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Zurück in der Mitte der Gesellschaft

Noch vor zwei Generationen war es neuseeländischen Schülern bei Prügelstrafe verboten, Maori zu sprechen. Jetzt sind Sprache und Kultur der Ureinwohner in den Lehrplänen fest verankert. An über 70 Schulen erfolgt sogar der gesamte Unterricht auf Te Reo Maori.

Von Ingrid Kölle | 17.08.2013
    Neuseelands Ureinwohner, die Maori, wurden nach der Zuwanderung europäischer Siedler – wie viele andere indigene Völker - an den Rand der modernen Gesellschaft gedrängt. In den 1970er-Jahren gingen Aktivisten auf die Straße, kämpften um Landrechte und um den Erhalt ihrer Sprache und ihrer Kultur. Seitdem ist Te Reo Maori zu einer offiziellen Amtssprache geworden, Geschichtsbücher wurden umgeschrieben, Maori Kultur und Gebräuche sind Teil des Unterrichts an neuseeländischen Schulen geworden. An mehreren Schulen wurden spezielle Klassen für Maori eingerichtet, manche Stämme haben eigene Schulen gegründet. Aber es gibt inzwischen sogar über 70 sogenannnte Immersionsschulen. Das sind staatliche Schulen, an denen der gesamte Unterricht auf Maori erfolgt.
    An der Kura Kaupapa Maori o Nga Mokopuna, einer Maori-sprachigen Immersionsschule in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington, beginnt und endet jeder Schultag mit einem Karakia. Das ist eine Art Gebet, das sowohl christliche Elemente als auch Aspekte der Kultur und Mythen der Maori enthalten kann. Die Schüler tragen die an neuseeländischen Schulen üblichen Uniformen und unterschieden sich auch sonst nicht von Kindern an anderen staatlichen Schulen. Auch der Lehrplan ist der Gleiche. An einem Computer erklärt die Lehrerin, Awaroa Rapana, einer Gruppe von zehnjährigen die Mathehausaufgabe.

    Auf Sitzkissen spielen mehrere Gruppen von Schüler und Schülerinnen mit Spielkarten, addieren, subtrahieren, multiplizieren. Sie lachen viel und scheinen Spaß zu haben. Kartenspielen ist Teil des Matheunterrichts, erklärt Awaroa Rapana später auf Englisch im Lehrerzimmer. Im Klassenzimmer und auf dem Schulhof wird ausschließlich Maori gesprochen. Die meisten der insgesamt 82 Schüler haben vor ihrer Einschulung schon sogenannte Sprachnester, kohanga reo, besucht. Sie wurden in den frühen 1980er-Jahren eingerichtet, als erster Versuch, die Kultur und Sprache der Maori wieder zu beleben. Heute ist es an vielen Kura, den Schulen, an denen nur Maori gesprochen wird, möglich, nicht nur die Grundschulausbildung, sondern auch das Reifezeugnis zu machen. Geschaffen wurden sie, um die Chancengleichheit zu fördern, sagt die Schulleiterin Moarikura Johnson:
    "Unsere Maori Kinder haben im normalen westlichen Bildungssystem versagt. An den Kura, den Immersionsschulen, geht es nicht nur um die Wiederbelebung der Sprache, sondern auch unserer Gebräuche, Traditionen und Kultur. Es geht darum, sicherzustellen, dass sie der Grundstock sind für das Lernen und die Ausbildung unserer Kinder. Dass alles, was unsere Kinder in ihrem Leben betrifft, aus der Sichtweise der Maori betrachtet wird."

    Zu den Grundprinzipien dieser Schulen gehört ein ganzheitlicher Ansatz. Gefördert wird nicht nur der akademische Erfolg der Schüler. Ihre physischen, emotionalen und spirituellen Bedürfnisse werden ebenso berücksichtigt wie ihre Beziehungen untereinander, zu ihren Familien und ihren Stämmen. Der Einsatz einer ganzen Community ist gefordert, damit Kinder ihr volles Potenzial entwickeln können. Davon ist Moerikura Johnson überzeugt. An den Maori-Schulen sei dies gewährleistet.

    "Die Kinder sind in einen whanau eingebunden, einen Familienverband, in dem sie gefördert und unterstützt werden und ihnen geholfen wird. Wir glauben, dass alle unsere Kinder erfolgreich sind. Wir glauben nicht, dass unsere Kinder versagen können. Dieses Konzept ist uns fremd. Wir betreiben die Schule gemeinsam, wir unterrichten die Kinder gemeinsam. Jeder hat etwas beizutragen. Das ist unsere Denkweise hier und wir schaffen eine entsprechende Umgebung für unsere Kinder."

    Voraussetzung für die Aufnahme an der Schule ist es, dass sich Eltern, Großeltern oder andere Verwandte dazu verpflichten, tatkräftig mitzuhelfen, bei den Hausaufgaben ebenso wie bei Schulveranstaltungen, Spendenaktionen und sogar im Unterricht.

    "Leute kommen zusammen und teilen ihr Wissen mit anderen. Wir haben Eltern mit besonderen Fähigkeiten und es kann sein, dass wir sie einen Blockkurs unterrichten lassen. Wir haben zum Beispiel Eltern, die Filmemacher sind oder Computerfachleute oder Wissenschaftler. Es gibt auch eine Expertin für Maori Spiele unter ihnen. Wir nutzen dieses Wissen und die Ressourcen innerhalb der Community, der Familie, der Schule. Wir richten unseren Stundenplan so ein, dass Leute kommen und ihr Wissen den Kindern vermitteln können. Jeder nimmt aktiv am Schulleben teil."

    Den Großeltern dieser Kinder war es noch unter Androhung von Prügelstrafen verboten, in der Schule Maori zu sprechen. In den Schulbüchern war von den dreckigen Wilden die Rede, die an falsche Götter glaubten. Doch der Versuch, die indigene Bevölkerung zu unterdrücken und zu assimilieren ist fehlgeschlagen. Heute lernen Maori-Kinder vom Pioniergeist ihrer Vorfahren, die ausgezeichnete Seefahrer waren und lange vor Kolumbus die Meere überquert haben. Sie lernen es, stolz auf ihre Herkunft zu sein. Das gibt ihnen das nötige Selbstvertrauen für den Erfolg in beiden Welten, meint Moarikura Johnson.

    "Wenn man sich die Statistiken ansieht, dann schneiden unsere Kinder in den Immersionsschulen oder den anderen für sie geschaffenen Einrichtungen besser ab. Das kommt daher, weil sie ihre Kultur als Basis haben. Aber sie lernen auch, was in der heutigen Welt vor sich geht. Es geht darum, das richtige Gleichgewicht zu finden, sicher zu stellen, dass sie neben ihrer Maori Kultur auch die heutige Welt begreifen und wie sie sie in Beziehung setzen können. Das hilft ihnen, in beiden Welten sehr stark zu sein."