Archiv

Zum Tode von Rupert Neudeck
Der Menschenfreund

Bescheiden, freundlich, aber auch hartnäckig: Rupert Neudeck war ein Mann der klaren Worte, wenn es um das Leid von Menschen in Not ging. Als Mitbegründer der Hilfsorganisation "Cap Anamur" rettete er Tausenden von Menschen das Leben. Jetzt ist der Journalist und Publizist im Alter von 77 Jahren gestorben. Weggefährten berichten über sein Wirken.

Von Ursula Welter und Christoph Heinemann |
    Rupert Neudeck, Grünhelme, am 9.8.2014
    Rupert Neudeck im Alter von 77 Jahren verstorben. (dpa / picture-alliance / Daniel Reinhardt)
    "Der Tod ist immer ein Mörder, hat Simone de Beauvoir beim Tod ihrer Mutter gesagt und ich habe das nie vergessen."
    Rupert Neudeck kannte und liebte Frankreich.
    Und auch diese französische Redensart kam oft über seine Lippen. "Der Tod ist immer ein Mörder". Im vergangenen November leitete Rupert Neudeck seinen Nachruf für André Glucksman, den Begründer der Neuen Philosophie, mit diesem Satz ein. Die Lage der Bootsflüchtlinge Ende der 70er Jahre, das war das Thema vieler Gespräche der Intellektuellen beidseits des Rheins gewesen, Rupert Neudeck nannte es "die Zeit unserer Schiffe".
    "Das Schiff war für die Mehrzahl der Vietnamesen ein Symbol der Wiedergeburt, die haben mit dem Leben schon aufgehört. Und da kam plötzlich nach ganz vielen Schiffen, die vorbeigefahren sind, ein Schiff, das hat ihnen über Megaphon und auf Vietnamesisch gesagt: Das ist ein Schiff der BRD, das ist eigens für sie da, um sie zu retten. Das ist bis heute ein unglaublicher Moment für Tausende von Menschen."
    Heute ist Rupert Neudeck im Alter von 77 Jahren gestorben.
    Gründer des Komitees Cap Anamur
    Christoph Heinemann, wir haben mit Rupert Neudeck nicht nur einen langjährigen Deutschlandfunk-Kollegen verloren, seit 1977 hat er hier im DLF als Feature-Redakteur gearbeitet – Rupert Neudeck war vor allem eines: Ein Menschenfreund.
    "Ein Menschenfreund, ein Menschenfischer, darauf kommen wir später, ein Intellektueller, und ein Intellektueller, der sich engagiert hat. Ganz im Sinne der 68er. Ein Mann, der sich aus zwei Quellen gespeist hat. Einmal seinem katholischen Glauben, seiner tiefen Gläubigkeit, die er aber nicht in die Kirche verbannt hat, und auf der anderen Seite, seiner Begeisterung geradezu, für die Philosophie von Albert Camus. Auf die wir sicher auch noch zu sprechen kommen."
    Ich habe es gesagt: Der Philosoph André Glucksman war Neudecks Weggefährte, so wie der Schriftsteller Heinrich Böll Weggefährte der beiden war. Sie alle waren Mitbegründer des ersten Deutschen Komitees "Ein Schiff für Vietnam", das später in "Cap Anamur" umgetauft wurde. Sie alle waren da, als mit einer Pressekonferenz am 18. April 1979 im Restaurant Tulpenfeld in Bonn die Hilfsorganisation aus der Taufe gehoben wurde.
    Prägung durch Jesuiten
    Schauen wir auf die Lebensstationen:
    Journalist, Publizist, Gründer des Komitees Cap Anamur, das beschreibt nur unvollständig Neudecks Werdegang. Er machte sein Abitur in Hagen, 1958, versuchte sich mit einem Jurastudium, wechselte zur Theologie, Philosophie und Germanistik und promovierte 1961 mit einer Arbeit über "Politische Ethik bei Jean-Paul Sartre und Albert Camus". Und dazwischen eine für ihn wichtige Station bei den Jesuiten:
    "Weil ihn beides interessiert hat. Auf der einen Seite das Intellektuelle der Jesuiten, die nennt man ja auch sj, societas jesu, in der Kirche sagt man auch "schlaue Jungs" für sj, und auf der andren Seite das Engagement, das heißt nicht, dass sie in einem Kloster leben, sondern mit einem weltlichen Auftrag verbunden sind. Und jetzt kommt die Askese zum Tragen, Rupert Neudeck ist dorthin gegangen, damals wurden noch die jesuitischen Bußübungen vollzogen, die auch eine Abhärtung des Körpers vorgesehen haben, das hat er sehr "radikal", das ist übrigens ein Schlüsselwort für sein Leben, das Wort "radikal", zurück zur Wurzel, betrieben, und zwar so radikal, dass er auch krank geworden ist darüber, und diese Erfahrung war ganz wichtig für ihn, zu sagen: "diese Form des Christentums ist es nicht, die ich anstrebe, sondern ich möchte rausgehen, ich möchte etwas für die Menschen tun, und nicht mich selber, sozusagen, geißeln."
