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Zurückrudern in Köln

Die Aufregung in Köln ebbt nicht ab. Am Freitag verkündete Trainer Holger Stanislawski noch, Gewaltandrohungen der Fans seien der Grund für die Vertragsauflösung mit Kevin Pezzoni gewesen. Jetzt redet der Verein von einer Vielzahl von Gründen.

Von Philipp May | 05.09.2012
    Auch die Nationalmannschaft kann dem Thema Kevin Pezzoni nicht ausweichen. Inakzeptabel, man müsse sich ernsthaft Gedanken machen, so Bundestrainer Joachim Löw im Trainingslager vor der WM-Qualifikation. Und Stürmer André Schürrle pflichtet ihm auf der Pressekonferenz bei:

    "Wenn man von den Fans soweit getrieben wird, dass man solche Notfallmaßnahmen ergreifen muss, das ist auf keinen Fall in dem Sinn der Sache von dem Sport und das ist auf jeden Fall nicht schön."

    Schürrle ist in Köln kein Unbekannter. Seit einem Jahr spielt der 21-jährige beim Lokalrivalen von der anderen Rheinseite Bayer Leverkusen. Aus Angst vor Übergriffen verlegte er seinen Wohnort kürzlich nach Düsseldorf. Zuvor war seinem Teamkollegen Michal Kadlec in einer Kölner Disco ein blaues Auge geschlagen worden. Nicht der einzige Zwischenfall im letzten Jahr mit der Beteiligung von Kölner Fans.

    Und jetzt der Fall Pezzoni. Von einer Hetzjagd ist die Rede: Pfiffe und Buhrufe im Stadion, im Internet dann einen Aufruf, man solle "Pezzoni und Co aufmischen". Der Höhepunkt Dienstag vor einer Woche: Nach Darstellung des Spielers lauern ihm Hooligans vor der Haustür auf und drohen ihm. Darauf bittet der 23-jährige um Vertragsauslösung. Der Verein willigt ein. Am Freitag, nach dem verlorenen Heimspiel gegen Cottbus macht Trainer Holger Stanislawski die Hintergründe der Trennung öffentlich.

    "Unvorstellbar ist für mich ist, wenn jemand in der Ausübung dieses Jobs - und keiner macht absichtlich Fehler - damit rechnen muss, dass er irgendwo verprügelt wird oder so was, dann ist das ein Zustand, das ist traurig genug."

    Die öffentliche Empörung ist enorm und auch der Verein sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert. Frank Richter, NRW-Landeschef der Gewerkschaft der Polizei.

    "Das ist ein komplett falsches Signal, was der Verein 1. FC Köln hier gesetzt hat. Wer also wirklich einem Druck von Gewalttätern nachgibt, und deshalb ist es ja im Grunde genommen keine freiwillige Auflösung des Vertrages, überschreitet hier eine rote Linie. Ich hätte mir vor einer Zeit überhaupt nicht vorstellen können, das so was im deutschen Fußball wirklich passiert."

    Dass der Club vor einigen gewaltbereiten Fans gekuscht hätte, davon wollen die Verantwortlichen jetzt nichts mehr wissen. Überhaupt sei die Trennung von Pezzoni nicht wegen eines Vorfalls sondern aus einer Reihe von Gründen erfolgt, sagt Sportdirektor Ralf Schäfer.

    "Weil einfach in den letzten zwei, drei Jahren dazu immer wieder Themen da waren. Er oftmals auch in öffentlicher Kritik war auch in Kritik der Medien. Es hat davor auch schon Vorfälle gegeben und von daher was er nicht so, dass wir nur aufgrund dieses Dienstages reagiert haben, oder auch Kevin auf uns zugekommen ist, sondern, dass wir einfach gesagt haben, dass aufgrund der gesamten Situation, die in Köln in den letzten Jahren eben auch war, dass er einfach Probleme damit hat und dann haben wir zusammen eine Lösung erarbeitet."

    Der stolze FC, erster Meister der Fußballbundesliga, ist sportlich mittlerweile zweitklassig. Nun aber, wegen einiger überfanatischen Gewalttäter, gerät der gesamte Fußballstandort Köln in Verruf, fürchtet Schäfer.

    "Diese Sorge kann schon haben, weil momentan natürlich der 1. FC Köln sehr stark darauf reduziert wird, dass immer wieder Fanprobleme da sind. Dagegen gibt’s nur eine Möglichkeit, dass unsere Fans eben auch zeigen - und wir haben in der Mehrzahl fantastische Fans, vielleicht die besten Fans von ganz Deutschland - dass da eben auch ein Selbstreinigungsprozess stattfindet."

    Doch mit dem Problem gewaltbereiter Fans steht Köln nicht allein da. Bereits vor 10 Monaten löste der Spieler Daniel Bauer seinen Vertrag beim Regionalligisten 1. FC Magdeburg auf, nachdem ihm vermummte Fans in seiner Wohnung aufsuchten und bepöbelten. Auch damals war die Empörung groß.