""Und ich gedenke der Negerin, der kranken/ Die durch den Regen irrt, ihr fiebrig Auge sieht/ Das stolze Afrika, wo Kokospalmen schwanken, / Das als ein Traumbild mit den dichten Nebeln flieht""
Charles Baudelaire hat als Erster die durch die Kälte der europäischen Großstädte irrende, dunkelhäutige Frau zu einem Emblem der Moderne gemacht. Eine Art Treibgut des Kolonialismus, wird sie in die frierenden Metropolen Europas gespült. Ihre dunkle Haut gleicht dem Versprechen ewiger Sonne und Wärme, wird im Winter des Nordens zum Sinnbild des heimatlos gewordenen Glücks:
""Sie sehen mich durch die Straßen Londons laufen, der peitschende Regen kalt und spitz wie Stahlnadeln. Den Kopf gesenkt, die Arme um mich gelegt, damit die Kälte mich nicht umringt. Ohne ein Ziel, nur weg von jener elenden Wohnung und jener Frau, die ich geheiratet hatte, damit ich wieder über das Meer fahren und im Mutterland in Würdelosigkeit, Scham und Schande baden konnte.""
Anderthalb Jahrhunderte später nimmt die englische Schriftstellerin Andrea Levy das Baudelairesche Motiv auf und macht es zur Metapher für eine Art Urgeschichte der Globalisierung, die aus ihrer Perspektive bereits mit den beiden großen Kriegen einsetzte. Vier Erzählstimmen, - zwei englische und zwei jamaikanische -, entwickeln in ihrem Roman den spannungsgeladenen, manchmal tragik-komischen, oft auch gewaltsamen Zusammenprall zweier Welten, die sich feindlich gegenüberstehen und doch durch das Band des Empire untrennbar wie siamesische Zwillinge aneinandergekettet sind.
Mit der Figur des Gilbert zeichnet Andrea Levy das Schicksal ihres Vaters nach. 1948 kehrt er mit dem Auswandererschiff "Windrush" aus Kingston in ein England zurück, in dem er drei Jahre zuvor als Kriegsfreiwilliger in der blauen Uniform der Royal Air Force gegen Hitlers Bombenangriffe gekämpft hatte:
""Würde ich diesen Gesichtsausdruck jetzt jeden Tag sehen müssen? Dann müsste ich selbst bald glauben, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Im Augenblick wäre ich gern wieder in Jamaika gewesen, denn nur dort konnte ich mir sicher sein, das jemand, der zum ersten Mal mein Gesicht sah, keine besondere Reaktion zeigte, keine weit aufgerissenen Augen, keine heruntergeklappte Kinnlade, keine Flüche, kein rasch abgewandter Blick, als hätte man etwas Unappetitliches entdeckt.""
Der Rassismus trifft die Migranten aus der Karibik mit unverminderter Wucht. Die Suche nach Arbeit und Unterkunft gleicht einem Spießrutenlauf. Im kalten und verwahrlosten London will man nichts wissen von jenen, die die Parolen von der großen Familie des Empire wörtlich genommen haben.
Andrea Levys Roman zeichnet ein bestürzendes Bild dieses Landes, in dem dunkelhäutige Menschen wie exotische Tiere bestaunt werden, von denen man wie selbstverständlich erwartet, dass sie auf den Bürgersteigen den Weg freimachen.
Aber den Getäuschten des Empire bleibt keine Wahl. Die Heimatinsel Jamaika ist ihnen, die sie an die Zivilisationsversprechen der Briten glaubten, zu eng geworden. Sie sind zu Wanderer zwischen Welten geworden, die nicht mehr zu trennen sind. Auch wenn das der Mehrheit im Nachkriegsengland nicht gefällt:
""Jeder bleibt für sich, das ist das Rezept eines ruhigen Lebens. Die Menschen waren in den Krieg gezogen, damit alle wieder unter ihresgleichen sein konnten. Ganz einfach. Jeder an seinen Platz. England den Engländern, und die westindischen Inseln den Farbigen. Man sehe sich nur Indien an. Wir Briten wussten eben, was ‚fair play’ ist. Überließen Indien den Indern.""
