Jasper Barenberg: Zypern kann den Euro vorerst behalten, zahlt allerdings einen hohen Preis dafür. Für die zehn Milliarden Euro Hilfskredite muss das Land im Gegenzug seinen Bankensektor zusammenstreichen, die zweitgrößte Bank abwickeln. Zur Kasse gebeten werden dafür vermögende Kunden der beiden größten Bankhäuser. Guthaben bis 100.000 Euro werden dafür nicht angetastet. – Mein Kollege Jürgen Liminski hat den früheren CDU-Europapolitiker Karl Lamers gefragt, ob diese Lösung vor allem eine der wirtschaftlichen Vernunft ist.
Karl Lamers: Ich glaube, insgesamt schlägt das Pendel in der Tat zurück zur wirtschaftlichen Vernunft. Darum geht es ja letzten Endes in der gesamten Krise. Und nach dem Zypern-Plan werden sich alle dreimal überlegen, ob ein solches Geschäftsmodell, wie es in Zypern üblich war, trägt: Das heißt, Zinsen und niedrige Steuern auf Kosten anderer Länder, ob das noch geht. Das heißt, es wird sich jeder das dreimal überlegen, es wird nicht mehr gehen. Insofern kann der Zypern-Plan ein Modell sein und gute Wirkungen haben.
Jürgen Liminski: Der Inselstaat ist nicht systemrelevant, heißt es immer. Hätte man Zypern nicht auch aus dem Euro-Raum austreten lassen können und endet hier nicht die Vorbildfunktion?
Lamers: Also ganz sicher ist das nicht, ob man Zypern hätte austreten lassen können. Man darf nicht vergessen, dass die Verbindung etwa mit Griechenland sehr intensiv ist. Es kommt hinzu, dass eine Gemeinschaft wie die Währungsunion ja auch gewissermaßen aus Gründen der Selbstachtung keinen fallen lassen darf. Das hätte gewiss auch wieder Fragen aufgeworfen, und deswegen auch die Frage der Systemrelevanz, das heißt die Frage, ob es nicht auf andere Länder übergegriffen hätte, nicht zuletzt auf Italien. Es ist meines Erachtens nach jedenfalls richtiger gewesen, dieses Risiko nicht einzugehen und gleichzeitig, um es mit Ihren Worten zu sagen, ein Exempel zu statuieren.
Liminski: Herr Lamers, Sie haben vor Jahren, lange vor der Einführung des Euro, zusammen mit dem jetzigen Finanzminister Schäuble große Entwicklungspläne für die EU entworfen. Darin war die Rede von konzentrischen Kreisen oder unterschiedlichen Geschwindigkeiten, je nach Eigenart und Fähigkeit der Länder. Der Euro hat diese Länder alle in den gleichen Zug gesteckt. Sind Ihre Pläne nun Makulatur, macht der Euro natürliche Unterschiede zunichte und wird so zum Keil der EU?
Lamers: Wir haben ja vor allen Dingen vom Kern gesprochen, und die Währungsunion ist der Kern. Und ich füge hinzu, was wir auch damals gesagt haben: Der Kern des Kerns sind Frankreich und Deutschland, weshalb mir übrigens grundsätzlich Frankreich im Augenblick jedenfalls die größeren Sorgen macht als andere Länder. Die Länder sind unterschiedlich in der Währungsunion, das war ja auch allen bewusst. Und die Absicht war, die Intention war, durch den Stabilitätspakt alle auf den gleichen tugendhaften Weg zu bringen. Das ist nicht gelungen! Der Stabilitätspakt hat sich als unzulänglich erwiesen. Übrigens: Wir sind daran nicht unschuldig. Ich meine Deutschland. Wir haben nicht nur auch massiv in den 90er-Jahren dagegen verstoßen, sondern haben ihn sogar noch gemeinsam mit Frankreich formell aufgeweicht, so dass unsere Autorität schwer gelitten hatte. Jetzt haben alle begriffen, dass aber der Weg so nicht weitergeht, dass wir eine gemeinsame Fiskalpolitik brauchen und dass wir auch eine gemeinsame Bankenaufsicht brauchen. Wir brauchen eine gemeinsame Geldpolitik, die haben wir, und nebenher bemerkt: Das ist ein Segen und ohne die EZB und ohne ihren Präsidenten wäre der Zusammenbruch der Währungsunion sehr, sehr wahrscheinlich schon längst geschehen. Also wir brauchen jetzt eine gemeinsame Fiskalpolitik, was übrigens einschließt auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, ja eine gemeinsame Steuer- und eine gemeinsame Sozialpolitik. Das geht sehr, sehr weit und deswegen sind auch die Widerstände so groß. Es geht an den Kern dessen, was man die nationale Souveränität nennt, die aber – das hatten wir auch 1994 geschrieben – eine leere Hülse geworden ist, angesichts der Tatsache, dass diese Souveränität nicht mehr mit Gestaltungsmacht übersetzt werden kann, mit unabhängiger Gestaltungsmacht, weil sie beruht auf der Annahme fester Grenzen. Die haben wir aber längst nicht mehr in Europa, viel, viel weniger als auch in der übrigen Welt, so dass sie auf einem schwankenden Fundament beruht.
