"Ich ertrage diese emotionale Belastung nicht. Ich habe auch keine Lust, mir eine eigene Persönlichkeit zu erschaffen, die dann kalt ist, die dann abweisend ist, die dann eben nicht mehr die Person ist, die ich selber bin."
Mit diesen Worten zog sich im Januar der damalige Landeschef der Berliner Piraten zurück, trat nicht zur Wiederwahl an. Gerhard Anger war ausgebrannt, frustriert und enttäuscht. Von der ehrenamtlichen Vorstandsarbeit, vom Umgangston der Piraten und von der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: 15 Piraten, die für ihre Arbeit bezahlt werden, plötzlich mehr Einfluss und Macht hatten, als die restlichen 4000 Berliner Piraten. Von Transparenz und gleicher Teilhabe aller Piraten am politischen Prozess keine Spur, sagte Anger noch vor drei Monaten im "Edelstoff", dem Podcast der Hauptstadtpiraten. Er habe seine Austrittserklärung nur nicht abgeschickt, weil er keinen Drucker habe.
"Und ich tatsächlich im Rückblick auf die Frage hin: Sollen wir die Piraten wählen? - mit einem 'Nö, lassen sie es lieber bleiben', antworten würde."
Drei Monate später tritt Anger wieder an. Er hat gute Chancen, auf dem Landesparteitag am Wochenende wieder Vorsitzender der Berliner Piraten zu werden. Beim Frühstück in einer Bäckerei am Potsdamer Platz erklärt Anger, was diesen Sinneswandel ausgelöst hat.
"Eine Idee. Eine Idee, wie man die Probleme, aus denen das alles resultiert, strukturiert lösen kann. Mein Arbeitstitel für das Konzept ist 'Gelassenheit durch Transparenz'."
Angers Idee materialisiert sich – wie könnte es bei den Piraten anders sein – in Software. Seine Analyse geht so: Das Problem der Berliner Piraten ist, viele arbeiten thematisch, aber die rechte Hand, weiß nicht, was die linke tut und kann es auch nur mittels journalistischer Recherche-Techniken schwer herausfinden. Projekte, Anträge, Konzepte, Diskussionen sind verstreut über Wikis, Pads, Liquid Feedback, Mumble-Telefonkonferenzen, Blogs und tweets. Diese Unübersichtlichkeit sei Ursache vieler Missverständnisse, Reibungsverluste und Streitereien. Beispiel: fahrscheinloser Nahverkehr. Wann wird die Fraktion endlich ein Konzept zur Umsetzung dieser zentralen Piratenforderung vorlegen, fragt ein Piratenantrag auf der Meinungsbildungsplattform Liquid Feedback. Seit Monaten hat die Partei dafür einen Beauftragten. Per twitter erfährt Anger, dass ein wichtiges Fraktionsmitglied von diesem Verkehrsxxperten der Piraten nichts weiß. Anger zitiert einen Piraten-Kollegen:
"Das ist genau die Tragik der Partei: Alles ist total transparent, aber keiner kriegt was mit."
In anderen Parteien würde der Vorstand jetzt das Heft in die Hand nehmen, Themen und Prioritäten setzen, Arbeitsgruppen koordinieren, Arbeit delegieren. Bei den Piraten verstehen sich Vorstände dagegen nur als Schmiermittel, Organisatoren. Die inhaltliche Arbeit sollen alle Piraten, soll die Basis selbst machen. Weil das bisher nicht klappt, kommt hier Angers "Idee" ins Spiel. Er will eine Software einführen, die wie ein Dach über Wikis, Chats, Mailinglisten und Liquid Feedback schwebt und die inhaltliche Arbeit an einer Stelle abbildet:
"Sodass es möglich ist, dass sich alle, also alle Piraten, alle, die sich einbringen wollen, alle, die was tun wollen sehr einfach einen Überblick verschaffen können: Wo besteht Bedarf? Was wird gerade getan? Wo kann ich mich andocken? Wer ist wofür zuständig?"