Der farblose Bankangestellte Bernard mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen in der ehemaligen Kronkolonie Indien bildet Andrea Levys weiße Kontrastimme. Mit ihr lotet sie die psychischen Untiefen des rassistischen Diskurses aus. Ihr Text lebt von dieser allegorischen Überhöhung historisch verbürgter Biographien, die sie mit Zeitzeugen recherchiert hat. Ihr prototypischer Rassist ist eine "verwirrte Seele". Er hat zuviel gesehen, um zurückzukönnen, und kann zugleich den Weg nach vorne nicht erkennen.
Tatsächlich ist die englische Mittelklasse, für die Bernard steht, hoffnungslos überfordert von Unsicherheiten der modernen multikulturellen Gesellschaft, wie sie Ende der Vierziger Jahre nun auch auf der Insel England Einzug hält. Unvermittelt strahlt die Gewalt des Empire von den Kolonien zurück ins Mutterland und zerstört dort den Schein des Eigenen, der Heimat. Im elterlichen Haus hat Bernards Frau Queenie während seiner Abwesenheit die Migranten von der "Windrush" als Mieter aufgenommen:
""Fremde Gegenstände im Zimmer. Merkwürdiger Geruch. Ein riesiger Koffer blockierte fast den ganzen Eingang. Kaum Platz, sich umzudrehen. Auf dem Bett eine billige Decke. Sessel ziemlich hinüber, verwelkte Blumen im Marmeladenglas. Pa ist in diesem Zimmer geboren worden. Und vor ihm sein Vater und auch noch einige Großtanten. Ein Frauenzimmer hatte es Ma genannt. Nicht allein wegen der Geburten, sondern wegen dem Blick aus dem Fenster. Sie konnte die ganze Straße beobachten, ohne das jemand was merkte, sagte sie. Das hier war der Gipfel ihrer Welt.""
Eine untergründige Gemeinsamkeit der sich so feindlich gegenübertretenden Hemisphären erwächst aus der englischen Sprache. Zur Charakterisierung ihrer Protagonisten lässt die Erzählerin sie in all ihren Varianten aufblitzen, vom Standard-Englisch der Mittelklasse über das proletarische Ostlondoner Cockney bis zum kreolisierten Karibik-Englisch.
Allen Missverständnissen und allem Misstrauen zum Trotz leuchtet in diesem Sprachcocktail der Vorschein einer zukünftigen Kultur, die auf Reinheit und Identitätsdiskurse verzichtet, sich den Brechungen der Moderne anheim gibt. In jenen frühen Jahren des Nachkriegs allerdings erscheint diese multikulturelle Utopie für Levys Romanfiguren in weite Ferne gerückt.
Weil dem Deutschen diese koloniale Brechung fehlt, muss die Übersetzung auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. Der Übersetzer Bernhard Robben behilft sich mit einer Kunstsprache, die nach seinen eigenen Worten an den Rhythmus des Rap erinnern soll, meist aber doch irgendwie nach Dialekt klingt. Dennoch gelingt es ihm, die oft herrlich komischen Dialoge Andrea Levys relativ unbeschadet ins Deutsche hinüberzuretten.
Manchmal ächzt der Text Andrea Levys spürbar unter der Last der akribischen historischen Recherche. Kapitelaufteilung und Perspektivewechsel wirken konstruiert. Irgendwie scheinen die Lektionen der Creative Writing Kurse hindurchzuschimmern, die Levy zum Schreiben gebracht haben. Dennoch ist die Autorin eine ernstzunehmende Vertreterin jener neuen Weltliteratur, die Europa aus den Lebenswelten der ehemaligen Kolonien und der Migration zugewachsen sind.
Wie Patrick Chamoiseau, Édouard Glissant, Derek Walcott oder Salman Rushdie legt sie ein lebendiges literarisches Zeugnis davon ab, dass die Geschichten von Mutterland und Kolonien, von Kolonisatoren und Kolonisierten unentwirrbar miteinander verflochten sind. Ob man es zugeben mag oder nicht.