Liminski: Herr Lamers, im Zuge der Krise tauchen nun alte Klischees auf, Stichwort Souveränität, und werden nationalistische Tendenzen stärker. Ist es nicht zu früh für einen Länderfinanzausgleich oder eine Fiskalunion auf europäischem Niveau? Das funktioniert ja auch nur begrenzt in Deutschland.
Lamers: Letzten Endes werden wir das erst beurteilen können, wenn die derzeitige Krise überwunden ist - ich glaube daran, dass wir auf dem Weg sind -, oder aber, dass sie in einer Katastrophe geendet hat. Ich glaube allerdings, dass wir dann wieder von Neuem anfangen müssten, von einem sehr, sehr viel schlechteren Standort aus. Und objektiv ist es keineswegs zu früh. Angesichts dieser ungeheuer starken Verflechtung dieser transnationalen Wirklichkeit ist ja Europa nicht etwas, was man tun oder lassen kann, sondern was man tun muss, und ich bin wirklich geneigt, mit Hegel zu sagen, Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, oder, um es einfacher zu sagen, was man tun muss, muss man auch wollen. Daran mangelt es in der Tat. Es mangelt an der Einsicht, auch an der Einsicht dieser wechselseitigen Abhängigkeit dieser transnationalen Wirklichkeit und an der Einsicht in diese Notwendigkeit, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Und ich will auch noch ein Wort zu Deutschland sagen: Also wenn in allen Ländern die politischen Kräfte so einig wären wie in Deutschland, dann wären wir ein Stück weiter. Außer den Linken haben wir ja doch ein großes Maß an Übereinstimmung, und das ist ein Element der Stärke unseres Landes und der damit verbundenen Verantwortung unseres Landes.
Barenberg: Der CDU-Politiker Karl Lamers im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Karl Lamers: Ich glaube, insgesamt schlägt das Pendel in der Tat zurück zur wirtschaftlichen Vernunft. Darum geht es ja letzten Endes in der gesamten Krise. Und nach dem Zypern-Plan werden sich alle dreimal überlegen, ob ein solches Geschäftsmodell, wie es in Zypern üblich war, trägt: Das heißt, Zinsen und niedrige Steuern auf Kosten anderer Länder, ob das noch geht. Das heißt, es wird sich jeder das dreimal überlegen, es wird nicht mehr gehen. Insofern kann der Zypern-Plan ein Modell sein und gute Wirkungen haben.
Jürgen Liminski: Der Inselstaat ist nicht systemrelevant, heißt es immer. Hätte man Zypern nicht auch aus dem Euro-Raum austreten lassen können und endet hier nicht die Vorbildfunktion?
Lamers: Also ganz sicher ist das nicht, ob man Zypern hätte austreten lassen können. Man darf nicht vergessen, dass die Verbindung etwa mit Griechenland sehr intensiv ist. Es kommt hinzu, dass eine Gemeinschaft wie die Währungsunion ja auch gewissermaßen aus Gründen der Selbstachtung keinen fallen lassen darf. Das hätte gewiss auch wieder Fragen aufgeworfen, und deswegen auch die Frage der Systemrelevanz, das heißt die Frage, ob es nicht auf andere Länder übergegriffen hätte, nicht zuletzt auf Italien. Es ist meines Erachtens nach jedenfalls richtiger gewesen, dieses Risiko nicht einzugehen und gleichzeitig, um es mit Ihren Worten zu sagen, ein Exempel zu statuieren.