"Die Idee bringt es auf den Punkt, was viele und vor allem Neupiraten immer wieder sagen: Wir hätten gern die eine Quelle, wo alles drin steht."
Sagt Petra Wille beim wöchentlichen Treffen der Crew "Schrödingers Katze" in einer Kneipe in Berlin Pankow. Crews nennen die Piraten ihre Ortsverbände. Gerhard Anger hat einen Plan – das ist der Grund, weshalb viele Piraten sein überraschendes Comeback begrüßen – auch in der Landtagsfraktion, deren Arbeit ein Grund für Angers Abgang gewesen war. Auch die fünf Piraten der Crew "Schrödingers Katze", die in der Pankower Kneipe ihre Strategie für die nächste Sitzung des Kommunalparlaments beraten, begrüßen Angers Wiederkehr:
"Ich habe mich total gefreut. Ich hätte ihn gern bei der letzten LMV wiedergewählt. Er hat eine tolle Idee mitgebracht. Und ich hoffe sehr, dass er unserer neuer Vorsitzender wird."
Ob eine Software aber wirklich dazu führt, dass nicht sofort ein 'Shitstorm' (im weitesten Sinne: Aufstand, Protest - die Online-Redaktion) losbricht, wenn sich ein Pirat im Alleingang mit einem Thema aus der Deckung wagt? Gerhard Anger:
"Man wird nie alle Streitereien durch technische oder infrastrukturelle Maßnahmen verhindern können. Das hat dann aber auch nichts mehr spezifisch mit der Piratenpartei zu tun, sondern eher mit Gesellschaft, mit Organisationen, mit Menschen."
Doch ein Softwareprojekt, das politische Prozesse aktuell, übersichtlich und umfassend dokumentiert, ist technisch ambitioniert und an Problemen mit ambitionierten Softwareprojekten mangelt es der Piratenpartei nicht. Das mag sein, sagt der Piraten-Abgeordnete Martin Delius am Telefon, aber Gerhard Anger sei in der Lage, Software für große Communities umzusetzen - schließlich mache er das ja beruflich.
Mit diesen Worten zog sich im Januar der damalige Landeschef der Berliner Piraten zurück, trat nicht zur Wiederwahl an. Gerhard Anger war ausgebrannt, frustriert und enttäuscht. Von der ehrenamtlichen Vorstandsarbeit, vom Umgangston der Piraten und von der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus: 15 Piraten, die für ihre Arbeit bezahlt werden, plötzlich mehr Einfluss und Macht hatten, als die restlichen 4000 Berliner Piraten. Von Transparenz und gleicher Teilhabe aller Piraten am politischen Prozess keine Spur, sagte Anger noch vor drei Monaten im "Edelstoff", dem Podcast der Hauptstadtpiraten. Er habe seine Austrittserklärung nur nicht abgeschickt, weil er keinen Drucker habe.
"Und ich tatsächlich im Rückblick auf die Frage hin: Sollen wir die Piraten wählen? - mit einem 'Nö, lassen sie es lieber bleiben', antworten würde."
Drei Monate später tritt Anger wieder an. Er hat gute Chancen, auf dem Landesparteitag am Wochenende wieder Vorsitzender der Berliner Piraten zu werden. Beim Frühstück in einer Bäckerei am Potsdamer Platz erklärt Anger, was diesen Sinneswandel ausgelöst hat.
"Eine Idee. Eine Idee, wie man die Probleme, aus denen das alles resultiert, strukturiert lösen kann. Mein Arbeitstitel für das Konzept ist 'Gelassenheit durch Transparenz'."
