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"Zunehmende Gewaltbereitschaft"

250 Wagen gingen bislang bei einer Serie von Brandanschlägen auf in Berlin in Flammen auf. Für Claudia Schmid, Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, auch ein Zeichen fehlenden Respektes: "Die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen hat zugenommen, ganz unabhängig von der politischen Ausrichtung", sagt sie.

Claudia Schmid im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Sie will einfach nicht enden, die Serie von Brandanschlägen auf Autos in Berlin. In diesem Jahr standen insgesamt 250 Wagen in Flammen, meist sind es teuere Modelle. Manchmal gehen bei den Behörden Bekennerschreiben linksextremer Gruppen ein, manchmal bleibt das Motiv unklar. Mit Brandanschlägen auf Polizei- und Bundeswehrfahrzeuge in und um Berlin hat auch die sogenannte "militante Gruppe" die Strafbehörden über Jahre in Atem gehalten. Im Sommer erklärte die Organisation ihre Auflösung. Dennoch: Innensenator Erhart Körting spricht von einer steigenden Zahl linksextremer Gewalttaten. Heute veranstaltet der SPD-Politiker dazu ein Expertengespräch. Vorgestellt werden soll auch eine Broschüre zum Thema "linke Gewalt in Berlin". An seiner Seite dann die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes. Sie begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Claudia Schmid.

    Claudia Schmid: Guten Morgen.

    Barenberg: Frau Schmid, wird die gewaltbereite linksextreme Szene stärker?

    Schmid: Nein. Wir können beobachten, dass das Personenpotenzial eher abgenommen hat und so auf einem Niveau von etwa 1.100 Personen derzeit stagniert. Allerdings stellen wir fest, dass dieses Personenpotenzial insgesamt seine Gewaltbereitschaft intensiver auslebt seit einiger Zeit.

    Barenberg: Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, er spricht davon, dass das Aggressionspotenzial erheblich gestiegen sei. Er spricht auch von einer Enttabuisierung, was Gewalt gegen Sachen angeht. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Schmid: Wir beobachten hier in Berlin, aber auch in anderen Großstädten, dass insgesamt die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen zugenommen hat, ganz unabhängig jetzt von der politischen Ausrichtung, und dass auch der Respekt gegenüber der Polizei oder staatlichen Autoritäten abgenommen hat. So hatten wir etwa, um ein ganz extremes Beispiel zu nennen, vor einigen Tagen einen 8- und einen 9-jährigen, die versucht haben, ein Auto in Brand zu stecken, oder wir haben auch immer wieder sehr aggressive Vorgehen gegenüber der Polizei zu beobachten, auch aus dem nichtextremistischen Milieu. Ich glaube, da ist insgesamt eine gesellschaftliche Entwicklung, die man mit Sorge betrachten muss.

    Barenberg: Aber mit sozusagen Veränderungen innerhalb der linksextremen Szene speziell hat das nichts zu tun?

    Schmid: In der linksextremistischen Szene haben wir ungefähr gleich bleibendes Personenpotenzial. In Berlin haben wir seit Jahren allerdings auch die größte autonome militante Szene in der Bundesrepublik und wir beobachten, dass seit dem letzten 1. Mai oder auch den Protesten gegen den G8-Gipfel die Aggressivität und das Selbstbewusstsein erheblich zugenommen haben.

    Barenberg: Insgesamt aber ist es dann doch so, dass das Gewaltpotenzial der Rechtsextremisten weitaus größer ist?

    Schmid: Die Zahlen der Gewalttaten sind von Linksextremisten größer, die die Polizei zählt. Allerdings haben wir dort keine Vorfälle, wie wir sie zum Beispiel im Rechtsextremismus haben, dass zum Beispiel Menschen so schwer angegriffen werden, dass sie, weil sie ausländisch aussehen, mit einer Aggressivität belegt werden, die ganz erheblich ist. Wir hatten jetzt zum Beispiel einen Angriff von Rechtsextremisten auf einen Studenten, den sie als links eingeschätzt haben. Nach einer Auseinandersetzung ging das so weit, dass sogar der sogenannte Bordstein-Kick von einem Rechtsextremisten hier angesetzt wurde. Das heißt, der junge Mann schwebte in Lebensgefahr. Solche Angriffe haben wir von Linksextremisten nicht.

    Barenberg: Wie müssen wir uns denn das politische Weltbild linksextremer, linksextremistischer Gruppen, Personen vorstellen?