    Immer im Einsatz für Flüchtlinge: Die "Cap Anamur" am 8. Juli 2004 vor der Küste Siziliens.
    Drama um "Cap-Anamur"-Flüchtlinge vor Siziliens Küste (dpa/picture alliance/Franco Lannino)
    Geprägt durch Flucht-Erfahrung
    Askese, Bescheidenheit, Freundlichkeit, auch klare Worte - da, wo andere um den Brei herumreden – das zeichnete Rupert Neudeck aus. Sein Leben, sein Lebenswerk, auch das kann man sagen, war geprägt durch die Flucht-Erfahrung seiner Familie:
    "Man kann ihn nicht verstehen, wenn man nicht zurückgeht in diesen Januar 1945, die Neudecks stammen aus Danzig-Langfuhr und befinden sich auf der Flucht vor der Roten Armee, die Familie gelangt nach Gdingen, die Nazis nannten das Gotenhafen, und der kleine Rupert sieht einen großen, weißen Dampfer abfahren, für ihn ist das die große Katastrophe, der Onkel hatte Karten auf der Wilhelm Gustloff für die Familie reserviert – und dieses Schiff ist abgelegt, ohne die Familie an Bord nehmen zu können, wie wir heute wissen, ein großes Glück, denn das Schiff ist in der Nacht noch von einem sowjetischen U-Boot torpediert worden. Er hat sich immer sehr darüber aufgeregt, dass für diesen Kommandanten dieses U-Bootes in der Sowjetunion Denkmale aufgestellt wurden."
    Und das hat ihn sein Leben lang auch nicht losgelassen. Von 1978 bis 2002 war Rupert Neudeck Deutschlandfunk-Redakteur, bis er in den Ruhestand ging, was in seinem Fall zweifellos ein nicht zutreffender Ausdruck ist.
    Aber blicken wir zurück:
    Der Deutschlandfunk und die Anfänge der Hilfsorganisation "Cap Anamur" begegnen einander gleich zu Beginn.
    Hilfseinsatz im Vietnamkrieg
    Von André Glucksman hatte der Journalist Rupert Neudeck bei einem Treffen in Paris gehört, wie schlimm es um die Bootsflüchtlinge in Südostasien stand. Der Vietnamkrieg und seine Folgen hatten die Menschen zu Tausenden in kleinen Booten aufs hohe Meer getrieben. Glucksman fehlte es an Geld, um ein Hilfs-Schiff zu chartern. Rupert Neudeck und Heinrich Böll beschlossen, in Deutschland einen, wie Neudeck es formulierte, "unübersehbaren Felsen" zu errichten, also die Hilfe zu organisieren.
    "Das war für mich eine totale Automatik, ich wusste, ich kann nicht nicht etwas tun. Wir müssen versuchen, etwas zu tun, um wenigstens das Massensterben, das Massenertrinken im südchinesischen Meer zu unterbrechen."
    Noch bevor der Plan der internationalen Presse in Bonn vorgestellt wurde, holte Rupert Neudeck seinen Freund Glucksman ins Deutschlandfunk-Studio, damit auch er erklären sollte, warum die Hilfsorganisation gegründet wurde:
    "Es ist das Problem der Europa-Apathie. Die Apathie, etwas mit dem Herzen zu machen. Europa ist doch das zweite Kontinent der Welt, Europa ist reich…"
    Sagte Glucksman 1979. Hinter der Scheibe im Bonner Studio des Deutschlandfunk hörte Rupert Neudeck dem Freund aus Frankreich zu. Und Heinrich Böll unterstrich wenig später vor der Presse:
    "Wichtig ist, dass diesen Menschen geholfen wird. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass das Komitee einfach Geld braucht."