Andrea Levy: Eine Englische Art von Glück
Eichborn, 354 Seiten, 22.90 Euro.
Charles Baudelaire hat als Erster die durch die Kälte der europäischen Großstädte irrende, dunkelhäutige Frau zu einem Emblem der Moderne gemacht. Eine Art Treibgut des Kolonialismus, wird sie in die frierenden Metropolen Europas gespült. Ihre dunkle Haut gleicht dem Versprechen ewiger Sonne und Wärme, wird im Winter des Nordens zum Sinnbild des heimatlos gewordenen Glücks:
""Sie sehen mich durch die Straßen Londons laufen, der peitschende Regen kalt und spitz wie Stahlnadeln. Den Kopf gesenkt, die Arme um mich gelegt, damit die Kälte mich nicht umringt. Ohne ein Ziel, nur weg von jener elenden Wohnung und jener Frau, die ich geheiratet hatte, damit ich wieder über das Meer fahren und im Mutterland in Würdelosigkeit, Scham und Schande baden konnte.""
Anderthalb Jahrhunderte später nimmt die englische Schriftstellerin Andrea Levy das Baudelairesche Motiv auf und macht es zur Metapher für eine Art Urgeschichte der Globalisierung, die aus ihrer Perspektive bereits mit den beiden großen Kriegen einsetzte. Vier Erzählstimmen, - zwei englische und zwei jamaikanische -, entwickeln in ihrem Roman den spannungsgeladenen, manchmal tragik-komischen, oft auch gewaltsamen Zusammenprall zweier Welten, die sich feindlich gegenüberstehen und doch durch das Band des Empire untrennbar wie siamesische Zwillinge aneinandergekettet sind.
Mit der Figur des Gilbert zeichnet Andrea Levy das Schicksal ihres Vaters nach. 1948 kehrt er mit dem Auswandererschiff "Windrush" aus Kingston in ein England zurück, in dem er drei Jahre zuvor als Kriegsfreiwilliger in der blauen Uniform der Royal Air Force gegen Hitlers Bombenangriffe gekämpft hatte:
""Würde ich diesen Gesichtsausdruck jetzt jeden Tag sehen müssen? Dann müsste ich selbst bald glauben, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Im Augenblick wäre ich gern wieder in Jamaika gewesen, denn nur dort konnte ich mir sicher sein, das jemand, der zum ersten Mal mein Gesicht sah, keine besondere Reaktion zeigte, keine weit aufgerissenen Augen, keine heruntergeklappte Kinnlade, keine Flüche, kein rasch abgewandter Blick, als hätte man etwas Unappetitliches entdeckt.""
Der Rassismus trifft die Migranten aus der Karibik mit unverminderter Wucht. Die Suche nach Arbeit und Unterkunft gleicht einem Spießrutenlauf. Im kalten und verwahrlosten London will man nichts wissen von jenen, die die Parolen von der großen Familie des Empire wörtlich genommen haben.
Andrea Levys Roman zeichnet ein bestürzendes Bild dieses Landes, in dem dunkelhäutige Menschen wie exotische Tiere bestaunt werden, von denen man wie selbstverständlich erwartet, dass sie auf den Bürgersteigen den Weg freimachen.
Aber den Getäuschten des Empire bleibt keine Wahl. Die Heimatinsel Jamaika ist ihnen, die sie an die Zivilisationsversprechen der Briten glaubten, zu eng geworden. Sie sind zu Wanderer zwischen Welten geworden, die nicht mehr zu trennen sind. Auch wenn das der Mehrheit im Nachkriegsengland nicht gefällt:
""Jeder bleibt für sich, das ist das Rezept eines ruhigen Lebens. Die Menschen waren in den Krieg gezogen, damit alle wieder unter ihresgleichen sein konnten. Ganz einfach. Jeder an seinen Platz. England den Engländern, und die westindischen Inseln den Farbigen. Man sehe sich nur Indien an. Wir Briten wussten eben, was ‚fair play’ ist. Überließen Indien den Indern.""
