Nach Europawahl
Zunehmend SPD-interne Kritik an Kanzler Scholz

In der SPD wächst die Kritik an Bundeskanzler Scholz nach dem schlechten Ergebnis der Partei bei der Europawahl. Die Bundestagsfraktion wünscht sich innerhalb der Ampel-Koalition eine stärkere Wahrnehmung sozialdemokratischer Interessen durch den Kanzler. Mehrere SPD-Landesvorsitzende halten bei einigen Themen ein deutlicheres Parteiprofil für notwendig. Ein Überblick der Stimmen.

    Bundeskanzler Olaf Scholz steht am Redepult. Sein Gesichtsausdruck ist zerkniffen. Seine Augen sind geschlossen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach der Europawahl (dpa / picture alliance / dts-Agentur)
    Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Mützenich, verwies in der "Rheinischen Post" auf fast 40 Wortmeldungen bei der letzten Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag. Die Fraktionsmitglieder hätten Sorgen zum Ausdruck gebracht, was das Bild der Koalition in der Öffentlichkeit angehe. Zudem pochten sie darauf, dass der Kanzler sichtbarer werden mit seinen Überzeugungen und in der Regierung werden solle, erklärte Mützenich. Gleichwohl hätten alle Beiträge gezeigt, dass man die Arbeit des Kanzlers nicht nur schätze, sondern inhaltlich auch unterstütze.
    Laut dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" gab es bei der vertraulichen Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion jedoch deutliche Kritik an Scholz. So habe Berlins früherer Regierender Bürgermeister Müller moniert, dass der Kanzler am Wahlabend das Ergebnis gegenüber Journalisten nicht kommentieren wollte, heißt es. Müller, der für Außenpolitik zuständig ist, soll Scholz überdies widersprüchliche Aussagen am Ende des Wahlkampfs vorgeworfen haben. Man könne keinen Friedenswahlkampf machen und gleichzeitig erlauben, dass die Ukraine mit deutschen Waffen Ziele in Russland angreife, wird Müller nach Angaben von Teilnehmern zitiert.

    Mützenich: Es ist an der Zeit, bisherige Erfolge und weitere Vorhaben stärker herauszustellen

    Der Bundeskanzler werde in Zukunft die Chance ergreifen, deutlicher seine Haltung innerhalb der Koalition als sozialdemokratischer Regierungschef zu erläutern, betonte der Fraktionsvorsitzende weiter. "Wir nähern uns dem Ende der Wahlperiode. Jetzt ist es an der Zeit, bisherige Erfolge und weitere Vorhaben stärker herauszustellen", betonte Mützenich. Er sicherte dem Kanzler zugleich seine persönliche Unterstützung zu. "Als SPD-Fraktionschef werde ich einem SPD-Kanzler immer den nötigen Spielraum für seine Politik verschaffen, den er braucht. Das gilt, solange es mir qua Amt möglich ist und nicht gegen meine Überzeugungen verstößt."

    NRW-SPD unzufrieden mit Scholz

    Unzufrieden mit der Parteispitze im Bund zeigt sich die Landes-SPD in Nordrhein-Westfalen. "Es muss in den nächsten Wochen deutlich werden, dass die SPD in der Bundesregierung die Kernanliegen unserer Partei durchsetzen kann", sagte die Landesvorsitzende Philipp dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Sie forderte Kanzler Scholz auf, offensiver dafür einzutreten. "Ich würde mir wünschen, dass er seinen Gestaltungsanspruch und seine hohe Kompetenz in der Öffentlichkeit häufiger stärker zur Geltung bringt."
    Als SPD-Landespitze habe man eine sehr klare Erwartungshaltung in Richtung Bund formuliert, fügte die Politikerin aus Duisburg hinzu. "Das Zeichen, dass es so nicht weitergehen kann, ist von uns ganz klar gesetzt worden." Philipp hatte zuvor im "Spiegel" erklärt, gerade bei den wahlentscheidenden Themen der Asyl- und Migrationspolitik sowie der inneren Sicherheit sei das Profil der SPD in den vergangenen Jahren nicht immer eindeutig gewesen.

    SPD im Osten zunehmend nervös

    Vor den Landtagswahlen im September in Brandenburg, Thüringen und Sachsen wächst bei den Sozialdemokraten offenbar die Nervösität. Thüringens Innenminister Maier, der auch Chef der Landes-SPD ist, verweist auf die Nöte der Menschen in Ostdeutschland. Er verlangt von der SPD-Parteiführung und dem Kanzler einen Fokus auf ostdeutsche Themen: "Warum stellen wir verdammt nochmal nicht endlich ostdeutsche Themen in den Mittelpunkt? Ich komme mir mittlerweile vor, wie ein einsamer Rufer."

    Woidke kritisiert Wahlkampf der SPD

    Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Woidke betonte, dass die Europawahl keine Rückschlüsse auf die Haltung der Bevölkerung zur aktuellen Bundesregierung oder zu seiner Landesregierung in Brandenburg zulasse. Bei der Landtagswahl im Herbst gehe es um andere Themen und um andere Personen,sagte Woidke im Deutschlandfunk. Er kritisierte den Wahlkampf seiner Partei bei der Europawahl. Die Sozialdemokraten hätten andere Themen ansprechen sollen und den Wählern besser erklären müssen, welche Vorteile Europa für sie habe, betonte Woidke. Politische Stabilität und Wohlstand seien ohne die EU gar nicht möglich, aber das habe man den Wählern offenbar nicht ausreichend vermitteln können.

    Umfrage: Hälfte der Deutschen für Neuwahl

    Etwa die Hälfte der wahlberechtigten Menschen in Deutschland würde es einer repräsentativen Umfrage zufolge befürworten, wenn es zu Neuwahlen im Bund käme. Das geht aus dem aktuellen ZDF-"Politbarometer" hervor. 71 Prozent der Befragten erklärten, mit der Arbeit der Regierung nicht zufrieden zu sein. Vor einem Monat waren es noch 63 Prozent.
    Die SPD hatte bei der Europawahl am vergangenen Sonntag mit 13,9 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl in Deutschland erzielt. Einen Tag später deutete Kanzler Scholz einen Kurswechsel der Regierung an. Man dürfe nun nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren. Stattdessen gehe es darum, gemeinsam Lösungen für die anstehenden Aufgaben zu finden und bis zur Bundestagswahl das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, erklärte der Kanzler.
    Diese Nachricht wurde am 14.06.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.