    Rettung von 11.000 Menschen aus dem chinesischen Meer
    Die Menschen schickten Geld, auch einfache Leute, selbst kleinste Summen. Die Hilfe wurde organisiert, das Komitee "Cap Anamur-Deutsche Notärzte" rettete ab Sommer 1979 11.000 "boat people" aus dem chinesischen Meer.
    In einem Feature für den Deutschlandfunk schilderte Rupert Neudeck:
    "Am 22. Juni komme ich zum ersten Mal auf die Insel Pulau Bidong, auf der Malaysia die Hauptmasse der Vietnam-Flüchtlinge wie in einem Ghetto konzentriert hat. Die Insel liegt 28 km von der ost-malaysischen Küste entfernt, 42.505 Menschen leben nach der genauen Registratur der Lagerverwaltung an dem Tag, als ich abfuhr. Wie kommen die Flüchtlinge hierher, welche Gründe und Motive haben sie, auf welchen offenen und verschwiegenen Fluchtwegen kommen Sie ? Diese Fragen versuche ich in hunderten von Gesprächen zu klären, wobei diese überlebenden Flüchtlinge für mich Träger einer Wahrheit sind: Sie haben mit dem größtmöglichen Risiko ihr Land verlassen. Wenn in Vietnam ein Flüchtling ein Boot betritt, weiß er, dass er eine Chance von eins zu zwei hat zu überleben. Für das, was sie sagen, zeugen sie durch das mögliche Opfer ihres Lebens."
    Christoph Heinemann, "Cap Anamur", dafür stand der Name Rupert Neudeck, aber nicht nur dafür. Er hat im Laufe seines Lebens an jedem Ort, in jedem Winkel der Welt, in dem Menschen strandeten, auf der Flucht, in Not waren, hingeschaut, geholfen, und berichtet:
    "Ja. Und das in einer doppelten Funktion. Einmal als Beobachter und natürlich immer auch im Auftrag der zweiten Organisation , nämlich die "Grünhelme". Warum Grünhelme ?... Grün ist die Farbe des Islam und das war für ihn ein ganz wichtiger Auftrag. In den islamischen Ländern sich zu engagieren. Den Islam bekannt zu machen. Und auch Ängste vor dem Islam abzubauen. Er hat sich immer furchtbar darüber aufgeregt, dass sich "islamisch" , oder "islamistisch" , oder "radikalislamisch" nennen, denn radikalislamisch sei eigentlich etwas ganz positives, nämlich, dass einer seinen Glauben ernst nimmt und auch die Menschlichkeit, die mit dem Glauben einhergehen muss…. und das hat ihn sehr empört, wenn sich Menschen im Namen der Religion radikalisiert haben, um Menschen zu schaden, um Menschen umzubringen."
    Das also war sein Wirken und zuvor stand die Cap Anamur, die 1982 – nachdem sie vielen Menschen aus der Not geholfen hatte - in den Hafen zurückkehrte.
    "Es ist Bitterkeit in unseren Empfindungen, da das Schiff Cap Anamur in den Hamburger Hafen einläuft. Denn wir sind überzeugt, dass diese Aktion hätte weitergehen müssen, weil wir haben das getan, das Selbstverständlichste von der Welt: wir haben Menschen aus Lebensnot aus dem Chinesischen Meer gerettet und ich glaube niemand in dieser Gesellschaft wird dagegen etwas einzuwenden haben."
    Hartnäckiger Kämpfer
    Aber auch das gehörte zur Erkenntnis, Helfen ist keine Selbstverständlichkeit:
    "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass helfen in dieser Gesellschaft schwer gemacht wird. Das ist ein bitteres Fazit."
    Rupert Neudeck konnte hartnäckig sein, hartnäckig auch, wenn er Politiker überzeugen wollte, zu handeln und Journalisten, hinzuschauen.
    "Man darf sich nicht scheuen naiv zu sein, man darf nicht scheuen, nicht Experte zu sein, man muss das nicht erst studieren und die Menschen ersaufen zu lassen und sie dann zu retten. Ich hab mit ganz großer Naivität dieses Unternehmen damals begonnen. Man muss von Zeit zu Zeit, wenn man große Dinge auf dieser Welt macht, illegal sein."
