperiment. Der Grundgedanke der Gerechtigkeit ist das Willkürverbot, das Gleichheitsgebot oder der Gedanke der Unparteilichkeit. Und mit diesem Bild, man stelle sich vor, man würde die Seite wechseln, man würde nicht der Mächtige, Reiche, intellektuell Hochbegabte oder große Künstler sein sondern würde auf der anderen Seite stehen, der Arme, Schwache, benachteiligte und vielleicht intellektuell und künstlerisch sehr wenig Begabte. Und dann stelle man sich vor, welche Prinzipien würde man akzeptieren und mit diesem Gedankenexperiment zwingt er gewissermaßen die Menschen, unparteiisch zu denken. Das Bild für die Gerechtigkeit ist doch seit ewigen Zeiten diese Justitia mit verbundnen Augen und der Waage in der hand. Und diese verbundenen Augen sind gewissermaßen der Schleier des Nichtwissens oder der Gedanke dieses Seitenwechsels.
Doris Schäfer-Noske: Inwieweit hat es denn auch mit seiner eignen Biographie zu tun?
Otfried Höffe: Er stammt ja aus einer wohlhabenden Südstaatenfamilie. Sein Vater war ein erfolgreicher Anwalt, seine Mutter allerdings (was heißt allerdings) eine sehr politisch engagierte Frau. Er verliert in jüngeren Jahren einen Bruder, fühlt sich für den Tod mitverantwortlich und diese verschiednen Faktoren, außerdem ein hohes Maß an persönlicher intellektueller Sensibilität veranlassen ihn, dieses Thema Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt einer philosophischen Debatte zu bringen.
Doris Schäfer-Noske: Welche Bedeutung hatte denn sein Werk 'Theorie der Gerechtigkeit' für die spätere Entwicklung in der Philosophie?
Otfried Höffe: In der englischsprachigen Welt herrschte bis dahin die utilitaristische Ethik vor, also der Gedanke, das größte Glück der größten zahl sei das entscheidende Kriterium. Dieses Kriterium lässt zu, dass man im Namen des Gemeinwohls Abstriche bei der Gerechtigkeit macht. Und gegen diesen Versuch opponiert Rawls vehement. Man kann sich das an einem einfachen Beispiel klarmachen: man stelle sich vor, im Namen des öffentlichen Interesses oder des Gemeinwohls würde man einen Unschuldigen verurteilen. Und dagegen sagt Rawls kompromisslos klar unter Rückgriff auf das Pathos von Kant: das ist auf keinen Fall zulässig.
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