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Zunahme der Zwangsprostitution während der Fußball-WM befürchtet

Die Hilfsorganisation Solwodi für Frauen in Not befürchtet eine Zunahme von Zwangsprostitution während der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Schon jetzt könne man beobachten, dass Bordellbesitzer aufrüsten, sagte die Vorsitzende der Organisation, die katholische Schwester Lea Ackermann. Solwodi will durch Aktionen in den Heimatländern und durch ein Notruftelefon in Deutschland gegen den Menschenhandel vorgehen.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: "Die Welt zu Gast bei Freunden", das ist das offizielle Motto der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. "Die Welt zu Gast bei Huren", das könnte das Motto skrupelloser Menschenhändler und Zuhälter werden. Die planen nämlich das große Geschäft mit Zwangsprostituierten bei der Fußball-WM. Das sagen Fachleute voraus und Hilfsorganisationen sind längst aktiv, um das Schlimmste zu verhindern. Eine dieser Organisationen ist "Solwodi". Das steht für "Solidarität mit Frauen in Not". "Solwodi"-Vorsitzende ist die katholische Schwester Lea Ackermann. Guten Morgen, Schwester Lea!

    Ackermann: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Experten schätzen, dass 10- bis 40.000 Zwangsprostituierte zur WM in Deutschland erwartet werden. Ist das eine realistische Zahl? Kann man das überhaupt schätzen?

    Ackermann: Es ist schwierig zu schätzen, aber wenn man die Aktivitäten der Bordellbesitzer der verschiedenen Städte sieht, dann glaube ich, dass es realistische Zahlen sind, denn die würden nicht so aufrüsten, wenn hinterher die Plätze frei bleiben würden.

    Heuer: Wie rüsten die denn auf?

    Ackermann: Zum Beispiel hat Berlin jetzt ein ganz großes neues Bordell eingerichtet. Die Stadt Duisburg hat Land an einen Bordellbesitzer verkauft. Der will noch schnell vor der WM ein Großbordell hochziehen. Das große Bordell in Köln soll noch 80 Zimmer mehr angemietet haben. Dortmund bemüht sich um Verrichtungsboxen, die sie im Industriegebiet aufstellen wollen. Köln hat das Angebot von Verrichtungsboxen vergrößert. In Magdeburg bemüht man sich. Also Sie sehen überall und wenn man das so sieht und die Austragungsorte mal hochrechnet, dann kann das schon hinkommen mit solch enormen Zahlen.

    Heuer: Nun ist ja - es mag einem gefallen oder nicht -, Schwester Lea, Prostitution in Deutschland legal. Gibt es denn sichere Erkenntnisse darüber, dass Menschenhändlerringe Zwangsprostituierte ins Land bringen möchten?

    Ackermann: Ja, das ist schon ziemlich sicher, denn mit den Zwangsprostituierten machen sie ja wesentlich mehr Geld. Es ist ja auch die ganze Zeit so gewesen, dass bei etlichen Frauen, die hier als Prostituierte zur Verfügung stehen, sehr viele sind die sagen, sie waren nie damit einverstanden, hier als Prostituierte zu arbeiten. Wenn Sie alleine mal den Bundeskriminalamtsbericht von 2004 sehen, dort wird immerhin von 967 Opfern von Menschenhandel gesprochen und davon haben nur 175 gesagt, dass sie wussten, dass es um Prostitution ging. Es waren trotzdem dann noch Opfer von Menschenhandel. Das ist natürlich möglich, wenn sie eingesperrt gehalten werden, wenn sie gezwungen werden, wenn sie aussteigen wollen und so weiter. Immerhin aber über 800 wollten nicht als Prostituierte hier zu Diensten sein.

    Heuer: Nun sind Frauenhandel und Zwangsprostitution ja Verbrechen. Zuständig sind eigentlich also die Polizei und wenn diese Frauen ins Land gebracht werden auch die Bundespolizei. Kriegen die das Problem nicht in den Griff?

    Ackermann: Nein. Das kann man schon sagen, dass sie das Problem überhaupt nicht im Griff haben.

    Heuer: Wieso nicht?