    Unbürokratisch war sein Vorgehen, er organisierte Hilfe so schnell, wie kaum jemand sonst. Krankenhäuser in Vietnam, Ambulanzstationen in Kolumbien, in Afrika, im Nordirak, Hilfe für die Flüchtlinge in Mazedonien und Albanien, Schulbauten im Kosovo, Kampf gegen die Landminen - auch das war "Cap Anamur" mit Rupert Neudeck, der für seine Sache werbend um die Welt zog.
    Ehemalige Flüchtlinge, Angehörige und Zuschauer schwenken am Samstag (12.09.2009) Fähnchen bei der Enthüllung des von ehemaligen Cap Anamur-Flüchtlingen gestifteten Gedenksteins in Hamburg.
    Ehemalige Flüchtlinge und Angehörige bei der Enthüllung des von ehemaligen Cap Anamur-Flüchtlingen gestifteten Gedenksteins in Hamburg. (dpa/picture alliance/Malte Christians)
    Die Presse hatte er nicht immer auf seiner Seite, mal wurde ihm zu viel Medienpräsenz, mal ein autoritärer Stil vorgeworfen, mal seiner Organisation das Umgehen von Verwaltungsregeln vorgehalten.
    Christoph Heinemann, ein wichtiger Stützpfeiler für das Leben und Wirken von Rupert Neudeck – das ist zweifellos seine Frau Christel:
    "Ohne die er gar nicht denkbar ist. Rupert Neudeck ohne Christel, das hätte nicht funktioniert. Sie war der ruhende Pol, sie war diejenige, die sehr viel organisiert hat. Sie war diejenige, die z.B. immer, bei Einsätzen von Cap Anamur Bücherkisten nachgeschickt hat, denn zu jedem Einsatz gehört, dass "Die Pest" von Albert Camus mitgeschickt wurde, "Die Pest", die er als "Charta der Humanitären" einmal bezeichnet hat. Also als Grundgesetz für seine humanitäre Arbeit. Und, wenn ich das noch kurz sagen darf, umso schöner, dass beide jetzt mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet worden sind."
    Kritik der aktuellen Flüchtlingspolitik
    Sicher ist, dass Rupert Neudeck bis zu seinem Lebensende aktiv war, für Flüchtlinge und Menschen in Not und dass er bis zum Schluss ein Unbequemer sein konnte:
    "Wir haben eine, im Laufe der letzten Jahrzehnte durchbürokratisierte Asylpolitik bekommen, die dazu führt, dass Asylbewerber und Flüchtlinge, dir zu uns kommen einen unglaublichen Haufen an Papier mit fremden Dolmetschern und einheimischen Juristen durchforsten müssen. Das ist einfach eine Politik, die ist nicht inhuman, aber sie muss sich fragen lassen, ob sie dem Schicksal von Menschen, die unmittelbar etwas Furchtbares durchgemacht haben, ob sie diesem Schicksal gerecht wird."
    Wie haben Sie ihn erlebt, Christoph Heinemann, als die Flüchtlingsbewegungen, die er seit Jahrzehnten auf der Welt helfend begleitete, in Europa zu Streit und Ablehnung führten:
    "Er hat sich zunächst erinnert an die Zeit von Cap Anamur, er hat noch einmal erzählt, wie das damals war, wie der Ministerpräsident von Niedersachsen, Ernst Albrecht, fast alle Verwaltungsvorschriften gebrochen hat, um die Menschen unbürokratisch an Land zu holen. Und er hat gesagt, so müssen wir es machen. Und er hat sich , glaube ich, über diese EU geärgert, er hat auf der anderen Seite auch Verständnis gehabt, hat gesagt "wir müssen werben, wir müssen den Menschen erklären, wenn Leute, die sie nicht kennen, wenn Fremde ins Land kommen – aber unter dem Strich ging ihm das alles zu langsam, war ihm zu bürokratisch und war ihm glaube ich auch zu kleinkariert oft in der politischen Diskussion."
    Er empfand das als zu kleinkariert, sagen Sie. Und er sprach gerne Klartext. Auch in der aktuellen Flüchtlingsdebatte etwa, wenn er forderte, dass auch die Flüchtlinge aktiv an ihrer Integration mitwirken müssten.
