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Zunehmende Polarisierung
Vertrauen in Medien steigt, Misstrauen auch

Seit Beginn der Corona-Pandemie steigt die Glaubwürdigkeit in die Medien. Gleichzeitig erreichen auch zweifelhafte Quellen mit Verschwörungsmythen immer mehr Menschen. Unsere Kolumnistin Samira El Ouassil beobachtet eine zunehmende Polarisierung.

Von Samira El Ouassil |
Diverse Mikrofone von öffentlichen und privaten Fernsehsendern stehen zu Beginn einer Pressekonferenz nebeneinander.
Das Vertrauen in die Medien ist gestiegen. (picture alliance/Peter Kneffel/dpa)
Vielleicht sind das mal gute Nachrichten für 2020: Das Vertrauen in die Medien ist merklich gestiegen. Laut einer repräsentativen Umfrage mit etwa 1000 Befragten, die von Infratest Dimap im Auftrag des WDR durchgeführt wurde, halten mehr als zwei Drittel die Berichterstattung der Medien in Deutschland für glaubwürdig.
Das ist ein Anstieg von sechs Prozentpunkten seit 2019. Und besonders gut schnitten die öffentlich- rechtlichen Medien ab. 70 Prozent der Befragten vertrauen ihnen sehr, das ist der beste Wert seit 2015. Gerade seit der Berichterstattung über die Geflüchteten mussten Medienschaffende und Journalisten ganz schön viel Kritik einstecken, Staatsfunk-Schreier und Lügenpresse-Nörgler waren da noch die harmloseren Formen von fundamentalem Medienmisstrauen.
Riesige Reichweiten
Besonders während der Corona-Berichterstattung wurde das in die klassischen Medien gesetzte Vertrauen sichtbar. Der Erfolg des NDR-Podcast, astronomische Quoten für die Tagesthemen und die Nachfrage nach den Nachrichten des Deutschlandfunks, die laut taz im März um das tausendfache stiegen, verdeutlichen dies.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk konnte hier seine Kernkompetenzen, die Erfüllung eines Informations- und Aufklärungsauftrages, unter Beweis stellen.
Gegenkultur mit Zulauf
Gleichzeitig etablierte sich allerdings ganz besonders während der Coronapandemie auch eine Art nutzergenerierte Gegenkultur der Desinformationsvermittlung in Form von Telegramkanälen, WhatsApp-Kettenbriefen und geschlossenen Facebook-Gruppen.
In diesen wurde eben aus tiefem Misstrauen den Medien gegenüber ein eigenes Programm aus Verschwörungserzählungen, falschen Fakten und Fehlinformationen kuratiert und verbreitet. Xavier Naidoo hat einen Telegramkanal, Attila Hildmann beschwurbelt auch einen und neuerdings sogar Michael Wendler.
Mehr Vertrauen in die Medien und gleichzeitig mehr Misstrauen in den sozialen Netzwerken: Wie geht das zusammen?
Studie zum Vertrauen in Medien "Eine starke Polarisierung"
Die Deutschen haben ein hohes Vertrauen in die Medien. Es gebe aber vielfach das Gefühl, Mediendebatten hätten nichts mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun, sagte Nikolaus Jackob vom Mainzer Institut für Publizistik im DLF-Interview.
Politisierte Öffentlichkeit
Unsere Wirklichkeit ist derzeit hochpolitisiert, beziehungsweise war die Politik seltener deutlicher und intensiver in unserem Alltag zu spüren als jetzt. Gleichzeitig ist diese Politisierung des Alltags jedoch recht unideologisch: Anders als bei politisch aufgeladenen Themen, bei denen Nutzer größere Skepsis an den Tag legen, eben weil sie irgendeine ideologische Ausrichtung der Medien dahinter wähnen und dementsprechend misstrauischer sind, ist eine Pandemie eben nicht, wie von Verschwörungsinfluencern behauptet, interessengesteuert oder eine Systemfrage.
Anders war die Wahrnehmung mancher in Bezug auf die Berichterstattung über die Geflüchteten oder der nachrichtlichen Einordnung der Klimakrise beispielsweise, wo schneller Aktivismus oder eine parteipolitische Agenda unterstellt wurde.
Zunehmende Polarisierung
Dieser Argwohn besteht bei der Abbildung der Pandemie kaum, weshalb der Berichterstattung einfacher Glauben geschenkt wird. Es sei denn natürlich man hält auch eine globale Pandemie für ideologisiert oder interessengesteuert, geht also von einer Verschwörungserzählung aus.
Dann kippt das Vertrauen in die Medien ins genaue Gegenteil und der argwöhnische Nutzer flüchtet in die vermeintlich ungesteuerten, nicht vom sogenannten "Staatsfunk" oder anderen Machenschaften gelenkten, in die angeblich freien Kommunikations-Räume auf der Suche nach Antworten, die sein Weltbild bestätigen.
Je mehr es Rezipienten leicht fallen kann, den Medien Vertrauen entgegen zu bringen, desto anfälliger für eine Gegenbewegung des Misstrauens sind die, die Politik und Medien sowieso nicht glauben.
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.