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Zur Komposition der G7-Fotografie
Ein Foto geht um die Welt

Es ist ein Bild, das die Mächtigen dieser Welt zeigt: ein Foto, das während des G7-Gipfels entstanden ist. Darauf sei nicht erkennbar, wer Gewinner oder Verlierer sei, dennoch werde es sowohl von Trump-Fans als auch Trump-Gegnern geteilt, sagte der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich im Dlf. Und genau das mache es so interessant.

Wolfgang Ullrich im Gespräch mit Michael Köhler |
    Angela Merkel und Donald Trump während des G7-Gipfels. Merkel steht vor Trump, aufgestützt auf einen Tisch. Trump sitzt als Einziger und schaut an Merkel vorbei
    Angela Merkel und Donald Trump während des G7-Gipfels. Wer hat hier die Oberhand? (dpa / Jesco Denzel / Bundesregierung)
    Michael Köhler: Ein Foto geht um die Welt. Das deutsche Pressefoto vom G7-Gipfel in Kanada ziert heute nicht nur viele Tageszeitungen, sondern wird auch in sozialen Netzwerken kommentiert und mit Bildlegenden versehen. Es zeigt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in der Mitte, die sich stehend vorn übergebeugt auf einen Tisch mit weißem Tischtuch stützt. Links neben ihr der französische Präsident und die britische Premierministerin. Sie scheint auf den amerikanischen US-Präsidenten einzureden, der in der rechten Bild-Ecke auf einem Stuhl mit verschränkten Armen vor dem Bauch sitzt und nichts sagt. Er wirkt trotzig wie der Suppenkasper.
    Alles, aber kein gewöhnliches Abschlussbild vom "Familientreffen" der wichtigsten Industrienationen
    Wolfgang Ullrich ist Verfasser von Büchern wie "Mit dem Rücken zur Kunst. Die neuen Statussymbole der Macht." Oder "Macht zeigen. Kunst als Herrschaftsstrategie." Er lehrt an der Dresdner Kunsthochschule. Was ist das für ein Foto, ein "verstimmtes Weltbild"?
    Wolfgang Ullrich: Ich denke, das Bild macht eine Spannung bewusst, die in diesem Moment in diesem Raum ist, weil man nicht so klar sieht, wer ist jetzt hier in der stärkeren oder schwächeren Position. Erst mal würde man denken, alle reden auf Trump ein und der ist ganz an den Rand des Bildes gerückt, als sei er jetzt hier in der Defensive. Andererseits ist er derjenige, der als Einziger sitzt, was traditionell ja eher ein Symbol für den Mächtigen ist, die anderen müssen stehen, der Mächtige darf sitzen. Und seine verschränkten Arme machen eigentlich auch bewusst, dass er sich jetzt hier nicht in einer schwächeren Position fühlt.
    Das Bild wird genauso von Trump-Fans im Internet gepostet wie von Trump-Gegnern, und das macht es so interessant und passt vielleicht auch so gut in die Zeit, weil wir ja jetzt alle gerade auch nicht wissen, wie geht es da weiter. Diese Spannung, diese Unsicherheit, die in der Luft liegt, die wird durch dieses Bild sehr gut zum Ausdruck gebracht.
    Wir sind alle vorbelastet durch ikonografische Kenntnisse
    Köhler: In der Mitte des Bildes nicht nur die Kanzlerin, sondern buchstäblich ein Tischtuch, das noch nicht zerschnitten ist, aber es ist jedenfalls kein Abendmahlstisch, kein Versöhnungstisch für ein Friedens- oder Gedächtnismahl; eher leer, ja man könnte fast sogar sagen, eine Art Seziertisch wie auf den Gemälden von Rembrandt mit einem halben Glas Wasser. Also schon ein aufgeladenes Bild?
    Ullrich: Ja, da muss man ein bisschen aufpassen. So ein Bild ist ja jetzt anders als ein Werk der Kunstgeschichte, wo man tage- oder monatelang genau vorbereitet und austariert, was einzelne Symbole und Elemente anbelangt. Das ist jetzt immer auch ein bisschen ein Glücksfall, dass jetzt hier viel auf einem Bild zusammenkommt, beginnend mit der Komposition bis hin zu einzelnen Elementen, …
    Köhler: Personengruppen!
    Ullrich: …, dass man geneigt ist, das jetzt auch gleich noch mal mit mehr Bedeutung zu beladen, als ihm eigentlich zukommt. Und natürlich sind wir alle irgendwie belastet, im Guten wie im Schlechten, durch ikonografische Kenntnisse und ein bildhistorisches Wissen, und das projizieren wir jetzt da natürlich drauf. Aber ich würde jetzt nicht so weit gehen, diese Tischtuch-Metapher hier zu strapazieren.
    "Hier ist eben nicht so klar, wer ist hier der Starke"
    Köhler: Gehen Sie aber mit, dass es wenigstens doch das Bild einer Fraktionierung ist oder einer Überkreuzstellung, einer Teilung ja fast schon auch im Stil eines Historiengemäldes, die beiden Enden der freien Welt?
    Ullrich: Ja, da würde ich einerseits mal mitgehen. Andererseits vielleicht noch mal den Unterschied herausheben, dass jetzt fast alle Historiengemälde, die wir haben, eine politisch eindeutige Aussage haben, wo es darum geht, dass meistens natürlich derjenige, der ein solches Bild in Auftrag gegeben hat, hier im guten Licht dastehen möchte und entsprechend seine Gegner schlecht aussehen sollen.
    Hier ist eben nicht so klar, wer ist hier der Starke, wer ist hier der Gewinner, wer ist der Verlierer. Das unterscheidet dieses Bild vom intentional eindeutigen Historienbild, macht es aber vielleicht umso interessanter.
    Wir erwarten eine eindeutige Aussage
    Köhler: Insgesamt geht es aber immer bei solchen Historiengemälden darum zu zeigen, wer das Heft des Handelns, der Geschichte und der Politik in der Hand hat. Wenn ich an Jacques-Louis David denke und an seine Napoleon-Bilder, diese cäsarischen Bilder; da geht es schon immer um so was wie Machtdemonstration.
    Ullrich: Ja! Und das würde ich jetzt hier wie gesagt so nicht unbedingt sehen. Dazu ist das Bild zu ausgewogen und es ist eben nicht klar, wer ist hier jetzt der Mächtigere, wer ist der Schwächere. Aber umso länger guckt man drauf, weil man sucht ja eigentlich danach. Wenn wir so ein Bild anschauen, erwarten wir eigentlich eine eindeutige Aussage, und deshalb guckt man so lange hin, schaut auf viele Details, um irgendwo noch Indizien dafür zu bekommen, was ist nun wirklich hier passiert.
    Da kommt ja vielleicht auch noch dazu dieses schöne Phänomen, dass man zwar jetzt hier alles sehen kann, was da in diesem Raum in diesem Moment stattgefunden hat, aber nichts hören kann. Wir wissen letztlich überhaupt nicht, was wurde da jetzt gesprochen in dieser Situation.
    Angenommen, wir hätten jetzt nur die Gespräche überliefert, aber kein Bild davon, wären wir politisch viel informierter als jetzt durch das Bild, aber das Bild veranlasst uns, viel länger darüber nachzudenken und viel mehr zu spekulieren, und das macht es eigentlich so reizvoll und das macht das Medium Bild immer wieder so interessant oder hat es immer wieder so interessant gemacht, dass es vieles auch nicht zugänglich macht, was in einem besonderen Moment stattgefunden hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.