Der farblose Bankangestellte Bernard mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen in der ehemaligen Kronkolonie Indien bildet Andrea Levys weiße Kontrastimme. Mit ihr lotet sie die psychischen Untiefen des rassistischen Diskurses aus. Ihr Text lebt von dieser allegorischen Überhöhung historisch verbürgter Biographien, die sie mit Zeitzeugen recherchiert hat. Ihr prototypischer Rassist ist eine "verwirrte Seele". Er hat zuviel gesehen, um zurückzukönnen, und kann zugleich den Weg nach vorne nicht erkennen.
Tatsächlich ist die englische Mittelklasse, für die Bernard steht, hoffnungslos überfordert von Unsicherheiten der modernen multikulturellen Gesellschaft, wie sie Ende der Vierziger Jahre nun auch auf der Insel England Einzug hält. Unvermittelt strahlt die Gewalt des Empire von den Kolonien zurück ins Mutterland und zerstört dort den Schein des Eigenen, der Heimat. Im elterlichen Haus hat Bernards Frau Queenie während seiner Abwesenheit die Migranten von der "Windrush" als Mieter aufgenommen:
""Fremde Gegenstände im Zimmer. Merkwürdiger Geruch. Ein riesiger Koffer blockierte fast den ganzen Eingang. Kaum Platz, sich umzudrehen. Auf dem Bett eine billige Decke. Sessel ziemlich hinüber, verwelkte Blumen im Marmeladenglas. Pa ist in diesem Zimmer geboren worden. Und vor ihm sein Vater und auch noch einige Großtanten. Ein Frauenzimmer hatte es Ma genannt. Nicht allein wegen der Geburten, sondern wegen dem Blick aus dem Fenster. Sie konnte die ganze Straße beobachten, ohne das jemand was merkte, sagte sie. Das hier war der Gipfel ihrer Welt.""
Eine untergründige Gemeinsamkeit der sich so feindlich gegenübertretenden Hemisphären erwächst aus der englischen Sprache. Zur Charakterisierung ihrer Protagonisten lässt die Erzählerin sie in all ihren Varianten aufblitzen, vom Standard-Englisch der Mittelklasse über das proletarische Ostlondoner Cockney bis zum kreolisierten Karibik-Englisch.
Allen Missverständnissen und allem Misstrauen zum Trotz leuchtet in diesem Sprachcocktail der Vorschein einer zukünftigen Kultur, die auf Reinheit und Identitätsdiskurse verzichtet, sich den Brechungen der Moderne anheim gibt. In jenen frühen Jahren des Nachkriegs allerdings erscheint diese multikulturelle Utopie für Levys Romanfiguren in weite Ferne gerückt.
Weil dem Deutschen diese koloniale Brechung fehlt, muss die Übersetzung auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. Der Übersetzer Bernhard Robben behilft sich mit einer Kunstsprache, die nach seinen eigenen Worten an den Rhythmus des Rap erinnern soll, meist aber doch irgendwie nach Dialekt klingt. Dennoch gelingt es ihm, die oft herrlich komischen Dialoge Andrea Levys relativ unbeschadet ins Deutsche hinüberzuretten.
Manchmal ächzt der Text Andrea Levys spürbar unter der Last der akribischen historischen Recherche. Kapitelaufteilung und Perspektivewechsel wirken konstruiert. Irgendwie scheinen die Lektionen der Creative Writing Kurse hindurchzuschimmern, die Levy zum Schreiben gebracht haben. Dennoch ist die Autorin eine ernstzunehmende Vertreterin jener neuen Weltliteratur, die Europa aus den Lebenswelten der ehemaligen Kolonien und der Migration zugewachsen sind.
Wie Patrick Chamoiseau, Édouard Glissant, Derek Walcott oder Salman Rushdie legt sie ein lebendiges literarisches Zeugnis davon ab, dass die Geschichten von Mutterland und Kolonien, von Kolonisatoren und Kolonisierten unentwirrbar miteinander verflochten sind. Ob man es zugeben mag oder nicht.
Andrea Levy: Eine Englische Art von Glück
Eichborn, 354 Seiten, 22.90 Euro.