    Schmid: Sie streben eine herrschaftsfreie Gesellschaft an und lehnen jegliche staatliche Bevormundung ab, wollen selbstbestimmt leben. Das ist zum Beispiel eine der Zielrichtungen, die wir hier in der sogenannten Freiraum-Kampagne haben. In diesem Zusammenhang werden in bestimmten Gebieten, wo man eine Verdrängung fürchtet und auch eine Herausdrängung von linksextremistischen Wohnprojekten, Reiche angegriffen, das heißt ihre Autos angegriffen, und man versucht, dadurch in diesem Bereich deutlich zu machen, dass man sich gegen die Verdrängung wehrt und dagegen wehrt, dass sich dort die Bevölkerungsstruktur ändert.

    Barenberg: Das Stadtbild verändert sich in Berlin, keine Frage. Gibt es denn, haben Sie Indizien dafür, dass es Sympathien für diese Art von Vorgehen auch in der Bevölkerung gibt?

    Schmid: Das ist nicht einheitlich. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der das sicherlich mit einer gewissen Sympathie beobachtet, aber auch viele Personen gerade in diesen Gebieten sind da ausgesprochen ablehnend, weil auch ihre eigenen Autos natürlich bei Angriffen in Gefahr geraten. Wenn sie dahinter oder davor parken, werden sie auch in Mitleidenschaft gezogen. Wir hatten auch Angriffe gegen Wagen zum Beispiel vom türkischen Gemüsehändler oder von anderen Personen, die sich ihr Auto schwer erarbeitet haben, die überhaupt nicht in das Potenzial passten, was die Linksextremisten dort im Auge hatten. Das heißt, wir haben sicherlich auch einen gewissen Kreis, der das mit Sympathie sieht, aber auch viele Personen, die im Grunde die Nase voll haben von diesen ungezielten Angriffen.

    Barenberg: Es kommt ja immer mal wieder vor, Frau Schmid, dass auch Politiker Verständnis für derartige Gewalt gegen Sachen durchaus andeuten. Welche Wirkung hat das im politischen Raum in der gesellschaftlichen Diskussion?

    Schmid: Wir beobachten leider, dass wir auch Äußerungen haben, die Angriffe befürworten. Vor kurzem gab es ja sogar eine Presseerklärung einer Politikerin der Linken im Bundestag, die sich für Aktionen des Antimilitarismus ausgesprochen hat und gegen die Kriminalisierung und damit letztendlich auch die Taten der Angeklagten aus dem MG-Prozess gerechtfertigt hat. Es gibt auch immer wieder Bündnisbestrebungen von Linksextremisten mit Politikern links von der Mitte. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung und man kann diesen Politikern nur raten, sehr klar Grenzen zu ziehen und insbesondere keine gemeinsame Sache zu machen mit Militanten.

    Barenberg: Welchen Schaden richten sie denn an, wenn sie diesen Rat nicht befolgen?

    Schmid: Sie haben ein Problem, dass diese Linksextremisten sich dann quasi als ein Vollstrecker des politischen Willens anderer empfinden können und dass sie diese Taten gerechtfertigt finden können in einem gewissen gesellschaftlichen Umfeld, und das ist gefährlich.

    Barenberg: Sie haben die militante Gruppe angesprochen, MG abgekürzt. Dort gab es drei Verurteilte nach einem Prozess. Die Anklage allerdings, sie wurde herabgestuft. Es ging nicht mehr um eine terroristische, sondern "nur noch" um eine kriminelle Vereinigung. Gibt es nicht auf der anderen Seite eben auch die Gefahr, dass wir die Gefahr, die von Linksextremisten ausgeht, überschätzen?

    Schmid: Ich bin nicht dafür, dass man etwas über- oder unterschätzt, sondern wir haben ja eine Studie vorgelegt, wo wir für Fakten gesorgt haben und wo wir uns die Gewalttaten, die linksmotiviert sind, angesehen haben von 2003 bis 2008 hier in der Stadt, und haben festgestellt, dass es da bestimmte Schwerpunkte in der Stadt gibt, haben Aussagen zu Tatverdächtigen gemacht, um welche Personen handelt es sich, welche Verbindungen zum Linksextremismus gibt es, und auf dieser Grundlage, wo man ganz nüchtern die Fakten betrachten muss, muss man jetzt eine Diskussion aufsetzen, was man gesellschaftspolitisch dagegen tun kann, was man in den Kiezen, die betroffen sind, dagegen tun kann, und ich bin dafür, dass man sich sachlich mit den Dingen auseinandersetzt und auf dieser Faktenbasis dann handelt.

    Barenberg: Wie gefährlich ist der Linksextremismus heute? In Berlin wird heute dazu eine Studie vorgestellt. Wir haben gesprochen mit Claudia Schmid, sie leitet den Verfassungsschutz in Berlin. Danke schön für das Gespräch, Frau Schmid.

    Schmid: Sehr gerne.