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Zurück in der Heimat

In "Winterreise" macht sich Elfriede Jelinek, die 2004 den Literaturnobelpreis erhalten hat, lustig über die Bankenkrise, geht auf mediale Hetzkampagnen ein und schreibt auch über Liebe, Sterben und Einsamkeit. Nun kommt das Stück in Wien auf die Bühne.

Von Michael Laages |
    Allemal schließt die Wiener "Winterreise" mit der ulkigsten Applausordnung, die vermutlich je am Ende einer Inszenierung eines Textes von Elfriede Jelinek gestanden. Denn für das ziemlich kokette Finale des Textes findet Regisseur Stefan Bachmann auf Olaf Altmanns spektakulärer Bühne, einer Art Skipiste, ein grandioses Bild - Jelinek, die Autorin, das dramatische Ich, bezichtigt sich ja in der abschließenden Gardinenpredigt selber der ewigen Nervensägerei mit "immer derselben alten Leier", die mittlerweile wirklich niemand nirgends mehr hören will; und nun grölt ihr das Echo hier von einer Meute schriller Pistensäue am oberen Rande der Bühne hinterdrein, die die ewige Mahnerin in die Bedeutungslosigkeit hinunter zetern wollen. Das Loch im Eis, in der die Dichterin im Text verschwindet, gähnt hier mitten in einer bühnenhaushohen und halsbrecherischen Schräge, auf der das Personal zuvor nur an starken Seilen hinab- und wieder hinauf rutschen konnte; und als im Loch das ewige Jelinek-Genörgel verstummt, feiert die Après-Ski-Gesellschaft oben "Pahdy" bis zum Abwinken; und bis zum tosenden Beifall.

    So ist Bachmanns Jelinek-Arbeit in Wien ein Erfolg, allerdings vor allem, weil Altmanns Bühne ein Knüller ist.

    Warum aber der Text quasi wie abonniert den Mülheimer Dramatikerpreis des vorigen Jahrgangs erhielt, bleibt weiter ein Rätsel. Denn zwar legt die Autorin wie gewohnt eine Menge Spuren aus - zu einer der spektakuläreren, aber fast wieder vergessenen Bankpleiten im Verlauf der Wirtschaftskrise etwa, zur allgegenwärtigen Gefühlsausbeutung im Internet, zur tragischen Geschichte des eigenen Vaters vor allem, den die Mutter und Tochter Elfriede angesichts fortschreitender Demenz in einer geschlossenen Anstalt entsorgten; vor allem aber immer wieder zur eigenen Rolle als Dichterin in Zeiten des forcierten Empfindens von Vergänglichkeit. Und Jelinek witzelt dankenswerterweise in diesem Text auch weit weniger als in anderen, weit stärker im politischen Hier und Jetzt verankerten Stücken. Aber das Maß an Beliebigkeit bleibt übergroß, kaum irgendetwas wirkt wirklich zwingend und notwendig; "Die alte Leier" ist tatsächlich nicht viel mehr als eben dies. "Was gesagt werden muss" ist Jelineks Sache in diesem Fall nicht - nur erreichen Selbstüberhebung und Selbstverklärung als weise, weisende Stimme der Literatur, der weiblichen zumal, auch in der "Winterreise" ähnlich schwer erträgliche, schwindelnde Höhen wie bei anderen Lautsprechern der literarischen Gegenwart.

    Und da liegen Bachmann und Altmann dann schon ganz richtig mit der großen, Ironie stiftenden Schräge, die den Wiener Abend prägt - das Leben ist halt eine Rutschbahn, um mit Frank Wedekinds "Marquis von Keith" zu sprechen; in diesem Fall in Form einer Piste für die Steil- und Schussfahrt im Abfahrtslauf. Aus dem Loch in der Mitte kämpft sich zunächst Barbara Petritsch hervor, in der Ganzkörper- und Fleischklops-Nacktverpackung einer stark überfetteten Nymphe, die über sich selbst philosophiert und das Vergehen der Zeit ...

    "Soll ich mich etwa an einen Tisch setzen und mit jemandem reden? Ich schwanke hin und her in mir selber ... Ich glaube, lieber nicht ... "

    ... dann kommt der Sänger Jan Plewka, bislang vor allem als Interpret der Gesänge von Rio Reiser vertraut, mit den "Winterreise"-Liedern aus dem Zyklus von Franz Schubert und Adolf Müller zu Wort und Ton ...

    Im Wechsel mit der Musik folgen dann verschiedene Zirkusnummern, immer am Seil und auf der Schräge. Und samt und sonders sind das natürlich "Hinkucker", schon durch die allgegenwärtige räumliche Verstörung: wenn etwa das Bank-Palaver von lauter Leuten zelebriert wird, die im 45-Grad-Winkel auf der Bühne stehen und sitzen und gehen, oder wenn eine Braut am Telefon auf Geplauder mit dem Liebsten hofft, bevor die E-Mail eintrifft. Dass sie nicht und nicht das Telefon in die Unterwelt von unseren Füßen rutscht: ein Theatertrick. Und zwar ein starker - denn der reale Absturz ist ja immer mit eingefangen in diesen Bildern.

    Aber über die angeschärfte Nummernrevue reicht halt auch Stefan Bachmanns Fantasie nicht hinaus im Umgang mit diesem Text. Immerhin nimmt er ihn nur in Maßen ernst, gut so; immerhin spielt er mit ihm, immerhin sucht er nicht poetische Größe oder ewige Weisheit in ihm. Nach weniger als zwei Stunden ist er auch schon vorbei, das Publikum tobt angesichts des quietschbunten Pisten-Spaßes zum Schluss - was aber bleibt, hat nicht die Dichterin gestiftet. Sondern das Theater selbst - es ist lebendiger, es kann, wenn es will, lebendiger sein als noch das ambitionierteste Wortgeklingel aus Jelineks Wörter-Werkstatt.