    Ackermann: Es werden sehr wenig Razzien durchgeführt, die dem Straftatbestand Menschenhandel nachgehen. Ich meine jetzt nicht die Razzien in Bordellen, die nur dem Straftatbestand illegaler Aufenthalt nachgehen, sondern wirklich Einsätze, die dem Straftatbestand Menschenhandel nachgehen. Da geschieht eigentlich sehr wenig. Wenn diese Razzien dann auf Frauen stoßen, die Opfer von Menschenhandel sind, werden auch diese Frauen sehr oft sehr schnell abgeschoben.

    Heuer: Polizei und Bundespolizei schaffen es nicht, den Frauen zu helfen, über die wir hier sprechen. Wer kann dann helfen? Wie kann man helfen bei der Fußballweltmeisterschaft?

    Ackermann: Ich möchte natürlich nicht so absolut sagen, dass sie nie helfen, aber für unsere Beobachtungen viel zu wenig. Diese Frauen, auf die die Polizei dann stößt, die dürfen nicht abgeschoben werden. Die müssen den Fachberatungsstellen anvertraut werden und mit diesen Fachberatungsstellen zusammen, wenn man den Frauen Rechtsanwältinnen gibt, Übersetzerinnen gibt, Schutzwohnungen anbietet, dann kann das Verbrechen Menschenhandel wirklich auch bestraft werden. Durch Aussagen dieser Frauen und durch Bestrafung wird das Problem bewusst und wird auch den Tätern das Handwerk gelegt.

    Heuer: Schwester Lea, was kann man jetzt aber tun bei der Fußballweltmeisterschaft? Über die reden wir ja gerade. Was kann man da für die Frauen tun?

    Ackermann: Wir haben gedacht man kann drei Sachen tun. Eine Aktion ist von "Solwodi" gelaufen in den Heimatländern, wo wir gewarnt haben, wo wir gesagt haben Vorsicht, Falle Menschenhandel bei der WM. Es wird versprochen Pass, Geld, Job und Wohnung und tatsächlich wird es sein Verkauf, versklavt, zum Sex gezwungen. Frauen, seid vorsichtig. Nehmt euch in Acht und wenn ihr reingefallen seid in diese Falle, dann bitte ruft die Notrufnummer an 0800-0111777. Das ist ein Notruf, den wir eingerichtet haben vom 1. Mai bis Ende Juli, um den Frauen tatsächlich Hilfe anzubieten. Dieser Notruf ist rund um die Uhr besetzt in fünf bis sechs Sprachen, so dass die Frauen, wenn sie irgendwie die Möglichkeit haben, an die Nummer und an ein Telefon zu kommen, dass wir ihnen dann wirklich konkret helfen können. Die zweite Aktion ist die Einrichtung des Notrufes und die dritte ist unsere Informationskampagne.

    Heuer: Verhindern kann man doch die Verbrechen, die hier geschehen, nur, wenn man an die "Täter" herangeht, also an die Freier?

    Ackermann: Das freut mich, dass Sie die Freier auch als Täter bezeichnen, denn im Grunde genommen hat man immer nur die Schlepper, Schleuser und Bordellbesitzer als Täter gesehen. Aber die Leute, die diesen Markt machen, diesen enormen Markt, das sind auch die Freier. Deshalb gehören sie mit dazu. Da hier in Deutschland Prostitution ja legal ist, sind die Initiativen im Gange, dass man sagt, aber die Freier, die zu Frauen gehen, wo sie erkennen können, dass sie nicht mit der Prostitution einverstanden sind, und trotzdem ihre Dienste nutzen, die müssen bestraft werden können. Solch eine Initiative ist im Gange, aber im Moment haben auch andere Frauenorganisationen gesagt, wir müssen die Freier aufklären. Wir müssen ihnen sagen, bitte passt doch auf und seid doch vorsichtig, wenn ihr zu Prostituierten geht.

    Ich hoffe ja, dass der eine oder andere Freier dadurch wirklich motiviert ist, auch anzuzeigen, wenn sie denken, dass hier Prostitution über Menschenhandel im Spiel ist. Ich weiß nur noch nicht so richtig... Wissen Sie, wenn die Fußballspiele sind, es wird gesoffen und gejohlt und man ist so in einer ganz verrückten Laune, ob dann die Freier ansprechbar sind, vorsichtig mit diesem Problem umzugehen.

    Heuer: Schwester Lea Ackermann von der Hilfsorganisation "Solwodi", "Solidarität mit Frauen in Not". Danke Schwester Lea!

    Ackermann: Bitte Frau Heuer.