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Zunehmend verhüllt

Raumfahrt. – Die USA, die soeben einen militärischen Satelliten mit einer Antisatellitenrakete aus seiner Umlaufbahnbahn holten, sind nicht die ersten, die solche Versuche durchführen. Vor rund einem Jahr zerstörte China einen alten Wettersatelliten. Beide Versuche verursachen Weltraumschrott, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Ein am Institut für Luft- und Raumfahrtsysteme der Technischen Universität Braunschweig entwickeltes Programm kann die Schrottentwicklung in der Umlaufbahn simulieren. Einer der Entwickler, Dr. Carsten Wiedemann, erläutert es im Gespräch mit Uli Blumenthal.

    Blumenthal: Herr Wiedemann, wie kann man die Verteilung von Weltraumschrott nach einer solchen Zerstörung berechnen?

    Wiedemann: Nun, wir haben im Auftrag der Europäischenraumfahrtbehörde Esa eine Software mit der Bezeichnung Poem entwickelt, das steht für "Program for Orbital Debris Environment Modelling", und mit dieser Software versuchen wir zu berechnen, wie sich Trümmer im Weltraum verteilen. Das heißt, wir simulieren jedes Weltraummüll-Erzeugungsereignis, jede Explosion oder jede Zündung eines Feststoffmotors, die es in der Geschichte der Raumfahrt jemals gegeben hat, und erzeugen rein rechnerisch eine Trümmerwolke und berechnen dann unter Berücksichtigung aller Störkräfte, die auftreten können, wo sich die Partikel, die dabei entstanden sind, heute befinden. Und diese Ergebnisse werden dann mit Messdaten verglichen.

    Blumenthal: Wie sehen denn Ihre Ergebnisse bei dem chinesischen Wettersatelliten aus?

    Wiedemann: Nun, der chinesische Satellit wurde auf einer Bahn in ungefähr 850 Kilometer zerstört. Und dort sind Sie schon weit von der Atmosphäre entfernt, so dass die Trümmerstücke, die dort entstehen, für relativ lange Zeit im Weltraum verbleiben können. Die Simulationsergebnisse haben gezeigt, dass durch diesen chinesischen Anti-Satelliten-Test die Trümmerdichte dort etwa um 50 Prozent angestiegen ist. Das Problem bei diesem Test war, dass er in einer solchen Höhe durchgeführt wurde, in der die Trümmerdichte ohnehin schon sehr hoch ist. Die höchste Trümmerdichte haben wir heute bei 900 Kilometer Höhe.

    Blumenthal: Und wie sieht es aus, was die Verteilung dieser Trümmer angeht? Kann man da ganz klar sagen, die Trümmer werden nur in eine Richtung ausgestreut?

    Wiedemann: Nein, wir gehen davon aus, dass bei einer solchen Zerstörung die Trümmer sich in alle Richtungen verteilen. Es wird aber immer so sein, das der größte Teil der Trümmer auf einer Umlaufbahn verbleibt, die der des Mutterobjektes sehr ähnlich ist. Das gilt vorzugsweise für diese großen Objekte, kleinere Objekte können auch auf wesentlich höhere oder niedrigere Umlaufbahnen geschleudert werden durch das Fragmentationsereignis. Allerdings ist der Beitrag, den diese kleinen Objekte in großer Entfernung zum Fragmentationsereignis zum Weltraummüll liefern, relativ gering. Es ist also vor allem die Trümmerdichte hier direkt in 850 Kilometer Höhe angestiegen.

    Blumenthal: Wie hat sich der Weltraumschrott durch den Abschuss des amerikanischen Satelliten geändert?

    Wiedemann: Wir haben inzwischen vorläufige Simulationsrechnungen durchgeführt, und unsere vorläufigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Trümmer nicht für längere Zeit im Weltraum verbleiben werden. Wir gehen davon aus, dass etwa 50 Prozent der Trümmer, die dabei entstanden sind, im Verlauf der kommenden Woche wieder eintreten werden und verglühen. Nach etwa drei Monaten dürfen sich weniger als ein Prozent der Trümmer, die entstanden sind, noch im Weltraum befinden. Und nach etwa elf Monaten müsste eigentlich auch das letzte Trümmerstück wieder verschwunden sein. Der Grund für diesen sehr hohen Selbstreinigungseffekt, den wir auf dieser sehr niedrigen Umlaufbahn haben, ist, dass Sie noch so nahe der Erdatmosphäre sind. Das heißt aber, die Partikel, die bei diesem Ereignis entstanden sind, streifen in etwa 250 km Höhe die Atmosphäre. So dass sie jedes Mal ein bisschen abgebremst werden und relativ schnell in die Erdatmosphäre wieder eintreten können. Und dieses Ereignis wird also keinen langfristigen Beitrag zur Weltraummüll der Umgebung leisten.

    Blumenthal: Wozu wird das Modell sonst noch genutzt?

    Wiedemann: Nun, unsere Software bildet einfach die Grundlage für das europäische Weltraummüllmodell Master, das ebenfalls von der Esa zur Verfügung gestellt wird und von unserem Institut federführend entwickelt wird. Mit diesem Modell können wir die Kollisionswahrscheinlichkeit zwischen Trümmern und Satelliten ausrechnen. Das heißt, wenn sie einem Satelliten auf eine bestimmte Umlaufbahn stellen, dann kann Ihnen diese Software ausrechnen, wie viele Trümmer aus welcher Richtung in welcher Größeverteilung auf diesem Satelliten einschlagen. Und das ist eine wichtige Information für die Satellitenbetreiber, die wissen müssen, wie groß das Risiko ist, dass vor allem Kleinstpartikel die Außenhaut ihres Satelliten durchschlagen können. Die risikoreichste Umlaufbahn, die wir heute haben, ist in ungefähr 900 km Höhe, und das ist auch der Bereich, in dem auch viele Erdbeobachtungssatelliten fliegen, etwas unterhalb von 900 km Höhe. Und dort kann man heute schon damit rechnen, dass ein Satellit im Laufe seines etwa sieben Jahre andauernden Lebens wahrscheinlich von rund 30.000 Objekten getroffen wird, die größer als ein Zehntel Millimeter sind. Und für die Raumfahrtingenieure ist es natürlich wichtig, abzuschätzen, wie viele dieser Partikel irgendwelche Systeme des Satelliten schädigen können.