"Mit der ganzen Härte des Rechtsstaats" werde man gegen Menschen vorgehen, die Flüchtlinge angreifen, hatte Angela Merkel im September versprochen. Halten kann der Staat das Versprechen nicht: Zwischen 1. Januar und 30. November hat die Polizei 93 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte registriert, außerdem 28 tätliche Angriffe mit Messern, Baseballschlägern und anderen Waffen und 93 gefährlichen Sachbeschädigungen - von Steinwürfen bis hin zu Stahlkugeln, mit denen auf Fenster geschossen wurde. Die Täter nahmen mindestens in Kauf, dass Menschen verletzt oder sogar getötet werden. Acht Mal wurden Gebäude außerdem mit dem Ziel unter Wasser gesetzt, sie unbewohnbar zu machen.
Übergriffe im gesamten Bundesgebiet
Die Übergriffe verteilen sich auf das gesamte Bundesgebiet. Vor allem Brandanschläge sind inzwischen in allen Bundesländern schreckliche Realität. Sachsen und Nordrhein-Westfalen führen die Liste mit 18 beziehungsweise 14 Fällen an, in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gab es 2015 jeweils sieben Brandstiftungen in Asylunterkünften, in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern jeweils fünf.
Wird die Gesamtzahl aller gewalttätigen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte betrachtet, bildet Sachsen einen klaren Schwerpunkt - sowohl absolut als auch umgelegt auf die Zahl der Einwohner. Insgesamt 64 Gewalttaten registrierten die Behörden dort seit Jahresbeginn.
Wachsende Gewalt gegen Flüchtlinge
Jedem dieser Fälle sind ZEIT ONLINE und DIE ZEIT nachgegangen und haben die Umstände recherchiert. Sie ergeben ein Bild wachsender Gewalt gegen Flüchtlinge und wachsender Hilflosigkeit der Behörden. Am deutlichsten ist das an der Zahl der Brandanschläge zu sehen. Wurde im Januar noch in zwei Unterkünften Feuer gelegt, brannten im Oktober schon 20 Heime.
Die Polizei konnte dabei nur in weniger als einem von vier Fällen einen Tatverdächtigen ermitteln, lediglich in vier Fällen haben Gerichte Täter verurteilt, in weiteren acht Fällen wurde Anklage erhoben. Das sind kaum mehr als fünf Prozent aller Angriffe. Die meisten Taten sind bis heute nicht aufgeklärt. Zwölf Prozent der Verfahren wurden sogar bereits ganz eingestellt. Und dass, obwohl schon 104 Menschen bei Übergriffen verletzt wurden.