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Zunahme der Pendlerzahlen
"Ökologisierung der Pendlerpauschale diskutieren"

Die Zahl der Berufspendler nimmt in Deutschland stetig zu - das zeigt eine aktuelle Studie. Aber: Pendeln ist nicht automatisch umweltschädlich, sagt Sabine Schlacke vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen. Sie fordert darum steuerliche Privilegien für klima- und umweltfreundliches Pendeln.

Sabine Schlacke im Gespräch mit Georg Ehring |
    Ein Fahrradfahrer fährt zwischen Autos vorbei, die sich an einer Einfallstraße von Frankfurt am Main im Berufsverkehr stauen.
    Ein Fahrradfahrer fährt zwischen Autos vorbei, die sich an einer Einfallstraße von Frankfurt am Main im Berufsverkehr stauen. (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    Georg Ehring: Immer mehr Menschen pendeln zur Arbeit. Das geht aus Zahlen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung hervor. Vor allem in die großen Metropolen wie Berlin, München, Hamburg, Frankfurt oder Köln pendeln Tag für Tag Millionen von Menschen und die Zahlen steigen ebenso wie die durchschnittliche Länge des Weges zum Arbeitsplatz. Die Pendler fahren inzwischen im Schnitt fast 17 Kilometer; vor 15 Jahren war es noch 14,5 Kilometer. – Professor Sabine Schlacke beschäftigt sich am Institut für Umwelt- und Planungsrecht der Universität Münster mit der Zukunft der Städte. Guten Tag, Frau Schlacke.
    Sabine Schlacke: Guten Tag, Herr Ehring.
    Ehring: Frau Schlacke, haben Sie die Zahlen überrascht?
    Schlacke: Die Zahlen überraschen mich nicht. Wir bemerken in den letzten Jahren eine Zunahme der Pendlertätigkeit und der Pendlerinnen und Pendler, und darauf müssen wir reagieren.
    "Nicht jedes Pendeln ist umweltschädlich"
    Ehring: Pendeln wird ja steuerlich gefördert, zum Beispiel mit der Pendlerpauschale. Sind Sie dafür, wie jetzt diskutiert wird, sie abzuschaffen?
    Schlacke: Ich glaube, zunächst einmal muss man sich klarmachen, wenn man das aus Umweltgesichtspunkten betrachtet, ist nicht jedes Pendeln gleich umweltschädlich, sondern wenn wir insbesondere auf den Klimaschutz schauen, dann ist natürlich das Pendeln mit klimaintensiven Transportmitteln, zum Beispiel dem eigenen PKW, der einen ganz normalen Verbrennungsmotor besitzt, besonders klimaschädlich. Insofern, meine ich, muss man auch die Pendlerpauschale differenziert betrachten. Wir haben zurzeit eine wirklich Pauschallösung mit 30 Cent pro Kilometer, die steuerlich geltend gemacht werden kann, und nur eine leichte Privilegierung für die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs, indem nämlich hier die tatsächlichen Kosten abgerechnet werden können. Meines Erachtens ist dort sehr viel mehr Potenzial drin, um gerade ein klimafreundliches und umweltfreundliches Pendeln inklusive Nutzung von ÖPNV, Nutzung des Fahrrades, aber vielleicht auch längere Fußwege zu privilegieren. Meines Erachtens sollten wir nicht über ein Entweder-Oder, sondern über eine Ökologisierung der Pendlerpauschale diskutieren.
    "Wohnungsbau im Außenbereich der Städte ist ökologisch ein Rückschritt"
    Ehring: Das Baurecht ist ja ein weiterer Punkt, der die Zersiedlung fördert, und es soll zum Beispiel künftig leichter werden, neue Wohngebiete in Außenbereichen, also am Stadtrand auszuweisen. Wird das dazu führen, dass noch mehr Pendler geschaffen werden?
    Schlacke: Ja, in der Tat haben wir gerade eine Novelle des Baugesetzbuches vorliegen, die durchaus den Wohnungsbau im Außenbereich erleichtert, indem nämlich dort auch eine Überplanung des Außenbereichs, der an den Siedlungsbereich grenzt, ermöglicht wird. Und das bedeutet natürlich, dass wir das Wohnen im Grünen, die Eigenheimerrichtung in gewisser Weise fördern werden. Das bedeutet ein Ausfransen der Siedlungsstrukturen der Städte und Gemeinden nach außen, wo wir eigentlich den Außenbereich von Siedlungen freihalten wollen, aus Gründen des Flächenschutzes, des Naturschutzes, aber auch aus Gründen der Landwirtschaft, die diese Flächen benötigt. Insofern ist das ökologisch betrachtet, meines Erachtens, ein Rückschritt und auch aus der Pendlerperspektive werden wir wieder mehr Pendler haben, die wahrscheinlich individuell dann zu ihrer Arbeitsstätte fahren, weil gerade diese Gebiete häufig noch nicht infrastrukturbezogen angebunden sind an die Innenstädte. Insofern wird das das Pendeln wahrscheinlich erhöhen und wir müssen vielmehr in Richtung Innenverdichtung der Städte und Erschließung neuer urbaner Räume denken und auch arbeiten. Auch das sieht die Bau-GB-Novelle vor, eine neue Gebietskategorie urbanes Gebiet. Eine Innenverdichtung ist nötig und auch möglich. Wir haben Brachen in Innenstädten. Wir sollten nicht an die Außenränder gehen.
    Ehring: Das heißt aber doch mehr Hochhäuser in der City. So möchten doch viele Menschen gar nicht wohnen.
    Schlacke: Das kommt darauf an, ob das immer heißt mehr Hochhäuser in der City. Wir haben eine Diskussion gehabt im Rahmen dieser neuen urbanen Gebiete. Die geht nicht in Richtung Hochhäuser; die geht eher in die Richtung, wie kann ich eine Mischnutzung so forcieren, dass auch eine Wohnnutzung möglich wird. Hier dreht man eher an Lärmgrenzwerten. Die Lärm-Emissionsrichtwerte werden angehoben. Das kann natürlich wieder Beeinträchtigungen des Gesundheitsschutzes der dort lebenden Bevölkerung nach sich ziehen. So haben wir immer eine Art Auspendeln. Aber das bedeutet nicht zwingend mehr Hochhäuser. Verdichtung in die Höhe kann sein, muss aber nicht sein, und es ist auch nicht so, dass niemand in Hochhäusern leben möchte.
    Ehring: Professor Sabine Schlacke war das, die Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats globale Umweltveränderungen der Bundesregierung. Immer mehr Menschen pendeln zur Arbeit, die Wege werden immer länger, und wir sprachen darüber, wie man dem entgegensteuern kann. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.