Liminski: Herr Lamers, Sie haben vor Jahren, lange vor der Einführung des Euro, zusammen mit dem jetzigen Finanzminister Schäuble große Entwicklungspläne für die EU entworfen. Darin war die Rede von konzentrischen Kreisen oder unterschiedlichen Geschwindigkeiten, je nach Eigenart und Fähigkeit der Länder. Der Euro hat diese Länder alle in den gleichen Zug gesteckt. Sind Ihre Pläne nun Makulatur, macht der Euro natürliche Unterschiede zunichte und wird so zum Keil der EU?
Lamers: Wir haben ja vor allen Dingen vom Kern gesprochen, und die Währungsunion ist der Kern. Und ich füge hinzu, was wir auch damals gesagt haben: Der Kern des Kerns sind Frankreich und Deutschland, weshalb mir übrigens grundsätzlich Frankreich im Augenblick jedenfalls die größeren Sorgen macht als andere Länder. Die Länder sind unterschiedlich in der Währungsunion, das war ja auch allen bewusst. Und die Absicht war, die Intention war, durch den Stabilitätspakt alle auf den gleichen tugendhaften Weg zu bringen. Das ist nicht gelungen! Der Stabilitätspakt hat sich als unzulänglich erwiesen. Übrigens: Wir sind daran nicht unschuldig. Ich meine Deutschland. Wir haben nicht nur auch massiv in den 90er-Jahren dagegen verstoßen, sondern haben ihn sogar noch gemeinsam mit Frankreich formell aufgeweicht, so dass unsere Autorität schwer gelitten hatte. Jetzt haben alle begriffen, dass aber der Weg so nicht weitergeht, dass wir eine gemeinsame Fiskalpolitik brauchen und dass wir auch eine gemeinsame Bankenaufsicht brauchen. Wir brauchen eine gemeinsame Geldpolitik, die haben wir, und nebenher bemerkt: Das ist ein Segen und ohne die EZB und ohne ihren Präsidenten wäre der Zusammenbruch der Währungsunion sehr, sehr wahrscheinlich schon längst geschehen. Also wir brauchen jetzt eine gemeinsame Fiskalpolitik, was übrigens einschließt auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, ja eine gemeinsame Steuer- und eine gemeinsame Sozialpolitik. Das geht sehr, sehr weit und deswegen sind auch die Widerstände so groß. Es geht an den Kern dessen, was man die nationale Souveränität nennt, die aber – das hatten wir auch 1994 geschrieben – eine leere Hülse geworden ist, angesichts der Tatsache, dass diese Souveränität nicht mehr mit Gestaltungsmacht übersetzt werden kann, mit unabhängiger Gestaltungsmacht, weil sie beruht auf der Annahme fester Grenzen. Die haben wir aber längst nicht mehr in Europa, viel, viel weniger als auch in der übrigen Welt, so dass sie auf einem schwankenden Fundament beruht.
Liminski: Herr Lamers, im Zuge der Krise tauchen nun alte Klischees auf, Stichwort Souveränität, und werden nationalistische Tendenzen stärker. Ist es nicht zu früh für einen Länderfinanzausgleich oder eine Fiskalunion auf europäischem Niveau? Das funktioniert ja auch nur begrenzt in Deutschland.
Lamers: Letzten Endes werden wir das erst beurteilen können, wenn die derzeitige Krise überwunden ist - ich glaube daran, dass wir auf dem Weg sind -, oder aber, dass sie in einer Katastrophe geendet hat. Ich glaube allerdings, dass wir dann wieder von Neuem anfangen müssten, von einem sehr, sehr viel schlechteren Standort aus. Und objektiv ist es keineswegs zu früh. Angesichts dieser ungeheuer starken Verflechtung dieser transnationalen Wirklichkeit ist ja Europa nicht etwas, was man tun oder lassen kann, sondern was man tun muss, und ich bin wirklich geneigt, mit Hegel zu sagen, Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit, oder, um es einfacher zu sagen, was man tun muss, muss man auch wollen. Daran mangelt es in der Tat. Es mangelt an der Einsicht, auch an der Einsicht dieser wechselseitigen Abhängigkeit dieser transnationalen Wirklichkeit und an der Einsicht in diese Notwendigkeit, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Und ich will auch noch ein Wort zu Deutschland sagen: Also wenn in allen Ländern die politischen Kräfte so einig wären wie in Deutschland, dann wären wir ein Stück weiter. Außer den Linken haben wir ja doch ein großes Maß an Übereinstimmung, und das ist ein Element der Stärke unseres Landes und der damit verbundenen Verantwortung unseres Landes.
Barenberg: Der CDU-Politiker Karl Lamers im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.