Archiv

Zum Zustand der Großen Koalition
"Wir haben eine ganze Reihe von Sollbruchstellen"

Ein Bruch der Großen Koalition in Berlin noch in diesem Jahr sei durchaus denkbar, sagte der Politologe Oskar Niedermayer im Dlf. Dafür sei weniger die Union verantwortlich. Es werde dann wohl letztlich eher an der SPD liegen, bei der die Nervosität groß sei.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Christine Heuer | 11.03.2019
Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer
Die Nervosität in der SPD sei sehr groß, sagte der Parteienforscher Oskar Niedermayer im Dlf - ebenso wie die Ablehnung der Großen Koalition (dpa/ picture alliance/ Julian Stratenschulte)
Christine Heuer: Der französische Präsident macht neue leidenschaftliche Vorschläge für mehr Europa, und in Deutschland antwortete darauf nicht etwas die Kanzlerin, sondern die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Paris is not amused, und in Deutschland hagelt es Kritik – in der Sache und eben in der Form. Plant Merkel die Machtübergabe an ihre Wunschnachfolgerin noch in diesem Jahr, und wie würde sich dazu bitte der Koalitionspartner SPD verhalten?
Wir möchten den Zustand der Koalition jetzt ein bisschen ausführlicher besprechen mit dem Parteienforscher Oskar Niedermayer von der FU Berlin. Guten Tag!
Oskar Niedermayer: Ja, guten Tag!
Heuer: Herr Niedermayer, auf die ein oder andere Weise denkt diese Koalition schon wieder laut über ihr baldiges Ende nach. Überlebt das Bündnis dieses Jahr?
"Die Ablehnung dieser Koalition ist groß"
Niedermayer: Also ich würde darauf nicht wetten. Die Wahrscheinlichkeit ist durchaus da, aber sicher ist es überhaupt nicht. Das liegt, glaube ich, weniger an der Union und an Planspielen, jetzt gleich Frau Merkel durch Frau Kramp-Karrenbauer zu ersetzen.
Ich glaube, dass es letztendlich eher an der SPD liegen wird, denn wir haben eine ganze Reihe von Sollbruchstellen, und die Nervosität in der SPD ist doch ziemlich groß, und auch die Ablehnung dieser Koalition.
Heuer: Also Sie haben den Eindruck, die SPD ist auf dem Sprung, das Bündnis platzen zu lassen?
Niedermayer: Ich bin mir nicht sicher, ob das eine wirkliche durchdachte und systematisch vorangetriebene Strategie ist der Parteiführung, das glaube ich gar nicht so. Aber es könnte natürlich sich eine Eigendynamik entwickeln, zum Beispiel nachdem man die Europawahl deutlich verloren hat. Da muss man ja wissen, das letzte Mal hatte die SPD ja über 27 Prozent, jetzt steht sie bei 15 bis 17 Prozent. Und wenn das noch funktioniert, dann kommen die drei ostdeutschen Landtagswahlen, wo die SPD in ganz schwerem Wasser ist, und dann kommt zum Schluss noch die Halbzeitbilanz, wo wieder eine Möglichkeit wäre, diese Koalition platzen zu lassen.
Also das könnte alles eine Dynamik entwickeln, die ja gerade bei der SPD, wenn die Basis immer mehr raus will, sich durchaus auswachsen kann zu einem starken Druck auf die Führung.
Heuer: Wie sicher ist das denn, dass die SPD, wie jetzt eben einige Sozialdemokraten angekündigt haben, AKK nicht wählen würde?
Parteien haben sehr unterschiedliche Interessen
Niedermayer: Ich glaube, dass das ziemlich sicher ist, denn warum sollte die SPD dies tun? Wenn sie AKK wählt, verschafft sie ihr natürlich für die nächste Bundestagswahl dann den Vorteil, aus dem Kanzleramt heraus den Wahlkampf bestreiten zu können, und das ist ein sehr großer Vorteil.
Also deswegen glaube ich eigentlich nicht, dass das so problemlos gehen würde. Und wenn die SPD zu einem solchen Wechsel dann nein sagen würde, dann stünde die Frage im Raum, gibt es "einfach", in Anführungszeichen, eine neue Regierung, also eine Neuauflage von Jamaika, oder werden wir dann vorgezogene Neuwahlen bekommen.
Heuer: Was glauben Sie?
Niedermayer: Das ist ganz schwer zu sagen, weil die unterschiedlichen Parteien sehr unterschiedliche Interessen haben. Bei der FDP würde ich sagen, die würde diesmal mitmachen – das zeigen sehr viele Äußerungen von Lindner und auch von anderen aus der FDP. Ich glaube nicht, dass die Partei sich ein zweites Mal einer Jamaika-Koalition verweigern würde.
Was anderes ist es bei den Grünen: Die stehen vor dem Problem, zu sagen, was ist uns wichtiger, jetzt gleich zu regieren, aber in den Größenverhältnissen, wie es die Bundestagswahl vorschreibt – da waren ja die Grünen die kleinste Partei, und die FDP war sehr viel stärker –, oder wollen wir Neuwahlen und unsere jetzige Stärke in den Umfragen dann umsetzen in ein größeres Gewicht in einer Jamaika-Koalition. Das ist eine schwierige Entscheidung.