    "Das muss sich deshalb ändern, weil diese Menschen natürlich nicht nur als Notbedürftige zu uns kommen, sondern die haben etwas vor, die wollen sich betätigen, die wollen möglichst schnell einen Beruf lernen, wenn sie jung sind, sie wollen möglichst schnell in den Arbeitsprozess. Und deshalb muss man sie von vorne herein in diese Gesellschaft hineinbringen, d.h., man muss sie auch verpflichten in den ersten Quartieren, in denen sie hineinkommen, die Arbeiten zu tun, die dort notwendig sind, damit sie sich vorbereiten auf andere Arbeiten. Tätig zu sein ist für einen Flüchtling hierzulande das Allerwichtigste und das schlimmste, was wir uns erlaubt haben in den letzten 30 Jahren, ist dass wir die Mehrzahl der Hundertausenden erst mal stillstellen im Wortsinn, die warten darauf, dass sie nach eineinhalb Jahren eben einen Bescheid bekommen und sich dann bewegen können als Menschen und in den Arbeitsprozess hineinkommen dürfen."
    Mazyek: "Er war ein Freund, Wegbereiter und Vorbild"
    Im April 2003 hat Rupert Neudeck mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime das internationale und interreligiöse Friedenscorps "Grünhelme" gegründet. An der Seite Mazyeks verband Rupert Neudeck den christlich-muslimischen Dialog mit humanitärer Hilfe.
    Aiman Mazyek, wie groß ist für Sie persönlich der Verlust?
    "Ja, er war ein Freund, ein Wegbereiter und ein Vorbild in Tatendrang, insbesondere was die Hilfe für Menschen in Not angeht. Und ich habe ihn als einen radikal humanitären in Erinnerung, als Christ, als gläubiger Mensch aber auch einer, der manchmal bereit ist für seine Ziele zu kämpfen und alles zu geben, und insbesondere hat er sich immer darüber aufgeregt, über das zu viele Geschriebene, über Sonntagsreden. Sonntagsreden, die hat er überhaupt gemieden. Während andere noch an den schönen Worten feilten, hat er schon seinen Flug gebucht und ist mit seinen Freunden ins Krisengebiet geflogen, um dort vor Ort zu helfen. Das war sein Zeichen. Man hat gefragt 'Wo ist er?' und dann war er schon weg, und da war er schon vor Ort und das war sein Markenzeichen. Und deswegen haben die Menschen ihn geliebt. Die Menschen habe ihn geliebt, weil er sich als Anwalt von den Habenichtsen, und er sprach immer von den Habenichtsen und den Schmuddelkindern, für die hat er sich eingesetzt auf dieser Welt und er wird da in Erinnerung bleiben, und ich bin tieftraurig und geschockt."
    Welche Leerstelle hinterlässt er in der Bundesrepublik?
    "Also er hat sich wirklich um unser Land verdient gemacht. Er ist für mich ein Menschenretter, ein Menschenrechtsaktivist, ein Menschenfischer, im wahrsten Sinne des Wortes. Er hat das Gute im Menschen gesehen und hat das gefördert und er hinterlässt eine große, große Lücke und er ist ein Vorbild für das Humanitäre und den humanitären Charakter einer Arbeit, die bisweilen durch so viele Verordnungen und Bürokratie untergeht und das hat er immer gehasst, die Bürokratie und die Verordnungen und hat sich bisweilen mit Institutionen und auch mit Ministerien angelegt und gestritten weil er gesagt hat, ich möchte hier keine Bürokratie beiseiteschaffen, sondern ich will Armut bekämpfen, oder ich will in Krisengebieten das, was kaputtgemacht worden ist durch uns Menschen, will ich wieder aufbauen."
    Was wird Ihnen persönlich nach dem Tod von Rupert Neudeck am meisten fehlen?
    "Seine geistige Kraft, die ich immer wieder gefunden habe bei den Treffen mit ihm. Also er war ein großer Philosoph, ein Denker. Große Gedanken war er in der Lage in einfachen Worten zusammenzuführen. Und diese Abende, diese Gespräche, die werde ich vermissen."
    Vor zwei Jahren, zu seinem 75. Geburtstag, hat Rupert Neudeck einen Wunsch formuliert:
    "Ich wünsche mir den Marathonlauf im Gazastreifen zu machen. 42 Kilometer am Mittelmeer. Und ich möchte, dass ich den durchhalte."