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Zum Umgang mit der DDR-Moderne

Dresden tut alles, um sich als historisierendes Elb-Florenz zu präsentieren. Neben Zwinger, Semper-Oper und wieder errichteter Frauenkirche baut zwar auch die Avantgarde, bleibt aber trotz großer Namen wie Sir Norman Foster eher im Hintergrund. Vergessen, weil verdrängt und vernichtet aber wird in der sächsischen Landeshauptstadt auch die Ostmoderne aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Jüngstes Opfer: das Centrum-Warenhaus.

Von Reinhard Hübsch | 06.10.2005
    Dass neben diesen Barockwerken auch die Avantgarde hier gebaut hat beziehungsweise baut, wird gern vergessen: Der Reichstag-Architekt Sir Norman Foster baut an der Elbe gerade den Hauptbahnhof um, Günter Behnisch hat ein Gymnasium, das Wiener Dekonstruktivisten-Duo Coop Himmelblau ein Kino gebaut, dazu kommt Peter Kulkas Landtags-Neubau, die Aufsehen erregende Synagoge - das alles tritt aber in der sächsischen Landeshauptstadt in den Hintergrund. Vergessen, weil verdrängt und vernichtet aber wird in der sächsischen Landeshauptstadt auch die ostmoderne aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Reinhard Hübsch kommentiert einen einzigartigen Fall städtebaulichen Gedächtnisverlusts:

    Als 1960 das Kaufhaus Schocken von der Stadt Stuttgart zum Abriss freigegeben wurde, erhob sich weit über die Grenzen der Stadt hinaus Protest. kopfschüttelnd, ja wütend musste man wenig später zur Kenntnis nehmen, dass in der schwäbischen Metropole allen Protesten zum trotz ein architektonischer solitär vernichtet wurde, den 1930 der Architekt Erich Mendelsohn errichtet hatte.

    Mag sein, dass in der Historie der sächsischen Landeshauptstadt Dresden alsbald ein ähnliches Kapitel aufzufinden sein wird, steht dort doch der Abriss des legendären "Silberwürfels" an, des Centrum Kaufhauses, das ende der 70er Jahre fertig gestellt wurde und das seinen Spitznamen seiner Fassade verdankt, in der aus eloxiertem Aluminium glänzende Nasen herausspringen. Der Bau, ein herausragender Vertreter der Ostmoderne, ist in mehrfacher Hinsicht erhaltenswert: zum einen schließt er auf bemerkenswerte Weise die Prager Strasse ab, zum zweiten ist er ein markanter Bau der Stadt und schließlich handelt es sich mit dem Gebäude auch um ein besonderes Beispiel seiner Gattung, der Warenhaus-Architektur.

    Die Karstadt-Gruppe, der die Immobilie gehört, will das Denkmal - dem die zuständige Behörde gleichwohl den allseits geforderten Schutz verweigert - abreißen lassen, um dort ein weitaus größeres Waren-Umschlagzentrum zu errichten. Um das 52.000-Quadratmeter-Geschäft bauen zu können, wird auch noch das benachbarte Gebäude des früheren "Restaurant International" geschleift. Die Prager Strasse, einst eine der ersten Fußgängerzonen in Deutschland, wird damit - und das ist der zweite Skandal - weiter zerstört. eigentlich, so Architekturhistoriker, eigentlich gehört das gesamt Ensemble unter Denkmalschutz; stattdessen aber hat man nach der Wende in diesem innerstädtischen Ruhepunkt Laubengänge und Pavillons demontiert, die legendäre Brunnenanlage, in der die metallenen Wasserplastiken kreisrunde Pusteblumen entstehen ließen, reduziert und also beschädigt. Und nun werden Abriss und Neubau des Kaufhauses auch die Sichtbeziehung zwischen Külzring und Hauptbahnhof blockieren: das neue Karstadt als Propf im Stadtbild.

    Das Stadtbild verschandelt, ein Architektur-Denkmal vor der Zerstörung - die Dresdner haben da in den letzten Jahren einige Erfahrungen gesammelt. Den Kulturpalast am Dresdner Altmarkt sollte Hans Kollhoff - der am Potsdamer Platz in Berlin das Daimer-Chrysler-Gebäude realisierte - den Dresdner Kulturpalast sollte Kollhoff mit einer riesigen Überbauung verschwinden lassen, den markanten Bau der Ostmoderne hinter historisierenden Arkadengängen verstecken, was dann aber, nicht zuletzt aus Geldmangel, verhindert werden konnte. Und das Rundkino, ein weiteres originelles wie seltene Architekturqualitäten aufweisendes Bauwerk der DDR-Historie, gammelt seit dem Elbe-Hochwasser weitest gehend leer stehend mit ungewisser Zukunft vor sich hin.

    Dieser Mangel an Respekt vor dem jüngsten architektonischen Erbe Ostdeutschlands ist kein Dresdner Spezifikum. Ulrich Müthers legendäres Ahornblatt am Alexanderplatz wurde abgerissen, eine Betonkonstruktion, deren Schalen sich leicht und sanft wie Schmetterlingsflügel unter dem Fernsehturm niedergelassen hatten. Direkt daneben wird das ehemalige Centrum-Kaufhaus am Alex vom Büro Kleihues umgebaut - auch hier verschwindet die markante Fassade, die allerdings in einem Verbindungstrakt zumindest als Erinnerungszeichen aufbewahrt wird. Im Ortsteil Pankow, wo am Majakowskiring Ulbricht und Grotewohl, Pieck und Kulturminister Becher residierten, wird dem Quartier der Denkmalschutz verweigert, wird die schleichende Veränderung und Zerstörung des Quartiers zugelassen.

    Der Abrisswut fallen auch Vergnügungsstätten zum Opfer: Das Café Moskau in der Karl-Marx-Allee rottet vor sich hin - Anfang der 60er Jahre entworfen, mit einem Fußboden aus russischem Marmor, ein Glaskubus mit Mosaiken, wie sie damals auch in Westdeutschland gepflegt wurden, das Café Moskau gilt ebenso als Qualitätsbau der Ostmoderne wie das "Stadion der Weltjugend" - das wurde bereits Anfang der 90er Jahre abgerissen.

    Was in Dresden geschieht, so Architekturhistoriker wie Tobias Wolf aus Radebeul, der gerade über die Ostmoderne promoviert, was in Dresden passiert, sei allerdings einmalig: ihm sei nicht bekannt, dass anderorts eine ganze Zeitschicht in so drastischer Weise aus dem Stadtbild verbannt werden solle.

    Vielleicht wird man in wenigen Jahren in der sächsischen Landeshauptstadt ähnlich reagieren wie in der baden-württembergischen - dort grämt man sich nämlich seit Jahrzehnten, damals dem Abbruch des legendären Kaufhauses Schocken zugestimmt zu haben.