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Zurück ins große Jahrzehnt der Popmusik

Wenn es einen Soundtrack zum vergangenen Jahrzehnt gibt, dann hat ihn die Londoner Band Hot Chip geschrieben: In ihren Tracks pumpten die elektronischen Beats aus den Partymeilen ganz tief im Bauch der melancholischen Melodien, die wir von unseren liebsten Folksongs kannten. Das war eine aufregende neue Musik, die in Club und Wohnzimmer gleichermaßen funktionierte. Mit ihrem aktuellen Album "In Our Heads" betreten die Briten nun die schillernden Tanzarenen der 80er-Jahre und reißen von dort die halbe Popgeschichte auf, mit dem Know-how von gereiften Produzenten und dem Stilbewusstsein erklärter Connaisseure. Frank Sawatzki hat Sänger und Songwriter Alexis Turner in London getroffen und gefragt, welche Musik in seinem Kopf spielt.

Von Frank Sawatzki |
    "Wenn ich Musik höre, die mich zum Tanzen bringen soll, muss das gar kein Dancefloor-Stück oder aktuelle Club-Musik sein, das geht auch mit einer alten Ray-Charles-Platte."

    Was Tanzmusik ist und was nicht - mit Hot Chip waren die alten Grenzlinien überflüssig geworden. Was gut und zeitgemäß oder eben gerade nicht ist, durfte von Album zu Album neu definiert werden. Mit dem Einzug von Disco-Elementen und großzügigen Synthesizer-Flächen klingt die Band jetzt wie die besseren Pet Shop Boys, angeführt von Alexis Taylors windelweichem Falsett.
    "Wir nehmen die Pet Shop Boys schon wahr, aber ich besitze keine Pet-Shop-Boys-Platten, ich bin kein Fan, wie ich etwa Fan von den Beatles, von Prince, Chic oder Funkadelic bin. Ich kann verstehen, wenn Leute schon mal an die Pet Shop Boys denken, aber es steckt bei uns keine Absicht dahinter."

    Inspiriert von den langen Extended-12"-Mixes, die in den 80er-Jahren populär waren und in denen eine dreiminütige Single mal eben auf sieben Minuten Spieldauer aufgeblasen wurde, dreht die Band epische Runden über schwärmerischen Grundthemen, zitiert R'n'B, Funk und scheut auch vor einer vollkommen ironiefreien Ballade nicht zurück. Ihre Liebeserklärungen an Disco und House haben Hot Chip allesamt mit den feinsten Sounddetails ausgestattet. Bei der aktuellen Single "Flutes" sind es zwei kurze Samples, aus denen ein größeres Opus erwächst: der Gesang buddhistischer Mönche und Flötentöne. Alexis Turner:

    "Wenn du etwas über die Entstehung des Songs wissen möchtest: 'Flutes' ist ein Instrumental, das Joe mir übers Internet schickte, daraufhin habe ich die Lyrics geschrieben, schon beim ersten Hören. Dann nahm ich ein Demo auf und schickte es ihm zurück. Und mit meinen Wörtern reagierte ich auf die Musik. Dass ich Freude daran hatte, die Musik zu hören. Etwas aus dieser Musik zu schaffen. Ein sehr selbstreferenzieller Track."

    Hot Chip machten auch Kariere als Nerd-Band - Jungs mit Durchschnittsgesichtern, die immer so aussahen, als hätten sie früher alleine auf dem Schulhof gestanden und viel zu große Brillen getragen. Der dicke, bärtige Joe Goddard, der jetzt die smarten Disco-Beats macht. Und der kleine, schmächtige Alexis Taylor, der mit seinem Falsett heute die Hot-Chip-Songs in den Disco-Himmel schickt. Zwei Typen, die das Erwachsenwerden in einer Band geprobt haben. Sie kennen sich seit über 20 Jahren und frickeln schon seit Schultagen an gemeinsamen Sounds. Heute müssen sie den Bandbetrieb als Familienväter meistern, sagt Turner:

    "Ich würde nicht sagen, dass es leicht ist, als Familienvater in einer Band zu sein. Wir haben immer versucht, so viel wie möglich gemeinsam mit unseren Familien zu machen. Ich kenne Musiker aus Bands, die Privat- und Bandleben strikt getrennt haben. Wenn du auf Tour bist, hat die Familie das zu respektieren. Das ist nicht das Richtige für mich und meine Familie. Der Rest der Band und die Crew sind glücklicherweise nicht genervt von unserer Tochter im Tourbus."

    Es ist ein paar Jahre her, da haben Hot Chip sich über ihr Image als Sound-Ästheten und sanfte Erneuerer noch lustig gemacht. "Ich werde euch die Beine brechen und ins Gesicht treten", sang Taylor im Titelsong des 2006er Albums "The Warning", er klang dabei allerdings eher wie ein Liedermacher aus der Erwachsenenbildung als wie der nächste Pop-Rambo. Wenn Hot Chip eine Kunst beherrschen, dann ist es die, sich über die in sie gelegten Erwartungen locker hinwegzusetzen. Stets angetrieben von der gepflegten Langeweile, die einem aktuelle Popmusik auch hinsichtlich der Aufnahmetechnik bescheren kann - im Vergleich zu den Klassikern aus den 60ern. Alexis Turner:

    "Die Songs der Supremes und die Musik aus der 60er-Jahren mussten auf Transistor-Radios funktionieren, die Lautsprecher unterschieden sich nicht so sehr von denen der Mobile Phones. Die Produktionen von Phil Spector und Jack Nitzsche klangen sehr blechern, aber sie klingen immer noch großartig. Was ich damit sagen will: Die Leute machen nicht automatisch schlechte Musik, weil sie für die gerade populärste, zweckmäßigste Abspielform produzieren, aber einiges davon macht heute einfach keine Freude."