Angers Idee materialisiert sich – wie könnte es bei den Piraten anders sein – in Software. Seine Analyse geht so: Das Problem der Berliner Piraten ist, viele arbeiten thematisch, aber die rechte Hand, weiß nicht, was die linke tut und kann es auch nur mittels journalistischer Recherche-Techniken schwer herausfinden. Projekte, Anträge, Konzepte, Diskussionen sind verstreut über Wikis, Pads, Liquid Feedback, Mumble-Telefonkonferenzen, Blogs und tweets. Diese Unübersichtlichkeit sei Ursache vieler Missverständnisse, Reibungsverluste und Streitereien. Beispiel: fahrscheinloser Nahverkehr. Wann wird die Fraktion endlich ein Konzept zur Umsetzung dieser zentralen Piratenforderung vorlegen, fragt ein Piratenantrag auf der Meinungsbildungsplattform Liquid Feedback. Seit Monaten hat die Partei dafür einen Beauftragten. Per twitter erfährt Anger, dass ein wichtiges Fraktionsmitglied von diesem Verkehrsxxperten der Piraten nichts weiß. Anger zitiert einen Piraten-Kollegen:
"Das ist genau die Tragik der Partei: Alles ist total transparent, aber keiner kriegt was mit."
In anderen Parteien würde der Vorstand jetzt das Heft in die Hand nehmen, Themen und Prioritäten setzen, Arbeitsgruppen koordinieren, Arbeit delegieren. Bei den Piraten verstehen sich Vorstände dagegen nur als Schmiermittel, Organisatoren. Die inhaltliche Arbeit sollen alle Piraten, soll die Basis selbst machen. Weil das bisher nicht klappt, kommt hier Angers "Idee" ins Spiel. Er will eine Software einführen, die wie ein Dach über Wikis, Chats, Mailinglisten und Liquid Feedback schwebt und die inhaltliche Arbeit an einer Stelle abbildet:
"Sodass es möglich ist, dass sich alle, also alle Piraten, alle, die sich einbringen wollen, alle, die was tun wollen sehr einfach einen Überblick verschaffen können: Wo besteht Bedarf? Was wird gerade getan? Wo kann ich mich andocken? Wer ist wofür zuständig?"
"Die Idee bringt es auf den Punkt, was viele und vor allem Neupiraten immer wieder sagen: Wir hätten gern die eine Quelle, wo alles drin steht."
Sagt Petra Wille beim wöchentlichen Treffen der Crew "Schrödingers Katze" in einer Kneipe in Berlin Pankow. Crews nennen die Piraten ihre Ortsverbände. Gerhard Anger hat einen Plan – das ist der Grund, weshalb viele Piraten sein überraschendes Comeback begrüßen – auch in der Landtagsfraktion, deren Arbeit ein Grund für Angers Abgang gewesen war. Auch die fünf Piraten der Crew "Schrödingers Katze", die in der Pankower Kneipe ihre Strategie für die nächste Sitzung des Kommunalparlaments beraten, begrüßen Angers Wiederkehr:
"Ich habe mich total gefreut. Ich hätte ihn gern bei der letzten LMV wiedergewählt. Er hat eine tolle Idee mitgebracht. Und ich hoffe sehr, dass er unserer neuer Vorsitzender wird."
Ob eine Software aber wirklich dazu führt, dass nicht sofort ein 'Shitstorm' (im weitesten Sinne: Aufstand, Protest - die Online-Redaktion) losbricht, wenn sich ein Pirat im Alleingang mit einem Thema aus der Deckung wagt? Gerhard Anger:
"Man wird nie alle Streitereien durch technische oder infrastrukturelle Maßnahmen verhindern können. Das hat dann aber auch nichts mehr spezifisch mit der Piratenpartei zu tun, sondern eher mit Gesellschaft, mit Organisationen, mit Menschen."
Doch ein Softwareprojekt, das politische Prozesse aktuell, übersichtlich und umfassend dokumentiert, ist technisch ambitioniert und an Problemen mit ambitionierten Softwareprojekten mangelt es der Piratenpartei nicht. Das mag sein, sagt der Piraten-Abgeordnete Martin Delius am Telefon, aber Gerhard Anger sei in der Lage, Software für große Communities umzusetzen - schließlich mache er das ja beruflich.