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Zurück zum Sirius?

Irgendwie gehörte zu dem exzentrischen Komponisten Karlheinz Stockhausen auch immer so ein bisschen eine Aura zwischen Joseph Beuys der elektronischen Musik, esoterischem Klangpriester und Himmelswandler. Ein großer Neuerer war er auf jeden Fall. Seine Kompositionen waren Grenzerweiterungen: Mystik aus Transistoren für die Einen, moderne Musik für die anderen. Im Alter von 79 Jahren ist der Komponist und Lehrer Karl Heinz Stockhausen gestorben.

Von Frieder Reininghaus | 08.12.2007
    Wenigstens zweimal in seiner langen und erfolgreichen Künstlerlaufbahn zog Karlheinz Stockhausen ein über die Feuilleton-Leserschaft hinausreichendes Interesse auf sich: 1970, als er auf der Weltausstellung in Osaka den Innovationswillen der Bundesrepublik Deutschland mit einer breit angelegten Klanginstallation unterstreichen durfte. Und 2001: Da bezeichnete er, der sich mit fortschreitendem Alter zunehmend weigerte, zwischen Kunst und Leben begrifflich zu unterscheiden, den Einsturz der Twin-Towers in New York als "das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat". Das unglücklich formulierte Statement zielte auf die Macht der Bilder, die sich mit allen erdenklichen Mitteln ins Gedächtnis der Menschheit eingebrannt hatten. Freilich war Stockhausen durchdrungen von der Vorstellung, Klang-, Text- und Bildmaterial könnten unabhängig von vorgängiger oder nachträglich sich einstellender Semantik - gleichsam "rein" - der künstlerischen Arbeit dienen und wahrgenommen werden.

    Diese Auffassung hat mit den Mythen bei der Neukonstitution der Neuen Musik zu tun, die von der vorangegangenen Kontaminierung des Komponierens durch Nationalsozialismus, Faschismus und Stalinismus nichts wissen wollte und vom gedanklichen Konstrukt einer "Stunde 0" nach 1945 ausging. Das war so naiv wie ausgebufft - wie Stockhausens Musikdenken insgesamt.

    Überhaupt mischten sich bei diesem Künstler, der nach dem Krieg erst einmal auch Karnevalsmusik lieferte, handwerkliche Gediegenheit mit weit hinausschweifenden Utopien. Unübersehbar bleibt dabei, dass das Ringen um das allemal noch "Unerhörte" seit den frühen 50er Jahren im Mittelpunkt seiner Anstrengungen stand; flankiert zur Linken von Freiheitsdurst, der sich auf längere Zeit nicht mit einer Tätigkeit in Diensten des Westdeutschen Rundfunks, auch nicht mit kontinuierlicher Lehrtätigkeit an der Kölner Musikhochschule vertrug - und zur Rechten gesäumt von Vertrauen in die stabilisierende Wirkung des geistig-geistlichen Bezirks, aus dem er schöpfte.

    Karlheinz Stockhausen, 1928 in Mödrath bei Köln geboren, dort auch zum Musiklehrer ausgebildet, trug maßgeblich dazu bei, dass die Entwicklung der Neuen Musik in den 50er Jahren so turbulent und mitunter spektakulär verlief. Die Musik-Avantgardisten befreiten sich von der puristischen Strenge der Webern-Nachfolge und das serielle Prinzip dehnte sich aus auf "Gruppen" mit verschieden hohen "Anzahlen" von Ereignissen - alles Termini der Stockhausenschen Theorie. Stockhausen kommentierte seine Werke in Essays, die für die musikalische Entwicklung nicht weniger wichtig waren als die Stücke ("... wie die Zeit vergeht"; "Musik im Raum").

    Jedenfalls entstanden um 1955 groß dimensionierte Meisterwerke der neuen Richtung wie der apokalyptisch weltraumhafte "Gesang der Jünglinge", eine elektronische Musik mit Stimme auf einen apokryphen Bibeltext (in dem sich wohl auch Abglanz höherer Gnade spiegeln sollte), sowie die "Gruppen" für drei Orchester.

    In den 60er Jahren war Stockhausen zu einer der hervorstechenden Persönlichkeiten in der internationalen Szene der Neuen Musik avanciert, dabei durch und durch deutsch geblieben. Er stellte seinen Musikinstinkt und einen eitlen Solipsismus zur Schau, entwickelte in Anlehnung an Richard Wagner seine Privatreligion (er ernannte sich in deren Namen zum Sonderbotschafter vom Stern Sirius) - und machte sich an ein Hauptwerk, das alle bislang da gewesene musikalische Dimension sprengen sollte. Seit 1977 arbeitete Stockhausen an dem Riesen-Zyklus "Licht", einem neuen Typus musikalisierten Theaters oder theatralisierter Musik, das eine ganze Woche umspannen soll, die sieben Tage. Die stammelnden, weithin infantilen Textbrocken Stockhausens erscheinen als bloßes Klangmaterial (und transportieren doch Ideologie), die Regieanweisungen verweisen oft platt auf Fantasy-Sphären: "Kosmisches Puppentheater".

    Wenn er wiedergeboren wird - und dass es so kommen müsse, daran schien Karlheinz Stockhausen vernünftiger Zweifel nicht statthaft - wird er die Reinkarnation vielleicht als Ohrwurm erfahren. Doch erst einmal ist er nun in vielleicht bessere Welten enthoben - abgehoben in Richtung Sirius. In Richtung des Sterns, von dem zu stammen er so hartnäckig behauptet hat.