"AKK hat in der Partei und nach außen die Voraussetzungen geschaffen"
Heuer: Wenn es zu Neuwahlen käme, wäre AKK überhaupt schon stark genug fürs Kanzleramt? Sie hat ja den Parteivorsitz gerade mal vor drei Monaten übernommen.
Niedermayer: Also wenn es zu Neuwahlen kommt, kommt es relativ schnell zu Neuwahlen, weil es ja dann die Regelung im Grundgesetz gibt, dass man das nicht über Monate hinausschieben kann. Aber ich denke doch, dass Kramp-Karrenbauer die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, denn sie hat alles getan, um ihre innerparteilichen Gegner aus dem innerparteilichen Wahlkampf mit Merz und Spahn einzubinden – also den Wirtschaftsflügel, den konservativen Flügel in der Union –, und sie hat ein sehr viel besseres Verhältnis hergestellt zur CSU, worauf natürlich auch der neue CSU-Vorsitzende großen Wert legt.
Sie hat in der Partei und nach außen die Voraussetzungen geschaffen, sie ist auch die zweitbeliebteste Politikerin in der Bevölkerung, kurz nach Wolfgang Schäuble. Also die Außenwirkung ist auch da, und deswegen glaube ich, dass sie schon die Möglichkeit hat, da ins kalte Wasser zu springen sozusagen.
Niedermayer: Es gibt ein zweites Machtzentrum in der Union
Heuer: Nun ist Annegret Kramp-Karrenbauer ja das eine, das andere ist Angela Merkel – noch ist sie Kanzlerin. Nun lässt sie aber AKK auf Emmanuel Macron antworten. Ist Angela Merkel tatsächlich ganz aktiv jetzt auf dem Rückzug schon aus dem Kanzleramt, nehmen Sie das so wahr?
Niedermayer: Ich nehme das eigentlich nicht so wahr, denn sie führt weiterhin die Regierungsgeschäfte. Das jetzt mit der Antwort auf Macron, da muss man ja auch sagen, die Antwort auf frühere Reden von Macron – denn das, was er jetzt vor ein paar Tagen gesagt hat, ist ja nichts Neues –, die war auch sehr verhalten, von der Bundesregierung. Und das liegt nicht nur daran, dass Frau Merkel mit vielem, was Macron will, nicht einverstanden ist, sondern dass es ja auch Probleme zwischen Union und SPD in dieser Frage gibt und dass es deswegen nicht ganz so einfach ist, jetzt eine flammende Antwort der Bundesregierung auf Macron zu formulieren. Dass Kramp-Karrenbauer dies jetzt genutzt hat, um einiges ihrer eigenen europapolitischen Vorstellungen in die Welt zu bringen, das zeugt natürlich auch davon, dass es eben jetzt ein zweites Machtzentrum gibt, und das ist eben die neue Vorsitzende …
"Es wird diesen Wechsel geben"
Heuer: Und das ist auch gewollt, Herr Niedermayer, dieses zweite Machtzentrum?
Niedermayer: Das ist durchaus auch gewollt, denn es ist ganz klar, dass Angela Merkel ja in absehbarer Zeit das Zepter an Kramp-Karrenbauer übergeben will – ob das jetzt dieses Jahr ist oder erst dann nach der nächsten regulären Wahl, das ist ja jetzt zweitrangig, aber es wird diesen Wechsel geben. Und deswegen muss man natürlich auch in der Machtteilung zwischen diesen beiden Personen jetzt eine neue Balance finden und kann nicht AKK jetzt in die zweite Reihe schieben, das geht nicht.
Heuer: Aber wir haben von Ihnen jetzt gerade gelernt und gehört, im Grunde kann so ein Wechsel eigentlich nur über Neuwahlen, über Wahlen jedenfalls praktiziert werden. Jetzt sagt die Werteunion, dieser konservative Kreis in der CDU, AKK sollte bald übernehmen. Wie realistisch ist denn überhaupt so ein Vorstoß, spielt das überhaupt eine Rolle?
Niedermayer: Na ja, die Werteunion ist ein Teil der Union. Sie hat jetzt größere Aufmerksamkeit bekommen, die Konservativen in der Union eben auch durch den innerparteilichen Wahlkampf mit dem Wechsel zu Kramp-Karrenbauer, aber es ist eben nur ein Teil. Es gibt sehr viele in der Union, die da eine andere Meinung vertreten, die sagen, Angela Merkel soll bitte bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzlerin bleiben.
Heuer: Sagen zwei Drittel der Deutschen, Herr …
Niedermayer: … das sagen auch jetzt zwei Drittel der Deutschen. Insofern ist es nur eine Stimme eben unter vielen, und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es zwischen den beiden, zwischen Merkel und Kramp-Karrenbauer, eine abgesprochene Strategie gibt, möglichst schnell diesen Wechsel herbeizuführen.
Heuer: Also es tut sich was, aber wir müssen noch ein bisschen abwarten.
Niedermayer: Ich glaube schon, ja. Und wenn sich was tut, wenn die Regierung stürzen oder zerbrechen sollte, dann glaube ich, liegt es dann doch eher an der SPD als an einer Strategie der Union, jetzt einen Wechsel herbeizuführen.
Heuer: Der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der FU Berlin. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Niedermayer!
Niedermayer: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.